Eine Frau kommuniziert mit vielen bunten Sprechblasen

Keim der Annäherung

Wie kann kultureller Austausch Brücken bauen, wo Politik scheitert? Im Iran treibt eine junge, engagierte Kunstszene – maßgeblich von Frauen geprägt – den Dialog mit Europa voran. Kunst wird so zur Stimme des Wandels und zur Chance für echte Verständigung.

Über Jahrhunderte hinweg haben sich Orient und Okzident gegenseitig kulturell, künstlerisch und wissenschaftlich beeinflusst, und die gegenseitige Faszination hat im Laufe der Zeit keineswegs abgenommen. Eine große Dimension dieses Austauschs findet heute über die Medien statt, die eine bedeutende Rolle spielen.

Sie informieren, aber konstruieren dabei oft Bilder, die unsere Wahrnehmung beeinflussen. Leider kann die Berichterstattung auch zu Propagandazwecken missbraucht werden. Oft existieren fragwürdige politische Eigeninteressen, die ein gezielt verzerrtes Bild produzieren. Dabei wird im Westen der Orient als der Ort des Fundamentalismus und im Nahen Osten der Okzident als ein Ort des moralischen Verfalls dargestellt. Doch genauso wie die orientalische Kultur und die islamische Religion nicht gleichzusetzen sind mit dem islamischen Extremismus, so sind auch die Werte und Normen der „christlich-abendländischen Kultur“ nicht gleich die des Kolonialismus und Imperialismus.

Durch diese Bilder, die keineswegs auf den Gemeinsamkeiten der Kulturen aufbauen, sondern nur auf den Ängsten und der Intoleranz bestimmter Gruppierungen basieren, werden nur weitere Grenzen zu Gunsten von Verfremdung und Distanz gezogen. Diese Abgrenzung von anderen Kulturen, aus Angst, seine eigene Identität zu verlieren, fördert die dualistische Weltanschauung von Orient gegen Okzident und umgekehrt. Sie gefährdet dabei den notwendigen kulturellen Austausch zur Weiterentwicklung und Erhaltung der Zivilisation.

Notwendige Horizonterweiterung

Genau hier kann die europäische auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ansetzen, den Austausch fördern und als Vermittler den Dialog der Kulturen fortsetzen. Der geistige Austausch soll im Vordergrund stehen und somit die Öffnung neuer Perspektiven ermöglichen.

Ziel soll einzig und allein ein kultureller Austausch auf der Basis gegenseitigen Respekts, fernab jeder Bewertung und Beurteilung sein. Und gerade in der heutigen Zeit ist diese Horizonterweiterung absolut notwendig, deswegen kann EUNIC, das europäische Netzwerk nationaler Kulturinstitute, als Wegbereiter eine entscheidende Rolle spielen.

Natürlich ist Kultur kein Allheilmittel, sie kann aber unter bestimmten Bedingungen das verlorene Vertrauen wieder herstellen und weitere Verknüpfungen zur Völkerverständigung aufbauen. Als Botschaft des Friedens und der Toleranz kann die Kultur neue Impulse für weitere internationale Beziehungen ermöglichen. Diese positive Entwicklung kann wiederum die ökonomischen, ökologischen, politischen und sozialen Kooperationen unterstützen und unter Umständen neu definieren. Gerade im Fall Iran ist Kultur eine der wichtigsten und wenigen noch greifbaren Möglichkeiten, in der internationale Beziehungsansätze keimen könnten.

Nicht selten ist auch ein Mangel an Information und Kommunikation der Grund für das Nicht-Stattfinden von kultureller Kooperation. Im Ausland ist es nicht allzu bekannt, dass jeden Freitag in Teheraner Galerien Ausstellungseröffnungen stattfinden und dass es sich dabei um eine sehr junge und dynamische Kunstszene handelt. Besonders wichtig zu erwähnen ist auch der beachtliche Einsatz der Frauen, die diese Szene aktiv unterstützen und in hohem Maße beeinflussen.

Gefragte iranische Kunst und Kultur

Gerade nach der Revolution stieg die Zahl der Galeristinnen, Dozentinnen, Studentinnen und Künstlerinnen enorm an und überwiegt zum größten Teil sogar die Zahl ihrer männlichen Kollegen. Im Übrigen wächst das Interesse an Kunst allgemein trotz des Mangels an staatlichen und ausländischen Fördermitteln stetig an und dies zeigt, dass in diesem Land große Potenziale im Kunstbereich vorhanden sind.

Künstler arbeiten in diesem Land schon seit vielen Jahren unter extrem erschwerten Bedingungen. Ihre Werke zeugen von ihrem Lebensmut und dokumentieren ihre Aufmerksamkeit und Anteilnahme ihrem Umfeld gegenüber. Mitten in einer Region, in der Frieden seit Jahrzehnten eine Wunschvorstellung ist, haben Kunst und Kultur weit mehr Funktionen als nur die, Fragen nach der Schönheit und der Kreativität zu beantworten. Diese Werke sind Zeitzeugen einer Kultur, die ihre Identität zu behüten und zu beschützen versucht.

