Medien formen unser Migrationsbild: Zwischen politischem Diskurs und Popkultur werden Migranten oft als stereotype Fremde gezeigt, während ihre vielfältigen Lebenswelten unsichtbar bleiben. Integration in Europa braucht neue Perspektiven.
Wenn zu Beginn des Jahres 2015 die Zivilgesellschaft auf den Straßen einiger deutscher Großstädte irritiert um eine weltoffene Haltung ringen muss, dann zeigt sich, dass die deutsche Einwanderungsgesellschaft nicht von durchweg aufgeklärten Gemeinschaften getragen wird. Die xenophoben und islamfeindlichen Parolen von Bürgerbewegungen wie dem Dresdner Aktionsbündnis PEGIDA und das Ringen der deutschen Politik um diesen einen Satz nach der Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland zeugen eher von einem regressiven Kulturverständnis und einer mangelnden Auseinandersetzung mit aktuellen Fremd- und Selbstbildern.
Das gilt indes nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa, wo eine deutliche Tendenz zur Salon- und Politikfähigkeit des Rechtspopulismus und Neonationalismus beunruhigen muss. Warum aber lässt Europa eine flächendeckende Willkommenskultur für Flüchtlinge, Einwanderer und Asylsuchende vermissen, obwohl es den meisten europäischen Bürgern trotz Finanzkrise so gut geht wie lange nicht in der Geschichte? Warum hegen selbst Teile der bürgerlichen Mitte Vorurteile gegenüber Migranten, obwohl sie kaum persönliche Berührungspunkte mit diesen haben? Weshalb lässt die Integration von Migranten vielfach zu wünschen übrig und warum stehen ihr immer wieder leitkulturalistische Selbstbilder und mangelnde Anerkennung der Aufnahmegesellschaften im Weg?
Die Deutungsmacht der Medien
Integration und Anerkennung mögen schlicht einfacher sein, wenn sie eine Forderung eher an die Anderen als an das Selbst bleiben. Kollektive Identitätskonstruktionen bieten dann die geeignete Schablone, um die Verantwortung für gesellschaftliche Problemlagen an „Fremde“ abzuweisen. Solange Minderheiten keinen Anteil an lebensweltlichen Erfahrungen der Mehrheit haben, verbleibt die Deutungshoheit weitestgehend bei denen, die Bilder und Narrationen zur Orientierung anbieten: den Medien.
Bei der Suche nach Integrationswegen einer multikulturellen Gesellschaft ist den Medien daher eine bedeutende Rolle zugeschrieben worden. Auch die Wissenschaft hat den Zusammenhang von Medien und Integration zunehmend zur Kenntnis genommen, sodass heute durchaus zahlreiche Untersuchungen zum Thema vorliegen. Vernachlässigt haben die Analysen bisher aber die Vielfalt der Medien selbst. Denn diese bestehen eben nicht nur aus Politik, sondern auch aus Popkultur. Dabei ist Unterhaltung nicht weniger relevant als Information. Denn die fiktionalen Welten des Fernsehens, der Filme und der Bücher sind möglicherweise ebenso geeignet, um unsere Vorstellungen einer multikulturellen Realität zu beeinflussen und damit letztlich auch Integration zu hemmen oder zu befördern – etwa über den Umweg der Fortschreibung oder Brechung bestehender Stereotype oder Vorurteile über vermeintlich Andere.
Die fiktionalen Welten des Fernsehens, der Filme und der Bücher sind möglicherweise ebenso geeignet, um unsere Vorstellungen einer multikulturellen Realität zu beeinflussen und damit letztlich auch Integration zu hemmen oder zu befördern.
