Zwei Hände sind ineinander zu einem Handschlag verschlungen

Flexibilität plus Handlungsbereitschaft

Kulturdiplomatie fördert Meinungsfreiheit und Empathie. Sie bringt die angeborene soziale Natur des Menschen über Grenzen hinweg zum Vorschein. Wie kann die EU Kultur im Sinne einer Smart-Power für sich nutzen, um negativen politischen Trends entgegenzuwirken?

Der Anstieg von extremem Populismus, die Abkehr von der Demokratie in mehreren Ländern und die Gegenreaktion auf die Globalisierung verweisen auf die Notwendigkeit eines stärkeren Engagements für den kulturellen und interkulturellen Dialog. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich die Welt zwar im Allgemeinen zu mehr Demokratie hinbewegt. Das Ideal der demokratischen Regierungsführung ist international klar angenommen worden, insbesondere durch die Vereinten Nationen, und wird als das gemeinsame Ziel für alle Staaten betrachtet. Doch in den vergangenen Jahren gab es immer mehr Bedrohungen für die Vorstellung einer liberalen Weltordnung. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, das Verständnis zwischen den Menschen über Grenzen hinweg zu kultivieren.

Im internationalen System braucht es wohl eine stärkere EU. Tatsächlich ist es eine der größten Leistungen der EU, die Demokratie in Übereinstimmung mit internationalen Normen verbreitet und konsolidiert zu haben. Die EU betrachtet Kultur in einem weiten Sinne: Dazu gehört alles von den Künsten und der Literatur über Tourismus bis hin zu Bildung und Forschung. Und das ist im heutigen Kontext immer wichtiger, denn die der Kultur zugrunde liegenden Prinzipien wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung der EU 2016 ausgedrückt wurden – Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Vielfalt und gegenseitiges Verständnis – wirken natürlich den negativen anti-demokratischen Trends entgegen. Ohne die Rolle der EU könnten Normen, die wir alle für selbstverständlich halten, grundlegend ins Wanken geraten – nicht nur in den aufstrebenden Mächten, sondern im Westen selbst mit seinen alarmierenden Entwicklungen wie der Wahl von Trump und dem Brexit.

Ohne die Rolle der EU könnten Normen, die wir alle für selbstverständlich halten, grundlegend ins Wanken geraten.

In den letzten paar Jahren sind besonders Cyber- und Netzwerk-Propaganda zu einem ernsten Problem geworden. Trolle, Schadprogramme und ausländische Regierungen haben mit Absicht versucht, Menschen zu trennen und Angst auszulösen. Zu einem gewissen Grad sind sie dabei auch erfolgreich gewesen. Mit dem Aufkommen individualisierter Propaganda und Firmen wie Cambridge Analytica und AggregateIQ, die neue „PsyOps“-Strategien einsetzen, können Bürger allmählich in Richtung antidemokratischer Tendenzen bewegt werden. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, sind Bürger direkt und leicht erreichbar durch Plattformen wie Google und Facebook. Kulturdiplomatie ist einer der zentralen Wege, wie Länder diese Form hybrider Kriegsführung bekämpfen und sich gegen die Verrohung durch Abschottung, Bigotterie und Fanatismus schützen können.

Soft und smart

Welche Rolle kann die Kulturdiplomatie bei der Bewältigung dieser ernsten Herausforderungen spielen? Langfristiges Engagement bietet einen Puffer für Krisen und es bedeutet, dass Menschen für Propaganda weniger empfänglich sind. Ein starkes Programm für den Kulturaustausch kann helfen, gegen Extremismus und eine „Wir gegen die anderen“-Mentalität vorzugehen.

Ich meine, in diesen schwierigen Zeiten ist es notwendig, Kulturdiplomatie als eine Quelle der Soft Power zu betrachten und in einem begrenzten Maß auch als Smart Power. Wir stellen uns Kulturdiplomatie gerne als völlig harmlos vor. Tatsächlich geht es in der Kulturdiplomatie der EU im Wesentlichen nicht um Propaganda oder darum, die eigene Version von Kultur Außenstehenden aufzuzwängen. Stattdessen geht es in der Kulturdiplomatie darum, dass die EU ihre Werte, ihre eigene interne kulturelle Vielfalt und die vielen Ausdrucksformen, die damit einhergehen, der Außenwelt vermittelt.