Als Botschaft des Friedens und der Toleranz kann die Kultur neue Impulse für weitere internationale Beziehungen ermöglichen.

Iranische Kunst und Kultur sind auch im Ausland gefragt, doch leider haben sie nie eine angemessene Unterstützung, weder national noch international, erhalten. Seit den 1990er Jahren sind iranische Filme bekannt für ihre einzigartige Ästhetik, und das jährliche Theaterfestival in Teheran überrascht die internationale Theaterlandschaft immer wieder mit kraftvollen Stücken.

Nicht zuletzt hat sich auch die zeitgenössische Kunst trotz aller Schwierigkeiten langsam aber sicher in der Kunstwelt etabliert und ist seit den letzten Jahren auf Kunstmessen, Biennalen und internationalen Ausstellungen erfolgreich vertreten.

Auch iranische Sammler haben vermehrt in die Kunst investiert, und der nationale Kunstmarkt schrieb bis vor kurzem sogar schwarze Zahlen. Doch seit einigen Monaten leidet die Kunstszene in Teheran ebenfalls unter den schweren Sanktionen, dem drastischen Wertverlust der Landeswährung und dem Devisenkollaps.

Diese haben alle Bereiche des täglichen Lebens stark beeinträchtig, und unter diesen Umständen sind die Kunstproduktion, Kulturarbeit und sogar der Kunsttransport schwieriger als je zuvor.

Die Werte Europas sind einzigartig und können als wertvolle Inspiration auch anderen Nationen helfen. Europa hat zudem aufgrund des grassierenden Antiamerikanismus entscheidende Möglichkeiten und Potenziale im Nahen Osten, die aber noch nicht voll ausschöpft werden: etwa die Rolle des Vermittlers und ehrlichen Maklers. Weil der alte Kontinent hier noch seinen Weg sucht, konnte er bisher nicht maßgeblich zur Stabilisierung der Lage in dieser Region beitragen.

Auch die verschärften Sanktionen, die die iranische Bevölkerung schwer treffen und bei ihr Misstrauen hervorrufen, helfen nicht weiter. Trotzdem gibt vor allem die junge Generation die Hoffnung auf eine Partnerschaft mit dem Westen nicht auf. Immerhin existieren substanzielle wirtschaftliche Interessen auf beiden Seiten, und diese werden der Isolation wohl früher oder später ein Ende bereiten.

Europa hat […] aufgrund des grassierenden Antiamerikanismus entscheidende Möglichkeiten und Potenziale im Nahen Osten, die aber noch nicht voll ausschöpft werden: etwa die Rolle des Vermittlers und ehrlichen Maklers.

Es besteht kein Zweifel: Europa steht in Bezug auf seine Kulturpolitik mit dem Iran vor einer großen Herausforderung – und auch vor einem Dilemma. Einerseits wollen die Europäer die Verbindungen mit Iran wegen seiner bedeutenden geo-politischen Lage aufrechterhalten. Andererseits müssen sie auf ihre Partner, die Vereinigten Staaten und Israel, Rücksicht nehmen.

Bisher haben es Europa und Iran nicht geschafft, kulturelle Angelegenheiten getrennt von der Politik zu betrachten, obwohl gerade in diesem Fall eine Trennung notwendig ist: Meines Erachtens können durch kulturelle Projekte und basierend auf Gemeinsamkeiten eine Annäherung und der Aufbau von bilateralen Beziehungen versucht werden. Diese Situation, die auch noch durch die komplizierte inneriranische Lage erschwert wird, hat in den letzten Jahren nicht nur der Kultur des Irans große Schäden zugefügt, sondern auch den Austausch mit der Welt blockiert.

So haben sich in den letzten Jahren die Aktivitäten der verschiedenen ausländischen Kulturinstitutionen nur noch auf die Sprachvermittlung reduziert. Einerseits, weil sie seitens der iranischen Regierung eingeschränkt wurden, und andererseits, weil die Institutionen, statt nach neuen kulturellen Austauschmöglichkeiten zu suchen, ihre Kulturförderung vollständig eingefroren haben. Dieses Vorgehen wurde seitens der Kulturszene als Desinteresse an regionaler Kunst wahrgenommen und hat dazu geführt, dass bestehende Verbindungen an Stärke und Intensität verloren haben.

Reduzierung auf Sprachvermittlung

Aktiv ist einzig und allein das Österreichische Kulturforum in Teheran, das regelmäßig Kulturprogramme und Künstlerresidenzen anbietet. Sehr selten werden auch einzelne Veranstaltungen seitens der Botschaften organisiert, die aber nicht effektiv sind, denn wenn Kultur auf eine Abendveranstaltung reduziert wird, ist sie schwer vermittelbar. Angebracht wären langfristige Projekte mit der Orientierung auf eine interkulturelle Zusammenarbeit, um wieder Boden zu gewinnen.

