Während jahrhundertealte Handelsrouten neu ausgerichtet werden, bietet die Kultur eine Möglichkeit für Europa, einen „New Deal“ mit Afrika einzugehen. Denn dieser an Ressourcen reiche Kontinent braucht ausgewogenere Beziehungen, die auf ehrlichen Versprechen gründen.
Viele afrikanische Länder verändern sich in einer Geschwindigkeit, die in Europa zum Teil schwer nachzuvollziehen ist. Deshalb glauben Menschen in manchen Teilen Afrikas, Europa verliere den Anschluss an die Gegenwart, während neue Global Player mit alternativen Möglichkeiten für internationale Kooperation aufwarten. Trotz aller Bemühungen, etwa durch Programme wie „Investing in People“ („In die Menschen investieren“) gibt es immer noch viel zu tun, um die Ansicht von Afrikanern zu verändern, dass es in einigen Teilen Europas immer noch einen gewissen Einfluss auf die afrikanische Unabhängigkeit gibt. Man glaubt, Europas Engagement in Afrika sei im Laufe der letzten Jahrhunderte vor allem von Europas eigenen Interessen angetrieben gewesen. Es ist offensichtlich, dass eine solche Haltung nicht zeitgemäß ist. Denken wir an die Worte des japanischen Kunstsammlers Soichiro Fukutae, der zum Kunstprojekt der Insel Naoshima schreibt: „Du begehst einen Fehler, wenn du Dinge entscheidest, ohne dabei die Natur, die Menschen und ihre Geschichte mit einzubeziehen.“
Afrikas 54 Staaten werden bis zum Jahr 2050 eine Bevölkerung von über 1.5 Milliarden Menschen haben. Der Großteil wird sich aus jungen und zunehmend urbanen Menschen zusammensetzen. Zahlreiche afrikanische Staaten haben bereits jetzt wirtschaftliche Wachstumsraten, die so kein anderer Ort aufweisen kann. Die vielfältige und gebildete afrikanische Mittelklasse versteht, dass der Kontinent seine enormen Ressourcen – Menschen und Bodenschätze – in neu gestalteten Partnerschaften mit anderen Kontinenten effektiv nutzen kann, insbesondere dort, wo es keine gemeinsame Geschichte der Ausbeutung gibt.
Während jahrhundertalte Handelsrouten neu ausgerichtet werden, bietet die Kultur eine Möglichkeit für Europa, einen „New Deal“ mit Afrika einzugehen. Denn dieser an Ressourcen reiche Kontinent braucht ausgewogenere Beziehungen, die motiviert sind durch das ehrliche Versprechen, gemeinsamen Interessen zu dienen. Es ist weder wünschenswert noch nachhaltig, den „New Deal“ auf paternalistische Haltungen vergangener Jahre aufzubauen. Dies zeigt die jüngste Geschichte Simbabwes mit der Europäischen Union. In vielen afrikanischen Ländern herrscht die Vorstellung, dass in Europa zum Teil immer noch alte paternalistische Haltungen vorherrschen, die sich oftmals in europäischen Kulturinstitutionen manifestieren. Man unterstellt diesen, nach wie vor die Mission zu verfolgen, „unterlegene afrikanische Kulturen und Werte zu zivilisieren“.
Von dieser Wahrnehmung zeugte letztes Jahr der Mediendiskurs über das umstrittene Kunstwerk „The Spear“ von Brett Murray. Es zeigte den Präsidenten Südafrikas mit entblößten Genitalien. Die Arbeit war Teil einer Ausstellung, deren kuratorisches Konzept die Sichtweise nahelegte, dass neue Wächter der Macht im postkolonialen und unabhängigen Südafrika die guten Werte aushöhlen.
Zahlreiche afrikanische Staaten haben bereits jetzt wirtschaftliche Wachstumsraten, die so kein anderer Ort aufweisen kann.
Ebenso wie Europa ist auch Afrika durch seine einzigartige Geschichte und Kultur geprägt. Die unterschiedlichen Bewohner betrachten die sie umgebende Welt und überliefern sie von einer Generation zur nächsten über differenzierte Bildungssysteme, Überzeugungen, Bestrebungen, Gebräuche, Moral, Traditionen und Gewohnheiten. Afrikanische Philosophien wie Ubuntu in Südafrika und Sankofa in Westafrika stellen eine Verbindung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft her und verankern die Gesellschaft in Zeit und Raum, zwischen Diesseits und Jenseits. Afrikaner prüfen immer noch die höchsten Werte ihres kulturellen Seins durch unterschiedliche Philosophien und künstlerische Ausdrucksformen. Die sogenannte „afrikanische Renaissance“ wird unterstützt durch das wiederbelebte Narrativ eines kulturell vielfältigen Kontinents.
