Nicht so neurotisiert wie jeder von uns durch die schlimmen Weltereignisse, wo man viele Zeitungen lesen und dauernd am Fernseher hocken muss im Warten auf die Verheißung einer weiteren Eskalation des Terrors, kann ich in den Wochen, in denen „König Fußball regiert“, getrost aufs Zeitunglesen und Fernsehgucken verzichten, es genügt ein rasches Überfliegen der achten Seite nach Meldungen, der Rest ist voll von jenen Dingen, über die ich nichts wissen will.
Andacht der Massenmedien
Man braucht sich auch nicht zu fragen, warum die WM in so krankhafter Weise das Interesse des Publikums und die Andacht der Massenmedien auf sich zieht: Von der bekannten Geschichte der Komödie des Terentius, der die Zuschauer wegliefen, weil es das Schauspiel mit den Bären gab, über die scharfsinnigen Betrachtungen römischer Imperatoren zur Nützlichkeit der Circenses bis hin zum gezielten Gebrauch, den seit jeher die Diktaturen von den großen Wettkampfereignissen machen, ist es dermaßen klar und offenkundig, dass die Mehrheit sich lieber mit Fußball und Radrennen als mit der Abtreibungsfrage befasst, daß es die Mühe nicht lohnt, sich darüber noch groß Gedanken zu machen.
Das Reden über den Fußball verlangt eine sicher nicht vage, aber alles in allem begrenzte, genau umrissene Kompetenz; es erlaubt Stellungnahmen, Meinungsäußerungen, Lösungsvorschläge, ohne dass man sich der Verhaftung, dem Radikalenerlaß oder jedenfalls dem Verdacht aussetzt.
Doch da ich nun einmal durch äußeren Anstoß dazu gebracht worden bin, ein bißchen darüber nachzudenken, sei ein Gedanke denn hier geäußert: Nie hat die öffentliche Meinung, besonders in Italien, eine schöne Weltmeisterschaft so dringend gebraucht wie gerade jetzt. Tatsächlich ist ja, wie ich schon zu bemerken Gelegenheit hatte, die Sportdiskussion (ich meine das Sportspektakel, das Reden über das Sportspektakel, das Reden über die Journalisten, die über das Sportspektakel reden) der bequemste Ersatz für die politische Diskussion. Anstatt sich ein Urteil über die Operation des Finanzministers zu bilden, fragt man sich, ob das WM-Finale durch Zufall oder durch spielerisches Können oder durch diplomatische Alchimien zustande kommt.
Das Reden über den Fußball verlangt eine sicher nicht vage, aber alles in allem begrenzte, genau umrissene Kompetenz; es erlaubt Stellungnahmen, Meinungsäußerungen, Lösungsvorschläge, ohne dass man sich der Verhaftung, dem Radikalenerlaß oder jedenfalls dem Verdacht aussetzt. Es verlangt nicht, dass man sich überlegt, wie man persönlich eingreift, da man ja über etwas spricht, das weit außerhalb des eigenen Machtbereichs abläuft.
Mit einem Wort, es erlaubt, Politik zu spielen: Politik als Führung der Causa Publica ohne all die Beschwernisse, all die Pflichten, all die schwierigen Fragen der politischen Diskussion. Es ist für erwachsene Männer so etwas wie das Hausfrau-Spielen für kleine Mädchen: ein pädagogisches Spiel, das lehrt, den eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden.
Betrachten wir uns doch einmal selbst, wir als kritische Italiener und Europäer in Momenten wie heute, in denen die Beschäftigung mit der Causa Publica (der wahren) so traumatisch ist? Die ganzen Fußball-Meisterschaften sind für uns wie der Parmesan auf den Makkaroni. Endlich mal was, das nichts mit den Terrorismus zu tun hat! Vielleicht müsste man auch weniger allgemeine politische Diskussionen führen und stattdessen mehr Soziologie der Circenses betreiben. Auch weil es Circenses gibt, die nicht auf den ersten Blick als solche erscheinen: zum Beispiel gewisse Zusammenstöße zwischen Polizei und „Extremisten“, die in manchen Zeiten immer nur samstags stattfinden, nachmittags zwischen fünf und sieben.