Auch der Iran braucht die EU, um sich aus der Isolation und der jahrzehntelangen Embargophase zu befreien. Dabei haben beide Seiten ihre eigenen Bedingungen, auf die der jeweils andere noch nicht eingehen mochte. Und angesichts der geschichtlichen Ereignisse und der Brennpunkte in dieser Region ist es sehr schwer, eine gemeinsame Basis zu finden.

In der gemeinsamen Kulturarbeit können aufkommende Missverständnisse durch Transparenz und Aufklärung beseitigt werden. Dabei sollte beachtet werden, dass dies nur mit Hilfe der lokalen Kulturschaffenden zu bewältigen ist, denn nur sie verfugen über das erforderliche Wissen in Bezug auf die Möglichkeiten und Gegebenheiten. Somit können sie geeignete Formate und Projekte nach Bedarf vorschlagen und ihre Umsetzbarkeit abwägen. Kunst und Kulturforderung sind aber essenziell, und die Szene im Iran sieht den Austausch mit dem Westen als notwendig an.

Kunst- und Kulturströmungen können nicht verhindert oder voneinander abgegrenzt werden. Sie beeinflussen sich gegenseitig, und nur so kann die Kunst leben und der künstlerische Nachwuchs gedeihen. In der internationalen Kulturförderung sollten Aktivitäten möglichst direkt mit Galerien und Künstlern vereinbart werden. Mit weniger Bürokratie und einem Fokus auf individuelle Projektkonzeption bietet sich ein größerer Handlungsspielraum.

Daneben ist die Schaffung eines internationalen Begegnungsraums für iranische Künstler notwendig. Das kann als Künstlerresidenz innerhalb des Iran oder in einem der Nachbarländer erfolgen. Voraussetzung ist natürlich eine Lockerung der Visaangelegenheiten.

Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Zusammenarbeit wäre die Förderung von Workshops und Vortragen in Iran. Diese können in Kooperation mit Universitäten ein breites Publikum erreichen und im Rahmen von Forschung und Wissenschaft auch weitere Möglichkeiten bieten.

In der internationalen Kulturförderung sollten Aktivitäten möglichst direkt mit Galerien und Künstlern vereinbart werden. Mit weniger Bürokratie und einem Fokus auf individuelle Projektkonzeption bietet sich ein größerer Handlungsspielraum.

Die Rolle, die EUNIC, dem europäischen Netzwerk nationaler Kulturinstitute, in diesem Zusammenhang zukommt, ist eine sehr wichtige. EUNIC hat den Vorteil, dass es sich hierbei um einen europäischen Verband handelt, der im Iran aufgrund seiner transnationalen Struktur sogar eine Art „kultureller Immunität“ jenseits von einzelstaatlichen Interessen besitzt. Auf solchem Fundament sind weitere Kulturinitiativen möglich, die allerdings auch geeignete Rahmenbedingungen erfordern.

Bei der Umsetzung sollten überkommene und veraltete Methoden durch neue flexible Strategien ersetzt werden, die unbedingt mit Hilfe der lokalen Kulturschaffenden entwickelt werden müssten.

Im Dezember 2012 hat EUNIC in Teheran ein Cluster ins Leben gerufen, das ein vielversprechender Ausgangspunkt für stärkere Kulturbeziehungen zwischen dem Iran und der EU werden kann. Um diesen erfreulichen Neustart noch weiter in Fahrt zu bringen, sollten weitere Pläne strategisch konstruiert und Projekte als langfristige Beiträge zur Kultur und zeitgenössischen Kunst gefördert werden.

Über die Autorin
Azita Ebadi
Kunst- und Kulturmanagerin

Azita Ebadi ist Kunst- und Kulturmanagerin, Gründerin von algebrART und Mitbegründerin von ArtEngineers. Sie war Leiterin der internationalen Sektion des Magazins Art Tomorrow in Teheran und war an mehreren internationalen Ausstellungen in Indien, Iran, Österreich und Deutschland beteiligt. Für die ifa-Gallerien in Stuttgart und Berlin kuratierte sie zusammen mit Iris Lenz die Ausstellung „Dem Gestern ein Morgen geben. Iran: Architektur und Kunst”.

Kulturreport Fortschritt Europa

Der Kultur kommt im europäischen Einigungsprozess eine strategische Rolle zu. Wie steht es um die Kulturbeziehungen innerhalb Europas? Wie kann Kulturpolitik zu einer europäischen Identität beitragen? Im Kulturreport Fortschritt Europa suchen internationale Autor:innen Antworten auf diese Fragen. Seit 2021 erscheint der Kulturreport ausschließlich online.