Eine Aufgabe der Medien ist es, Meinungen und Bilder öffentlich zu machen und einen gesellschaftlichen Diskussionsraum zu schaffen, an dem Minderheiten und Mehrheiten beteiligt sind. Man könnte sagen, dass sich die Gesellschaft mithilfe der Medien selbst imaginiert – denn die Medien erlauben die Teilhabe aller an öffentlichen Diskursen, und sie erlauben die gegenseitige Beobachtung von Gruppen und Mitgliedern der Gesellschaft. Die Medien der europäischen Einwanderungsgesellschaften müssen sich aber von zahlreichen Studien den Vorwurf gefallen lassen, dass sie diese Rolle nicht ausreichend erfüllen. Sie bieten der Öffentlichkeit vor allem Leitinterpretationen eines problembeladenen Fremden und eines kulturessentialistischen Selbst an. Auch eine gelegentliche Doppelmoral – nach der etwa Europa im nationalen Integrationsdiskurs gerne als kulturell zementierte Gemeinschaft erscheint, europäische Nachbarstaaten in anderen ökonomischen oder politischen Diskursen aber gern zu stereotypen Fremden werden – wird selten hinreichend selbstkritisch von den Medien diskutiert.
Eine stereotype und reduzierte Darstellung lässt sich sowohl bei den Bildern der Fernwelt, aus der Migranten kommen, als auch bei Bildern über Migranten selbst feststellen. Wenn wir davon ausgehen, dass die wenigsten Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft einen persönlichen Bezug zu den Herkunftsregionen von Migranten haben, der über das Medienbild hinausgeht, dann ist plausibel, dass dieses Medienbild in den Vorstellungswelten der Menschen an Einfluss gewinnt. Wenn aber in den Medien diese Fernwelt häufig nur als großer Problemkontext erscheint oder nahezu gar nicht existiert, hat das möglicherweise ungeahnte Langzeitfolgen für unser Wissen über die Welt.
Afrika etwa bleibt zu weiten Teilen ein blinder Fleck in der Auslandsberichterstattung und die islamische Welt wird auf Terrorismus und Traditionalismus reduziert. Viel zu wenig wissen wir beispielsweise über islamische Lebensentwürfe abseits dieser Stereotype.
Afrika etwa bleibt zu weiten Teilen ein blinder Fleck in der Auslandsberichterstattung und die islamische Welt wird auf Terrorismus und Traditionalismus reduziert.
Natürlich sind die Medien nicht die einzigen Ressourcen unseres Wissens und unserer Vorstellungen, aber sie sind eben auch nicht ganz unbeteiligt daran, dass es das Fahrverbot für Frauen in Saudi-Arabien und Terrorismus im Irak oder Syrien doch schaffen, die islamische Welt prominenter zu repräsentieren als die zu weiten Teilen gelungene Demokratisierung Indonesiens oder der hohe Frauenanteil in vielen akademischen Berufen in Tunesien, Ägypten oder der Türkei. Ein kruder Zusammenhang zwischen dem IS-Terror in der Fernwelt und Annahmen über eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft von Muslimen in Europa ist dann nur eine leicht zu entlarvende Folge eben auch solcher Medienagenden. Noch dazu, wenn auch das Bild von den Einwanderern, das sich das Publikum in Europa von Fernsehen und Presse abholen kann, nur selten an die Vielfalt der Alltagsrealität heranreicht.
Ein diffuses Bild des anderen
In den Medien wird vor allem ein politischer Problemdiskurs der Zuwanderung und Asylpolitik geführt. Hier geht es in vielen Fällen um Konfliktszenarien mit Einwanderern (Stichwort Kriminalität und Integrationsverweigerung), um vermeintlich kulturelle Unverträglichkeiten oder Rückständigkeit (Stichwort Zwangsheirat und Unterdrückung der Frau). Vergleiche mit ähnlichen Problemlagen in diversen Subkulturen der Mehrheitsgesellschaft bleiben häufig aus. Dabei zeigen beispielsweise Untersuchungen, dass sich die Bereitschaft zu politischem Extremismus von in Deutschland lebenden Muslimen keineswegs vom repräsentativen Durchschnitt der nicht-muslimischen Gesellschaft unterscheidet.