Viele würden lieber gar nicht von Kulturdiplomatie im Zusammenhang mit Macht sprechen. Aber die EU ist bereits relativ gut auf dem Soft-Power-Gebiet des Kulturaustauschs. Als Akteur hat sie keine Angst davor, zu kulturellem Ausdruck in einem offenen Prozess zu ermutigen, auch wenn Ergebnisse von Kulturprogrammen womöglich am Ende die EU selbst kritisieren. Zu zeigen, dass die EU Kritik und Debatte annehmen kann, ist selbst eine starke Quelle ihrer Anziehungskraft als Soft Power.

Die EU [sollte] danach streben, Einfluss auszuüben, insbesondere im Namen der Demokratie. Und sie sollte dafür eine große Bandbreite an Werkzeugen nutzen.

Angesichts der Tatsache, dass der internationale Einfluss der EU zum großen Teil gutmütig ist und sie im Allgemeinen danach strebt, eine Kraft des Friedens, der Entwicklung und der Stabilität zu sein, meine ich, dass die EU danach streben sollte, Einfluss auszuüben, insbesondere im Namen der Demokratie. Und sie sollte dafür eine große Bandbreite an Werkzeugen nutzen. Angesichts der aktuellen Herausforderungen würden die Demokratien der Welt eine stärkere EU begrüßen. Die politische Krise in den USA infolge der Wahl von Donald Trump ist für die EU die größte dieser Herausforderungen. Trumps Präsidentschaft hat unbestreitbar zu einem transatlantischen Zerwürfnis geführt, zumindest auf der Führungsebene, und dies stellt die EU auf verschiedenen Ebenen vor möglicherweise sehr ernste Probleme, insbesondere in Bezug auf ihre Ziele der kulturellen Vielfalt und ihre demokratischen Normen.

Kultur als Waffe

Vieles von dem, was Menschen auf der Welt voneinander trennt, wird in einen „kulturellen“ Bezugsrahmen gesetzt, und die Beziehung zwischen den USA und der EU bildet hier keine Ausnahme. Der amerikanische Unternehmer Andrew Breitbart, der Gründer von Breitbart (gestartet 2012) sagte, er habe diese rechte Website gegründet, „um die Kultur zurückzuholen“, womit er meinte, einen „kulturellen und politischen Krieg“ zu führen gegen Mainstream-Ansichten zu Politik und Werten. Als Steven Bannon Breitbart übernahm, eröffnete er im Jahr 2014 auch eine britische Website und er hat nun Pläne, diese auch in Frankreich und Deutschland zu starten.

Bannon, der das Erbe des Gründers der Website weiterführt, spricht offen über die Verbreitung von Breitbart als Teil eines kulturellen und politischen Kriegs. Er spricht davon, das Narrativ zu „einer Waffe zu machen“. Nun, da Bannon das Weiße Haus verlassen hat, kann er wohl die amerikanische Öffentlichkeit noch stärker beeinflussen und dadurch die Spannungen zwischen einer Reihe von Menschen verstärken.

Dies veranschaulicht, warum die EU Smart Power braucht, um in den heutigen turbulenten Zeiten ein zentraler Akteur zu sein. Smart Power ist definiert als die strategische Verbindung von Hard und Soft Power. Während es bei der Soft Power darum geht, andere für die eigene Sichtweise zu gewinnen, geht es bei der Hard Power darum, andere dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie ansonsten nicht tun würden. Angesichts dieser Definition sollte klar sein, dass es bei der Hard Power nicht nur darum geht, militärische Gewalt einzusetzen oder wirtschaftliche Sanktionen, wie viele vielleicht vermuten. Stattdessen geht es auch darum, aufzustehen und auf der Weltbühne die eigenen Prinzipien vehement zu vertreten.

In Bezug auf Kulturdiplomatie kann es zu einer Smart-Power-Strategie gehören, zu streiten, gegenüber anderen mutige Aussagen zu treffen oder abzulehnen, wie die anderen Kultur definieren möchten. Ein Smart-Power-Zugang zur Kulturdiplomatie bedeutet also, dass die EU sich gegen jene behaupten muss, die versuchen, Kultur zu einer Waffe zu machen oder in einen Kulturkrieg einzutreten. Wenn die andere Seite Kultur als Waffe in einem Krieg betrachtet, bleibt nichts anderes übrig, als Kulturdiplomatie auch als eine Form des Widerstands zu sehen.