Recht auf Unabhängigkeit
Obschon Simbabwe und Europa über Religion, Sprache, Kultur und Kunst sowie jahrhundertelangen Handel komplexe Beziehungen geknüpft haben, fällt es Europäern zum Teil immer noch schwer anzuerkennen, dass Afrikaner ein Recht auf politische, wirtschaftliche, spirituelle und kulturelle Unabhängigkeit haben. Dies beinhaltet auch das Recht, Fehler zu begehen. Auch Europa hat Fehler gemacht, macht sie noch immer und lernt auch aus ihnen. Afrikaner beobachten etwa besorgt, dass extrem rechte politische Ansichten salonfähiger werden – in Europas Politik und damit auch in der außenpolitischen Agenda.
Die von Europa angestrebte Agenda für kulturelle Kooperation mit Afrika wird gut beschrieben in politischen Maßnahmen mit der folgenden strategischen Absicht: „Im Laufe der Jahre ist Kultur zu einem integralen Bestandteil des politischen Rahmenwerks der EU im Bereich Entwicklung geworden, wie es auch im europäischen Konsens für Entwicklung verankert ist. In der Mitteilung über eine europäische Agenda für Kultur wird deren Rolle hervorgehoben, in einer sich globalisierenden Welt Brücken zwischen Ländern und Regionen zu bauen und ein wichtiges Instrument für nachhaltige Entwicklung zu liefern.“
Europäischen Institutionen, die in Afrika aktiv sind, begegnet man verständlicherweise mit der Haltung: „Vertraue, aber vergewissere dich“. Denn man glaubt, dass ihre Mission oftmals auch das Bedürfnis widerspiegelt, dem Kontinent beim neuen „Gerangel“ um Afrikas reichhaltige Ressourcen eine günstige Position zu sichern.
Bei einem „New Deal“ werden Kultur als Katalysator für nachhaltige Entwicklung wie auch Afrikas Natur, seine Menschen und seine Geschichte berücksichtigt werden müssen. Der Wunsch, Afrika „zivilisieren“ zu wollen, hat sich bekanntermaßen nicht als nachhaltige Entwicklungsagenda erwiesen. Was hat sich verändert? Was bringen die neuen „Missionare“ mit ihren Weltanschauungen und Modellen? Warum werden Missionen, Kunst als Instrument zu nutzen, die in Afrika etwa durch mächtige Netzwerke wie EUNIC präsentiert werden, als Bedrohung für nachhaltige Entwicklung wahrgenommen?
[Es fällt] Europäern zum Teil immer noch schwer anzuerkennen, dass Afrikaner ein Recht auf politische, wirtschaftliche, spirituelle und kulturelle Unabhängigkeit haben.
Antworten auf diese Fragen findet man vielleicht in einem größer werdenden Bedürfnis nach gerechten „New Deals“ mit Afrika. Untersucht man neue Ansätze für Europas Engagement in Afrika, lohnt sich ein Blick auf die simbabwische Agrarreform des vergangenen Jahrzehnts. Der „Culture Fund of Simbabwe Trust“ wurde in einer Phase gegründet, als multilaterale Beziehungen zwischen den Regierungen von Simbabwe und der EU unterbrochen waren. Das Land erlitt einen noch nie da gewesenen wirtschaftlichen Niedergang.
Neue Formen des Engagements
Zu dieser Zeit eröffnete Schweden durch die „Swedish International Development Cooperation Agency“ (Sida) Wege, mit den Menschen von Simbabwe verbunden zu bleiben: Sie finanzierte den Kulturfonds und half dabei, diesen zum bedeutendsten Entwicklungsförderer für Kunst und Kultur in Simbabwe zu machen. Der Kulturfonds von Simbabwe (Culture Fund of Zimbabwe) entstand aus dem Wunsch der internen Interessenvertreter, über die Entwicklung der kulturellen Struktur des Landes selbst zu bestimmen. Der Fonds berücksichtigte Best Practice-Beispiele aus Tansania, wo Akteure aus diesem Bereich erkannt hatten, dass nordeuropäische Architekten womöglich nicht in der Lage sind, in Afrika Häuser zu entwerfen und zu bauen, ohne eine Vorstellung von der Natur, den Menschen und der Geschichte zu haben. Aus den ihnen zugrunde liegenden Werten entstand ein neues Finanzierungsmodell für die kulturelle Struktur. Um den Bedürfnissen vor Ort zu entsprechen, wurde ein Hybrid entwickelt aus Europas zentralisiertem und subventioniertem Ansatz und Amerikas dezentralisiertem Ansatz mit Anreizen zur Steuerbefreiung.
Seit nahezu einem Jahrzehnt hat die schwedische Regierung alle ihre Entwicklungsfonds für Kultur in Simbabwe auf den Kulturfonds übertragen. Der Fonds wird von Simbabwern verwaltet und reagiert auf Prioritäten und den Entwicklungsbedarf vor Ort. Die Programmleitung wird von einem unabhängigen Kuratorium überwacht, das Strategien entwirft, die mit den Entwicklungszielen und Prioritäten der Simbabwer im Einklang sind. Die verantwortliche Führung basiert auf allgemein anerkannten Normen. Zusätzlich kontrollieren externe Rechnungsprüfer und Gutachter jedes Jahr, ob die Regeln in Organisation und Abläufen eingehalten werden.