Die positive Kehrseite des multikulturellen Alltags aber oder die Anerkennung migrantischer Arbeits- und Lebensentwürfe findet insgesamt wenig Erwähnung. Zwar gibt es vereinzelte Hinweise darauf, dass etwa Migrantinnen zumindest im Lokaljournalismus gelegentlich auch als ganz normale Nachbarinnen mit diversen Rollenzuschreibungen erscheinen, in den Leitmedien aber bleiben sie meist den ihnen zugewiesenen Rollen als Opfer, Täter oder Experten ihrer eigenen Kultur verhaftet. Als gleichberechtigte Akteure in gesellschaftlichen Fragen kommen Migranten demnach zu selten zu Wort.
Gäste der ARD Talkshow hart aber fair am 09. April 2018 in Köln mit dem Thema "Islam ausgrenzen, Muslime integrieren - Kann das funktionieren?", Foto: Horst Galuschka via dpa/picture alliance
Die Muslima oder der Imam sind gern gesehene Gäste in Talkshows, in denen es um Kopftücher und Meinungsfreiheit geht, nicht aber, wenn Finanzkrisen oder die Erderwärmung diskutiert werden. Pluralistische Selbstrepräsentation ist im politischen Talkformat also kaum verwirklicht. Die meinungsmachenden Medien wählen ihre Dialogpartner vielmehr nach immer wiederkehrenden Mustern. Das mag nicht zuletzt – trotz einiger prominenter Ausnahmen – auch am verschwindend geringen Prozentsatz von Journalisten mit Migrationshintergrund in den Medieninstitutionen liegen. Migrantische Mitsprache und Perspektivierung hat somit weder auf Seiten der Produktion noch der Präsentation eine angemessene Chance. Dies alles sind nicht zuletzt Gründe dafür, dass Stereotype und Erzähltraditionen selten irritiert und zurechtgerückt werden. Eine zugespitzte Erkenntnis, die für alle europäischen Mitgliedsstaaten in mehr oder weniger ausgeprägter Form gilt.
Das Bild des anderen in Europa bleibt also fragmentarisch und diffus. Gesellschaftliche Probleme werden entgegen dem Öffentlichkeitsideal einer dialogischen Gesellschaft doch eher von den Wortführern der Mehrheit erörtert. Der Austausch von Meinungen mit Minderheiten ist hier störanfällig.
Auch wenn die europäischen Leitmedien unterschiedlich umfangreich und mit unterschiedlichen Methoden untersucht wurden: Der Tenor der Ergebnisse bleibt gleich. Das Verhältnis zwischen den Medien der europäischen Aufnahmegesellschaften und der nicht-europäischen Einwanderungsgemeinschaft ist problematisch. Die Medien sind in diesem Punkt gewissermaßen noch mit dem beschäftigt, was die Kulturtheorie schon seit den 1970er-Jahren umtreibt: nämlich die Abkehr von einer theoretischen Untrennbarkeit kultureller und politischer Gemeinschaften.
Kultursysteme sind selten homogen oder gar zeitlich stabil. Ob sie an politische Systeme gekoppelt sind, bleibt zumindest fraglich. Bestimmte kulturelle Traditionsbestände mögen zwar im Gedächtnis von Großgemeinschaften konserviert sein, doch gerade alltagskulturelles Handeln unterliegt einer fortwährenden Dynamik und Hybridisierung. Wir können uns im modernen Alltag an Versatzstücken unterschiedlicher Lebensentwürfe bedienen und unsere Identitätsarbeit an wechselnden Moden ausrichten. Wir sollen uns ja, glaubt man den Medien wiederum an anderer Stelle, stets optimieren und neu erfinden.
Gesellschaftliche Probleme werden entgegen dem Öffentlichkeitsideal einer dialogischen Gesellschaft doch eher von den Wortführern der Mehrheit erörtert.
