Blaue Murmel im Weltall
Beauftragt man die Ameisen, das Picknick auszurichten, werden die Ameisen das Picknick nach ihrem Geschmack umgestalten: Es wird keine Menschen geben, nur Sandwiches und Kekse. Die Ameisen zumindest wissen, in was für einer Welt sie leben wollen, und sie machen keinen Hehl daraus. Ameisen sind keine Heuchler. Dieselbe Frage müssen sich die Bürger jedes Landes stellen: In was für einer Welt wollen sie leben? Ich mit meiner düsteren Weltsicht würde diesen Satz beschränken auf die Frage: Wollen sie leben? Denn wenn wir Abstand nehmen von unserem Menschenbild – so weit Abstand nehmen, bis die Grenzen zwischen den Ländern verschwinden und die Erde zu einer blauen Murmel im Weltall wird, mit viel mehr Wasser darauf als Land –, liegt es auf der Hand, dass unser Schicksal als Spezies daran geknüpft ist, ob wir die Meere zerstören oder nicht. Sterben die Meere, dann sterben auch wir – mindestens 60 Prozent unseres Sauerstoffs stammt von Meeresalgen.
Die Kunst, die wir schaffen, ist spezifisch für die zugrunde liegende Kultur (…).
Aber es gibt Hoffnung: Geniale Köpfe arbeiten bereits an Problemen wie diesem. Doch was soll man einstweilen als Künstler tun? Wozu überhaupt Kunst schaffen, in so verstörenden Zeiten? Was ist das überhaupt, Kunst? Warum sollten wir uns damit abgeben? Was macht man damit? Lernen, lehren, uns ausdrücken, die Realität beschreiben, uns unterhalten, die Wahrheit darstellen, feiern oder gar anklagen und verfluchen? Es gibt keine allgemeingültige Antwort. Seitdem der Mensch erkennbar menschliche Züge trägt, hat er Kunst geschaffen – Musik, Bilder, Theater – auch Rituale –, und Sprachkunst mitsamt dem Erzählen von Geschichten. Kinder reagieren auf Sprache und Musik, bevor sie selbst sprechen können: Die Fähigkeit scheint integriert zu sein.
Die Kunst, die wir schaffen, ist spezifisch für die zugrunde liegende Kultur – für deren Standort, deren treibendes Energiesystem, deren Klima und Nahrungsquellen, und für deren Glaubensvorstellungen, die wiederum mit allem verbunden sind. Aber noch nie haben wir keine Kunst geschaffen. Jahrhunderte lang entstand Kunst im Auftrag der Herrscher – Könige, Kaiser, Päpste, Herzoge und dergleichen. Doch seit romantischen und postromantischen Zeiten werden an den Künstler andere Erwartungen gestellt. Natürlich soll er oder sie vor den Mächtigen die Wahrheit aussprechen, die Geschichten erzählen, die verdrängt worden sind, den Stimmlosen eine Stimme geben. Und viele Schriftsteller haben das getan; oft haben sie sich Ärger eingehandelt, und manchmal hat es sie das Leben gekostet. Aber sie mussten gestalten. Sie haben heimlich geschrieben, sie haben ihre Manuskripte aus der Gefahr herausgeschmuggelt und dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt.
Sie sind von weit hergekommen, erschöpft wie der Bote aus dem Buch Hiob, der die Worte spricht: "Und ich bin allein entkommen, um es dir zu melden." Um es dir zu melden. Um es dir, lieber Leser, Singular, zu melden. Ein Buch ist eine Stimme in deinem Ohr; die Botschaft ist – während du sie liest – für dich allein bestimmt. Ein Buch zu lesen ist sicherlich die denkbar intimste Erfahrung der Gedankenwelt eines anderen Menschen. Schriftsteller, Buch und Leser – in diesem Dreieck stellt das Buch den Boten dar. Und alle drei sind Teil eines Schöpfungsaktes, ähnlich wie Komponist, Orchestermitglied und Zuhörer am Schöpfungsakt teilnehmen. Der Leser ist der Musiker des Buches. Und was den Schriftsteller anbelangt, ist sein Part erledigt, sobald das Buch hinausgeht in die Welt; es ist das Buch, das dann leben oder sterben wird, und was mit dem Schriftsteller passiert, ist an diesem Punkt, aus Sicht des Buches, sekundär.
Ein Buch zu lesen ist sicherlich die denkbar intimste Erfahrung der Gedankenwelt eines anderen Menschen.
Jeder Gewinner eines Kunstpreises ist der vorübergehende Repräsentant aller Praktizierenden dieser Kunst sowie der Gemeinschaft, die die Existenz der Kunst ermöglicht – diejenigen, die uns vorangegangen sind, diejenigen, von denen wir selbst gelernt haben, diejenigen, die gestorben sind, bevor sie Anerkennung fanden, diejenigen, die gegen Rassendiskriminierung ankämpfen mussten, ehe sie ihre Stimme fanden, diejenigen, die für ihre politischen Ansichten getötet wurden und diejenigen, denen es gelang, Zeiten der Unterdrückung und Zensur zu überstehen.
Dann gibt es diejenigen, die nie Schriftsteller wurden, weil man ihnen keine Möglichkeit gab – wie die vielen nordamerikanischen, australischen und neuseeländischen Geschichtenüberbringer und oral poets aus indigenen Kulturen der Vergangenheit und sogar der Gegenwart. Für solche Stimmen öffnen sich auf der ganzen Welt Türen; andere Türen aber werden geschlossen. Hier müssen wir wachsam bleiben. Lassen Sie uns keine Türen schließen und Stimmen zum Schweigen bringen. Eines Tages werde ich einen Strand entlangspazieren oder einen Buchladen betreten, und ich werde eine Flaschenpost finden oder ein Buch, und ich werde es öffnen und werde die Botschaft lesen, von dir an mich – ja, von dir da draußen, einem jungen Schriftsteller, und vielleicht ist es sein erstes Buch. Und ich werde sagen: Ja. Ich kann dich hören. Ich kann deine Geschichte hören. Ich kann deine Stimme hören.
Aus dem kanadischen Englisch übersetzt von Monika Baark.