Dieses Modell hebt Schweden und Sida innerhalb der Gemeinschaft europäischer Nachbarn in Simbabwe heraus. Die Beziehungen zwischen Simbabwe und Schweden haben jedoch eine noch längere Geschichte. Die Schweden befürworteten Simbabwes Freiheitsbewegung; sie gestanden schwarzen Simbabwern das Recht auf Selbstbestimmung zu, als andere Länder in Europa dies noch für verfrüht hielten. Und vor kurzem hat das Kooperationsmodell des Kulturfonds mit Schweden eine neue zweijährige Partnerschaft mit der Europäischen Union ermöglicht.
Die Schweden befürworteten Simbabwes Freiheitsbewegung; sie gestanden schwarzen Simbabwern das Recht auf Selbstbestimmung zu, als andere Länder in Europa dies noch für verfrüht hielten.
Tatsächlich unterscheiden sich die Außenbeziehungen der EU mit Afrika im Allgemeinen und mit Simbabwe im Besonderen in den verschiedenen europäischen Ländern. Die britisch-simbabwischen Beziehungen sind aufgrund der kolonialen Vergangenheit und der Community der weißen Siedler kompliziert. Die verbliebenen kleinen weißen Communities üben weiterhin einen großen Einfluss aus. In den letzten zehn Jahren hat ihre Anwesenheit im neuen Simbabwe sowohl die britisch-simbabwischen Beziehungen als auch die Beziehungen Simbabwes mit ganz Europa geprägt.
Obschon Großbritannien als das Land der Europäischen Union betrachtet wird, das hauptsächlich für die politische Sackgasse zwischen Simbabwe und Europa verantwortlich ist, gibt es die Chance auf eine neue Form des Engagements. Dieses könnte zum Beispiel auf den Netzwerken Hunderttausender Simbabwer aufbauen, die im Anschluss an die Agrarreformen der letzten zehn Jahre nach Großbritannien ausgewandert sind. Diese Migranten sind in Europa integriert worden. In der sich nun abzeichnenden Ära der Entspannung werden sie neue Perspektiven für kulturellen Austausch und Diplomatie eröffnen.
Afrikanische Interessen
Die Erwartungen der Afrikaner an die auswärtigen Beziehungen Europas entspringen dem Bedürfnis, die Zusammenarbeit zu verbessern. Sie orientiert sich nun an neuen Prioritäten in der Entwicklungsarbeit, wie etwa Klimawandel und erneuerbare Energien. In den letzten Jahren hat sich die Europäische Union in ihrer Entwicklungshilfe für Simbabwe auf Bereiche wie Menschenrechte, Demokratie und Good Governance (verantwortungsbewusste Regierungsführung) konzentriert.
Die Simbabwer sind heute hochgradig gebildete und anspruchsvolle Menschen, die an den unterschiedlichen Ideen aus verschiedenen Teilen der Welt teilhaben wollen. Obgleich sie es traditionell immer vorgezogen haben, sich mit dem Norden zu beschäftigen, kooperieren sie nun auch mit dem Süden und dem Osten. Bislang hat man der Kultur keine wichtige Rolle als Katalysator menschlicher und sozialer Entwicklung zugeschrieben. Diese Einstellung muss sich verändern.
Während sich das globale Gleichgewicht politischer und wirtschaftlicher Macht in den nächsten Jahrzehnten Richtung Osten verschiebt, wird Afrika seine Vorstellungen über allgemein anerkannte Menschenrechte, Demokratie und Good Governance neu definieren und aus einem anderen Blickwinkel betrachten müssen. Von zentraler Bedeutung wird dabei sein, was und wer Afrikas Interessen am meisten entgegenkommt.
Die Konferenz „European External Cultural Relations: Expectations from the outside“, die 2012 in Brüssel stattfand, unternahm einen ehrlichen Versuch, die Absicht und den Fokus einer „erneuerten Politik der Entwicklungskooperation“ der Europäischen Union auf den Prüfstand zu stellen. Das neue Afrika will ein gleichberechtigter Partner der EU werden, weil es ein Recht darauf hat. Es ist sich seiner riesigen und reichhaltigen humanen und natürlichen Ressourcen bewusst. Die jüngeren Afrikaner haben ein neues Narrativ. Sie sind sich über die Geschichte und ihr Erbe im Klaren und streben zugleich nach einer Zukunft mit mehr Selbstbewusstsein und Wohlstand.
Über den Autor
Farai Mpfunya
Manager und Berater im Kultur- und Kreativsektor
Farai Mpfunya ist Manager im Kultur- und Kreativsektor, internationaler UNESCO-Experte und Berater für Governance, Strategie und Politikgestaltung im Kunst- und Kulturbereich. Er war Mitbegründer und Geschäftsführer des „Culture Fund of Zimbabwe Trust“, Mitglied des kulturpolitischen Ausschusses der panafrikanischen Organisation „Arterial Network“ und im Vorstand von „Art Moves Africa“.
Kulturreport Fortschritt Europa
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