Die Individualisierungstendenzen der Moderne passen aber nicht so recht zu nationalen Kulturkonzepten. Der gleichzeitige Wunsch nach multikulturellen Konsumvergnügen und monokulturellen Lebenswelten bleibt paradox. Von formaler Staatsbürgerschaft lässt sich einfach nicht auf den kulturellen Habitus von Einzelnen und Gruppen schließen. Dabei sollte längst bekannt sein, dass die Subkulturen in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen häufig viel mehr Ähnlichkeiten miteinander aufwiesen als unterschiedliche Subkulturen einer Gesellschaft. Dies alles gilt auch für migrantische Gemeinschaften, die ebenso wenig Homogenität für sich beanspruchen können und sich vermutlich in ähnlich wenigen Punkten auf eine kollektive Identitätsbeschreibung einigen können wie die Mehrheitsgesellschaft selbst. Aber das Bewusstsein für solch simple Sachverhalte ist wohl noch zu wenig vorhanden. Europa fehlt hier offensichtlich ein klares, multikulturelles Selbstbild.
Popkultur und Politik
Diese Beobachtungen gelten allerdings ausschließlich für die europäischen Nachrichtenformate. Häufig vergessen wird, dass Medien nicht allein aus Information bestehen. Gerade das Fernsehen ist in hohem Maße ein Unterhaltungsmedium; der Anteil der Nutzung von Unterhaltungsangeboten überwiegt bei vielen den der Informationsbeschaffung. Im Diskurs um Medien und Einwanderung bzw. Integration allerdings scheinen die Medien nahezu ausschließlich aus Nachrichten und Magazinen zu bestehen. Wie die Nachrichten ist aber auch der Unterhaltungssektor der Medien ein Lieferant von Erzählungen über die Welt und besitzt die Möglichkeit, mit Themen, Charakterzeichnungen und Narrationen eingeübte Bilderwelten zu irritieren.
Gerade das Fernsehen ist in hohem Maße ein Unterhaltungsmedium; der Anteil der Nutzung von Unterhaltungsangeboten überwiegt bei vielen den der Informationsbeschaffung.
Auf der Suche nach medialen Integrationswegen haben wir uns bisher aber womöglich zu sehr auf den Höhenpfad der politischen Kultur verirrt und dabei ganz die Festwiese des Volks vergessen. Denn das derzeit erfolgreichere integrative Kulturprojekt heißt möglicherweise „Pop“ und nicht „Politik“. Zumindest hat es den Anschein, dass das Urteil über integrative Potenziale des weniger politisierten Teil des Medienalltags weit milder ausfallen muss. Dies hängt auch damit zusammen, dass eine kulturelle Grenzziehung in vielen Bereichen der Popkultur kaum möglich erscheint.
Jugend-, Fan- und Szenekulturen sind beispielswiese von globalen oder transkulturellen Trends inspiriert, die nationalen Kulturessentialismus sinnlos erscheinen lässt. Rap und Hip-Hop sind weder deutsch noch türkisch, die Herkunft der meisten Filme im Mainstreamkino ebenso wenig. Migranten und Mehrheitsgesellschaft informieren sich zwar teilweise in unterschiedlichen Medien, da fremdsprachliche Medien bei Einwanderern oft eine größere Rolle spielen. Im Unterhaltungsbereich aber verschwimmen die vermeintlichen kulturellen Differenzen. So werden beispielsweise Millionäre, Superstars, Sänger und Köche längst auf allen Breiten- und Längengraden der Welt gesucht – mit ähnlich großem Erfolg beim lokalen Publikum.
Viele Shows sind an den gleichen Konzepten mit einer ähnlichen Musikalität und Ästhetik orientiert und damit weltweit anschlussfähig. Warum also sollten Einwanderer aus islamisch geprägten Gesellschaften so unvereinbar mit der vermeintlich westlichen Kultur sein, wenn Muslime und Nichtmuslime gleichermaßen denen zujubeln, die auf den plebiszitären Bühnen des Unterhaltungsfernsehens ihr Talent preisgeben, Michael Jackson imitieren oder HipHop adaptieren? Natürlich gewinnt in der arabischen Superstarvariante „Arab Idol“ ein palästinensischer Junge, dessen Musik in Europa weitestgehend unbekannt ist – doch gewinnt er nach denselben Prinzipien, wie es auch Deutschlands „Supertalente“ oder die „Nouvelles Stars“ in Frankreich vorgemacht haben.