Ein Smart-Power-Zugang zur Kulturdiplomatie bedeutet also, dass die EU sich gegen jene behaupten muss, die versuchen, Kultur zu einer Waffe zu machen oder in einen Kulturkrieg einzutreten.

Solche Bemühungen können auch helfen, gegen Radikalisierung und Rekrutierung für Terrorismus zu kämpfen. Und vor dem Hintergrund der aktuellen Verbreitung psychologischer oder kognitiver Kriegsführung ist Smart Power in Form von Gegenpropaganda notwendig, z.B. durch den Gebrauch von Sprache und Narrativen. Die EU kann die Bedeutung der Kultur zurückerobern, selbst wenn dies beinhaltet, eine stärkere Haltung einnehmen zu müssen.

Starke Haltungen zur EU bewahren

Die Notwendigkeit, eine stärkere Haltung einzunehmen, ist nie größer als in Zeiten der Krise. In meinem Buch „The Politics of Crisis in Europe” (Cambridge University Press, 2017) zeige ich, dass die EU in Krisenzeiten besonders verletzlich ist aufgrund des zerstörerischen Effekts der Medien, die eine Art gesellschaftliche Panik rund um das Integrationsprojekt auslösen. Europa-Bashing ist populär wie auch das allumfassende Meta-Narrativ, dass die EU schwer zu verstehen sei. Immer wieder haben diese von den Medien verstärkten Wahrnehmungen eine selbst erfüllende Dynamik entwickelt. Was vielleicht als vergleichsweise gewöhnliche politische Herausforderung begann, wächst sich schließlich zu einer Krise aus, die offenbar die schiere Existenz der EU gefährdet. Man muss nur kurz die Titelbilder des „Economist” in den letzten 60 Jahren durchschauen, um zu sehen, dass „das Ende Europas“ wiederholt und irrigerweise verkündet worden ist.

Als Antwort auf Krisen hat die EU mit kurzfristiger Public Diplomacy reagiert. Public Diplomacy in Krisenzeiten versucht das Narrativ durch Medien, durch gesellschaftliches und akademisches Engagement zu korrigieren. Aber Public Diplomacy kann erst dann wirken, wenn eine Krise zuschlägt. Um effektiv zu sein, braucht sie eine langfristige Basis. Im Wesentlichen ist langfristige Public Diplomacy etwas Kulturelles. Es geht darum, ein tieferes Verständnis zu entwickeln, das unerwarteten Krisen standhalten kann. Sie schafft einen Puffer für das Narrativ der Medien und den Wahnsinn um den möglichen Niedergang der EU.

Mit einer starken Grundlage des Kulturaustauschs ist es wahrscheinlicher, dass die Menschen bei ihrem herkömmlichen Verständnis bleiben als dass sie aufgrund einer kurzfristigen Sensationsgier davon abkommen. Langfristige Kulturdiplomatie erzeugt also sowohl Resilienz als auch Image-Resilienz für die EU. Während es bei der Resilienz darum geht, sich wieder von Krisen zu erholen, geht es bei der Image-Resilienz darum, starke Wahrnehmungen der EU beizubehalten, so dass ausländische Öffentlichkeiten nicht automatisch das Narrativ übernehmen, die EU befinde sich ständig am Rande ihres Zusammenbruchs.

Knotenpunkte für Kulturbeziehungen schaffen

2016 startete die EU die sogenannte gemeinsame Mitteilung „Künftige Strategie der EU für internationale Kulturbeziehungen“. Die EU verfügte bereits Langem über Soft Power durch ihre Kultur und Geschichte, aber diese gemeinsame Mitteilung bedeutet, dass die EU größere Anstrengungen als in der Vergangenheit unternimmt, um eine Image-Resilienz zu erreichen. Durch diese neue Initiative ist es wichtig zu erkennen, dass Kultur kein Selbstzweck ist, sondern auch stark mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiger Entwicklung zusammenhängt, zwei zentralen Zielen der auswärtigen EU-Politik. Zudem gibt es eine explizite strategische Dimension der gemeinsamen Mitteilung, da sie die selbstverständliche Einbeziehung der Kulturbeziehungen in die EU-Außenbeziehungen fordert, in den Europäischen Auswärtigen Dienst, in Kulturinstitute und bei strategischen Partnern. Sie setzt sich dafür ein, Knotenpunkte für Kulturbeziehungen zu schaffen, um von bestehenden Strukturen zu profitieren. Das Prinzip „Kultur und interkulturellen Dialog fördern für friedliche Beziehungen zwischen Communitys“ beinhaltet unter anderem neue Narrative, um gegen Radikalisierung zu wirken und gegenseitiges Verstehen zu fördern.

