Angesichts der Spaltungstendenzen schufen sie neue, mutmachende Modelle eines zeitlich begrenzten, losen Zusammenschlusses von Menschen auf öffentlichen Plätzen nach dem Motto "Vereint halten wir die Mitte!"
Nach und nach wurden jedoch viele dieser Bewegungen niedergeschlagen, marginalisiert oder vom bestehenden politischen System geschluckt und konnten ihre Ziele aus diversen, durchaus verständlichen Gründen nicht erreichen – noch nicht. Doch immerhin wurden sie deutlich gehört, als sie der Welt verkündeten, dass sich die repräsentative Demokratie (von den Finanzinstitutionen missbraucht und sozialer Gerechtigkeit beraubt) in ihrer größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg befinde.
Heute erleben wir die Reaktion vieler ganz anderer Menschen auf ganz ähnliche Ängste. Diese Menschen haben einen begrenzteren Wortschatz, kleinere Träume für die Welt und weniger Zutrauen in das gemeinsame Überleben aller. Auch sie behaupten, den Status quo verändern zu wollen – allerdings in Richtung einer Welt, in der sie zu den wenigen Glücklichen gehören werden, die sich unter der Führung eines starken Mannes behaupten. Nicht zufällig ist "Mauer", ob im wörtlichen oder übertragenen Sinn, zum Schlagwort erstarkender rechtspopulistischer Bewegungen geworden. "Ja, die Welt spaltet sich", heißt es, "und wir, das Volk, werden uns einen Platz auf der Sonnenseite der Trennmauer verschaffen."
Sie behaupten, den Status quo verändern zu wollen – allerdings in Richtung einer Welt, in der sie zu den wenigen Glücklichen gehören werden, die sich unter der Führung eines starken Mannes behaupten.
Es geht ihnen nicht darum, danebenzustehen und zuzusehen, wie Babys im Mittelmeer sterben, sondern sie selbst wollen nicht ebenfalls sterben. Der Schrei, der aus der Provinz in die Großstädte hallt, ist der Hilferuf von Menschen, die aus Angst, im stetig ansteigenden Meer des Zerfalls zu ertrinken, ihr Interesse am Überleben anderer hintanstellen und sich lieber rücksichtslos bewegen.
Im Gegensatz zu politischen Parteien, die innerhalb der Wirklichkeit agieren und das Spiel spielen, ohne sich zu bewegen, verheißen politische Bewegungen immer eine Veränderung vom Realen zum Möglichen. In Ländern von der Türkei bis zu den USA, darunter hoch entwickelte Staaten mit scheinbar starken demokratischen Institutionen wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland, scharen sich Menschen hinter dreisten, skrupellosen Populisten, um sich gemeinsam zu bewegen und die von ihnen als Establishment bezeichnete Wirklichkeit, also das Spiel selbst, anzugreifen, das sie als dysfunktional und korrupt empfinden. Die Volksbewegung verkörpert den neuen Zeitgeist; sie verspricht, den mit Brackwasser gefüllten Sumpf auszutrocknen, zu dem die Politik angeblich verkommen ist, und den Menschen auf diese Weise ihre Würde zurückzugeben.
In Ländern von der Türkei bis zu den USA, darunter hoch entwickelte Staaten mit scheinbar starken demokratischen Institutionen wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland, scharen sich Menschen hinter dreisten, skrupellosen Populisten.
Mit anderen Worten: Les invisibles, die Massen, denen lange unterstellt wurde, sie interessierten sich nicht für Politik und Weltgeschehen, entziehen dem derzeitigen repräsentativen System weltweit ihr vermeintliches Einverständnis. Und das klingt so, als würde ein Eisbrocken von der Antarktis abbrechen. Weil das fragile Ich natürlich überfordert ist, wenn es den Lauf der Ereignisse ändern soll, erlebt das Wir ein Comeback in Politik und Ethik.
Dieses Comeback ist der Kern des globalen Phänomens, das wir gerade erleben. Das Wir will das Festland der politischen Sprache verlassen, will sie demontieren und eine neue Sprache für das Volk erschaffen. Wer wissen möchte, wer das Volk ist, muss nach dem Wir fragen. Warum will ich nicht mehr ich, sondern nur noch wir sein?
Schon in seinem Erstlingswerk „So werden Sie erfolgreich“ erwähnt Donald Trump die "wahrheitsgemäße Übertreibung", die ihn später ins Weiße Haus bringen sollte. Bestimmt war er stolz darauf, gezeigt zu haben, dass man amerikanischer Präsident werden kann, ohne ein einziges anderes Buch als das eigene gelesen zu haben. Trump kannte eben eine einfache Wahrheit über den Menschen, die von den meisten ignoriert wird: Trotz des seit Jahrzehnten gepriesenen Individualismus braucht der Durchschnittsmensch auch heute noch einen Hirten, der ihn zur Größe führt. Trump wusste, wie demütigend und enttäuschend das Gefühl ist, nur Mittelmaß zu sein in einer Welt, in der man angeblich sein kann, was immer man sein will.