Plattform zur künstlerischen Artikulation
Diese Ähnlichkeiten in heutigen Alltagskulturen sind nur ein Beleg für die theoretische Untragbarkeit von Annahmen einer grundlegenden Kulturdifferenz. In den Unterhaltungswelten zeigt sich deutlich, dass die vermeintliche Synchronität von politischen und kulturellen Gemeinschaften aufgebrochen ist und Staatsgrenzen keine Blockade für den Austausch kultureller Traditionen sind.
Dass Integration im oft kritisierten TrashTV der privaten Sender mitunter sogar besser verwirklicht ist als in Informationsprogrammen der öffentlich-rechtlichen Programme, zeigt ein Blick in die Unterhaltungsformate selbst. Auch wenn die seriöse Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“ einst die Sendung des Schlagermusikers Dieter Bohlen „Deutschland sucht den Superstar“ nicht ohne Ironie „Migrantenstadl“ nannte, so trifft diese Bezeichnung doch ebenso jenes ernstzunehmende Integrationspotenzial der Sendungen. Denn bei aller Kritisierbarkeit der kommerziellen, fließbandartigen Persönlichkeitsvermarktung wird hier einem großen Anteil an Migranten zumindest eine Plattform zur künstlerischen Artikulation geboten, die auch mit viel Resonanz genutzt wird.
Das derzeit erfolgreichere integrative Kulturprojekt heißt möglicherweise ,Pop‘ und nicht ,Politik‘.
Nahezu die Hälfte aller Teilnehmer von „Das Supertalent“ beispielsweise hatte einen Migrationshintergrund. Eine sichtbare Sonderbehandlung qua Migrationsstatus – ob positiv oder negativ – erfahren die Kandidaten dabei nicht. Unterhaltung liefert hier weniger homogene Konstruktionen stabiler Herkunfts- und Mehrheitskulturen. Alle haben letztlich die gleiche Chance, sich dem Primat der Unterhaltung zu unterwerfen, öffentlich gefeiert oder verlacht zu werden und eben teilzuhaben an einem gemeinsamen Kulturprojekt angloamerikanischer Couleur. Sprache und Herkunft spielen dann weniger eine Rolle als die Fähigkeit, Massen mit dem gerade gewünschten Talent zu begeistern. Ambitionierter Unterhaltungsnachwuchs mit Wurzeln in Italien oder der Türkei singt und tanzt hier neben jenen, die in Oberbayern oder Niedersachsen geboren sind, gelacht wird über Teilnehmer aus Pakistan und Potsdam gleichermaßen.
Der Fremde – anerkannt oder domestiziert?
Natürlich dürfen diese Beispiele nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Unterhaltungsformate noch keine Anerkennung von Differenz ermöglicht. Denn ähnlich wie bei den muslimischen Vertretern der deutschen Fußballnationalmannschaft dürfen die Teilnehmer zwar gern mit Namen, Aussehen und Talent Aufmerksamkeit erregen – ihre religiöse Identität aber bleibt eher im Verborgenen. Auch wenn Unterhaltung also einen Raum bietet, in dem eine positivere Selbstdarstellung von Migranten zur Entfaltung kommt: Bestimmte Identitätsbezüge, gerade diejenigen, die in den Nachrichten bereits negativ belegt sind, werden auch hier vielfach verschwiegen und somit letztlich auch nicht anerkannt.
Wirklich multikulturell sind am Ende vor allem die Teilnehmer und weniger ihre Darbietungen. Arabische Musik oder asiatische Lyrik verbleiben meistens in der Schublade des Exotischen. Ob also Migranten tatsächlich als Bereicherung oder doch nur als domestizierte Fremde repräsentiert werden, bleibt fraglich. Die Formate der Unterhaltung liefern aber dennoch einen bisher wenig beachteten Spielraum für Integration und gesellschaftliche Anerkennung, da zwar nicht die gesamte Vielfalt der hybriden Kultur, aber immerhin ihr zur Integrationsfähigkeit neigender Teil vorgeführt wird und negative Stereotype gebrochen werden können.