Bislang sind die Aktivitäten im Rahmen der gemeinsamen Mitteilung vielfältig und wichtig gewesen; sie haben Kunst einbezogen, Fotografie, Musik, Film, Welterbe und Dialog. Aber es gibt immer noch Bereiche, die man stärken kann durch eine größere Bandbreite an Hilfsmitteln. Zu den Kernfragen, mit denen man sich beschäftigen muss, gehören: Wie kann diese Initiative über Knotenpunkte hinausreichen, um größere Teile der Gesellschaft zu erreichen? Und wie kann sie strategischer werden?

Ich befürworte eine Art strategische Flexibilität, die es der EU ermöglichen würde, von Trends und Entwicklungen zu profitieren, wie sie sich in unserer schnelllebigen Welt zeigen. Beispielsweise könnte die Bewegung „Pulse of Europe“, die sich über Tausende Städte in Europa ausgebreitet hat, in offenem Widerstand zu rechten populistischen Parteien, eine enorme Unterstützung für das Integrationsprojekt EU sein. Ein anderes Beispiel, bei dem strategische Flexibilität hilfreich wäre, ist die Beziehung zwischen Kultur und Politik. Wie könnte eine solche Initiative ein größeres Bewusstsein wecken für die Gefahren der Propaganda während spezieller Wahlkämpfe?

Die gemeinsame Mitteilung ist eine starke Plattform, um anzufangen, strategischer darüber nachzudenken, wie man über Knotenpunkte hinausgehen und eine größere Resilienz gegenüber negativen politischen Trends erzeugen kann. Kulturdiplomatie ist wichtig für Europa, weil Kultur so zentral und wertvoll für die menschliche Erfahrung ist. Sie fördert Meinungsfreiheit, Empathie und bringt die angeborene soziale Natur von Menschen über Grenzen hinweg zum Vorschein. Obwohl es Menschen entweder trennen oder verbinden kann, eine Kultur zu teilen, finden Menschen tendenziell eher Gemeinsamkeit. Wir sind im Wesentlichen soziale Wesen und auf vielerlei Weise betont Kultur unsere Menschlichkeit.

Wenn die EU ein starkes Narrativ nutzen muss, um sich gegen Propaganda zu wehren und die kulturelle Domäne zu erhalten, muss sie dazu bereit sein.

Engagement durch Kultur ist also wichtig und kann, wenn es an externe Öffentlichkeiten gerichtet ist, eine Doppelrolle spielen, wobei Soft und Smart Power zum Einsatz kommen. Weil Kultur wichtig ist, muss sichergestellt werden, dass sie nicht als Waffe eingesetzt wird. Dies erfordert mehr strategisches Denken und bis zu einem gewissen Grad auch die Bereitschaft zu einem streitbareren Zugang, um die Kultur vor der Propaganda zu schützen. Wenn die EU ein starkes Narrativ nutzen muss, um sich gegen Propaganda zu wehren und die kulturelle Domäne zu erhalten, muss sie dazu bereit sein.

Über die Autorin
Mai'a K. Davis Cross
Politikwissenschaftlerin

Mai’a K. Davis Cross ist Professorin für Politikwissenschaft, Internationale Angelegenheiten und Diplomatie und Direktorin des Center for International Affairs & World Cultures an der Northeastern University. Sie promovierte an der Princeton University in Politik. Ihre Fachkenntnisse umfassen die Bereiche transnationale Netzwerke, Weltraumdiplomatie, öffentliche Diplomatie, EU und transatlantische Beziehungen, menschliche Ultrasozialität und Soft/Smart Power.

Kulturreport Fortschritt Europa

Der Kultur kommt im europäischen Einigungsprozess eine strategische Rolle zu. Wie steht es um die Kulturbeziehungen innerhalb Europas? Wie kann Kulturpolitik zu einer europäischen Identität beitragen? Im Kulturreport Fortschritt Europa suchen internationale Autor:innen Antworten auf diese Fragen. Seit 2021 erscheint der Kulturreport ausschließlich online.