Ich erinnere mich an ein Treffen mit einem Vertreter der neuen südafrikanischen Regierung in den späten 1990er Jahren, der mie erzählte, dass Südafrikner verschiedener ethnischer Herkunft nun zum ersten Mal zusammenkommen konnten. Kultur und Kunst erwiesen sich als die wichtigsten Bühnen für diese Begegnungen. Es dürfte deshalb keine Überraschung sein, dass Kultur und Kunst in dieser nach wie vor stark gespaltenen Gesellschaft als Bühnen oder Plattformen betrachtet werden, um Zusammenhalt, Austausch, gegenseitiges Lernen und Respekt zu üben.
Im Juni 2012 präsentierte das südafrikanische Ministerium für Kunst und Kultur daher eine „Nationale Strategie für die Entwicklung einer inklusiven und kohäsiven südafrikanischen Gesellschaft“. „Dies ist der Entwurf des Ministeriums für Kunst und Kultur (DAC) für eine nationale Strategie des sozialen Zusammenhalts und der Staatenbildung.“ Unter dem Konzept „Ubuntu“, das so viel bedeutet wie gegenseitige Anteilnahme, Teilen und Einsatz für das soziale Wohlergehen, formuliert dieser Bericht die Vision des Ministeriums für Kunst und Kultur als das Bemühen, „die südafrikanische Kultur zu entwickeln und zu erhalten, um den sozialen Zusammenhalt und die Staatenbildung zu sichern“. Weiter heißt es:
„Dieses Mandat leitet sich ab von seinen Rollen als öffentlicher Wächter der verschiedenen Kulturen, Sprachen und des Erbes der Südafrikaner sowie seiner Rolle als nationaler Führer, der innovative Entwicklungen für das gesamte Spektrum der Künste als kreative, wirtschaftliche und soziale Tätigkeiten und Träger einer dynamischen Gesellschaft öffentlich unterstützt. Demzufolge decken die Programme des Ministeriums die Verwaltung von Kunst und Kultur ab in den Bereichen Gesellschaft, Sprache, Förderung des Erbes, nationale Archive, Aufzeichnungen, Bibliotheken und Wappenkunde.“
Die südafrikanische Regierung setzt also auf Kultur und Kunst als Mittel, um Zusammenhalt, gegenseitiges Verständnis und Respekt zu erzielen und um das lange und schwere Erbe des Kolonialismus und der Apartheid zu überwinden. Indem sie dies tut, betont sie die Bedeutung, Relevanz und Macht von Kultur und Kunst. Diese Macht ist beträchtlich, wie sich am Beispiel der integrativen südafrikanischen Sportarten schnell zeigt. Die Symbolik und der nachhaltige Einfluss von Fußball, Rugby oder Kricket reichen sicherlich über die Menschen hinaus, die unmittelbar an den Spielen teilnehmen. Auch dem Rest der Nation und selbst dem internationalen Sportpublikum wird eine starke Botschaft vermittelt, ihnen werden Werte des Zusammenlebens nahegebracht und es wird die Verbindung gefeiert – und damit errichtet man eine neue demokratische hegemoniale Kultur, die sich positiv auf Werte, Normen und Motivationen von Menschen auswirken kann und somit auch die materiellen Bedingungen ihres Lebens beeinflusst.
Die Symbolik und der nachhaltige Einfluss von Fußball, Rugby oder Kricket reichen sicherlich über die Menschen hinaus, die unmittelbar an den Spielen teilnehmen.
Es gibt viele ähnliche Beispiele für die Macht von Kultur und Kunst, demokratische Werte zu vermitteln, die Orientierung und Motivation für demokratisches Handeln bieten, Werte, die das Potenzial haben, sich auf die materiellen Bedingungen auszuwirken.
In Brasilien wird häufig Musik eingesetzt, um die Jugend von Drogen und Kriminalität wegzulocken. Weithin bekannte Nichtregierungsorganisationen wie Viva Rio, AfroReggae, ISER, Pracatum, Bagunçaço und viele andere bieten alle Musikunterricht nach der Schule an, um die städtische Jugend in armen und marginalisierten Vierteln in positive und konstruktive Tätigkeiten einzubinden. Im Kampf dafür als voller und gleichwertiger Bürger anerkannt und geachtet zu werden, hat sich Musik als mächtiges Werkzeug erwiesen. Musik ist ein Weg, in die Selbstachtung von Gruppen zu investieren, die in der Geschichte schlecht behandelt und nicht respektiert wurden, Opfer eines tief verwurzelten strukturellen Rassismus.
Als Musiker bekommen arme Jugendliche aus den Städten eine Stimme und einen Platz in einem öffentlichen Raum, in einer Plattform – oder, in diesem Fall, auf einer Bühne. Indem ihre Stimmen gehört werden, können sie das ihnen auferlegte Schweigen brechen und sichtbar werden. Ihre Stimmen bereichern den öffentlichen Raum in Brasilien auf wichtige und nachhaltige Weise, indem sie ihn vielfältiger machen und ihn zum Nachdenken über die eigene multikulturelle Gesellschaft anregen.
Insbesondere Percussion scheint den Nebeneffekt zu haben, Frustration und Aggression in Harmonie zu verwandeln. Die brasilianische Percussion-Formation „O Zárabe“, gegründet und geleitet von dem aus Bahia stammenden Musiker Carlinhos Brown, veranschaulicht dieses Potenzial. In einem Fernsehinterview, das Brown in den späten 1990er Jahren gab, erklärte er, dass die 200 Männer, die mit ihm laufen, trommeln und singen, während sie durch die Straßen von Bahia ziehen, ihre Energie ebenso dazu nutzen könnten, zu rauben und zu stehlen, indem sie eine „arrastão“ starten, das heißt einen Überfall, der von einer Gruppe von Dieben angeführt wird, die mitnehmen, was immer ihnen in den Weg kommt. Stattdessen, so erklärte Brown, sei „O Zárabe“ ein friedliches, musikalisches arrastão, das die Energie der jungen Männer in die Musik umleitet (O Zárabe besteht ausschließlich aus jungen schwarzen Männern).
Die Macht der Musik, Spaltungen zu überwinden, kann man auch in den Vereinigten Staaten erleben, wo die Trennungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe weltweit mit am schärfsten sind. In Städten wie New Orleans und Memphis, wo Afroamerikaner die Musikszene dominieren, erleben wir, wie Integration ganz praktisch in Bands und auf Karnevalswagen vor sich geht.