Der Kinofilm besitzt dieses Potenzial ebenso, vollständig ausgenutzt hat er dieses aber sicher nicht. Zwar hat Hollywood ein Weltpublikum begeistert und in diesem Sinne integriert, doch es hat gleichzeitig seine Archetypen der Opfer und Täter dieser Welt geschaffen. Der arabische Nachbar hat hier nur allzu selten die Welt gerettet. Ganz im Gegenteil, eine Tradition der Dämonisierung von Arabern und arabophoben Stereotypen in Hollywood lässt sich durchaus nachweisen.
Die meisten Unterhaltungsformate ermöglichen noch keine Anerkennung von Differenz. Wirklich multikulturell sind am Ende vor allem die Teilnehmer und weniger ihre Darbietungen, schreibt Anne Grüne, Illustration: Gary Waters via ikon images/picture alliance.
Das Integrationspotenzial des europäischen Films ist bisher auch eher unausgeschöpft geblieben, allerdings aus anderen Gründen. Denn das französische Kino, die dänische Dogma-Bewegung oder das deutsche Programmkino haben zwar erfolgreich sozialkritische Narrationen entfaltet, die Filme bleiben aber zumeist in nationalen Diskursen verhaftet und werden auch nur dort diskutiert. Sprachhürden und historische Traditionslinien lassen einen europäischen Film kaum zu. Nahezu alle Versuche paneuropäischer Medienangebote sind bisher entweder gescheitert oder sie bleiben Ausnahmephänomene mit geringem Zuschauerinteresse.
Während Europa also als Ganzes Sehnsuchts- wie auch Zufluchtsort von Flüchtenden und Suchenden ist und auch die politischen Rahmenbedingungen ihrer Aufnahme gemeinsam verhandelt, sind Integration und Anerkennung nach wie vor eine kulturelle Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten.
Fremd- und Selbstbilder variieren in den unterschiedlichen nationalen Diskursgemeinschaften, auch wenn Probleme der Fremdenfeindlichkeit und sozioökonomischer Integrationsdefizite strukturell ähnlich sind. Die multikulturellen Codes aber müssen noch stärker in den Binnengesellschaften verankert und zudem europaweit transferiert werden. Im Sinne einer europäischen multikulturellen Realität müssen sowohl Nachrichten als auch Unterhaltungsangebote einen besseren Beitrag für die aufgeklärten Vorstellungswelten ihres Publikums leisten. Das heißt nicht, bestehende Probleme zu ignorieren, sondern Vorzüge und Möglichkeiten multikultureller Realitäten nicht weiter zu marginalisieren.
Im Sinne einer europäischen multikulturellen Realität müssen sowohl Nachrichten als auch Unterhaltungsangebote einen besseren Beitrag für die aufgeklärten Vorstellungswelten ihres Publikums leisten.
Der Wissenschaft sollte klar sein, dass Integration und Anerkennung nicht nur politische und soziale Projekte sind, sondern auch eine kulturelle Dimension besitzen, was wiederum bedeutet, dass alle kulturellen Verarbeitungsprozesse untersucht werden sollten. Die multikulturelle Gesellschaft wird am Ende sicher nicht nur von den integrationsfördernden oder -hemmenden Wirkungen der Medien abhängen, zumal soziale und politische Faktoren der Sozialisation hier einen erheblichen Einfluss ausüben. Dennoch ist anzunehmen, dass gerade das Fremdenbild der Mehrheitsgesellschaft mangels persönlichem Kontakt zu Migranten vielfach von den Medien geprägt wird – von den politischen Nachrichten ebenso wie von den vielfach belächelten Formaten der Unterhaltungskultur.
Über die Autorin
Anne Grüne
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft
Anne Grüne ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf Theorien Globaler Kommunikation, der Unterhaltungskommunikation und Populärkultur, sowie den Vergleich von Kommunikationskulturen und grenzüberschreitende Medien und Alltagskultur.
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