Drehender Wind
Der Wind hatte sich gedreht: Ich war ein vom Staat gesuchter „Verbrecher“. Ein Attribut, das die Feier und die Teilnehmer bei ihrer Rückkehr in die Türkei gefährden konnte. Wie eine ansteckende Krankheit hatte die Angst also auch hier Einzug gehalten. „Versteh es nicht falsch, wir fürchteten, durch deine Teilnahme könnte die Feier eine andere Richtung bekommen. Den Saal in der Universität haben wir nur bekommen, weil wir dafür garantiert haben, dass es keine politische Veranstaltung wird.“
Jeder Satz, der erklären sollte, vertiefte nur meine Enttäuschung. „Nicht das Schwert tötet den Helden, sondern ein böses Wort, pflegte mein seliger Vater zu sagen. Ich war es gewohnt, von Gegnern ausgegrenzt zu werden, bei Freunden aber traf mich das unvorbereitet. Die stacheligen Attacken Erdoğans taten nicht weh, doch jetzt stach mir eine Rose in die Hand, als ich an ihr schnuppern wollte, eine Rose, die ich kannte.
Wie eine ansteckende Krankheit hatte die Angst also auch hier Einzug gehalten.
Ich bemühte mich zu kaschieren, wie verletzt ich war. Wir gingen alle gemeinsam essen an jenem Abend. Ohne um Erlaubnis gebeten zu haben, teilte ich ein Foto als glückliche Erinnerung auf Twitter, versehen mit der Zeile: „Unter Freunden / Am Tisch der Sonne.“
Dass ich sie damit in Schwierigkeiten brachte, wurde mir erst später klar. Ebenso, dass ich nicht mehr „der alte Can“ war. Es war riskant, mit mir auf einem Foto abgebildet zu sein, ein Risiko, das einen teuer zu stehen kommen konnte. So warteten denn auch die regimetreuen Medien nicht einmal den Morgen ab, sondern brandmarkten sie alle noch in der Nacht auf ihren Internetseiten.
Mit der Bürde dieses Wissens war ich zu Bett gegangen. Mit der Nachricht vom Überfall stand ich am nächsten Morgen auf. Winston Churchill hatte einst gesagt: „Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich sicher sein kann, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe.“
Wir dagegen hatten in der Schule des Lebens gelernt, dass es die Polizei ist, wenn es morgens an der Tür läutet. In der Morgendämmerung läutete es an 16 Türen. Vom Vorsitzenden der Stiftung, die die „Cumhuriyet“ herausgibt, bis zum Chefredakteur, vom Kolumnisten bis zum Karikaturisten, vom Buchhalter bis zum Anwalt wurde die gesamte Führungsriege der Zeitung aus dem Bett geholt und festgenommen.
Wir hatten die Operation seit Monaten erwartet. Meine Frau Dilek war in Izmir, welch glücklicher Zufall. Als niemand die Tür öffnete, hatte die Anti-Terror-Einheit die Nachbarn aus dem Bett geholt und genötigt, Dilek anzurufen. Als ich mit ihr sprach, war sie wieder einmal gelassen und mutig: „Normalerweise lassen sie einen Schlosser öffnen und gehen rein, aber als ich sagte, ich komme sofort, wollten sie warten. Ich fliege gleich hin und schließe ihnen auf.“
Die Heimsuchung stand buchstäblich bei uns vor der Tür. Ich versuchte sofort, die Mitarbeiter der Zeitung zu erreichen. Die Telefone waren ausgeschaltet. Die meisten hatte man auf die Polizeiwache mitgenommen. Hilflos verfolgte ich auf dem Fernsehbildschirm, wie meine Kollegen von Polizisten abgeführt wurden.
Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich sicher sein kann, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe. [Winston Churchil]
Es kamen Freunde, die am Morgen davon gehört hatten. Alle waren besorgt: Manche fürchteten, bei der Zeitung würde ein Zwangsverwalter eingesetzt werden, andere waren in Panik, bei der Rückkehr womöglich selbst verhaftet zu werden. Abgeordnete fragten uns verzweifelt: „Was sollen wir tun?“, meine engsten Freunde rieten: „Schreib vorerst nichts, zieh dich in ein Dorf in den Bergen zurück, bring dich eine Weile in Vergessenheit.“
Solche Worte, die Atmosphäre des Niedergangs, die Verzweiflung ringsum stachelten mich nur weiter auf. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. Bald bekam das Geschehen Konturen: Wegen angeblicher „Unterstützung und Beihilfe für PKK und FETO17“ waren Ermittlungen eingeleitet und Festnahmen angeordnet worden. Über die Ermittlungen war Geheimhaltung verhängt worden, um Debatten von vornherein zu unterbinden.