Illustration: zwei gezeichnete Menschen sitzen an einem Verhandlungstisch und geben sich die Hand.

Die Politik des Sports

Korruption, Veruntreuung öffentlicher Gelder und groß angelegte Infrastrukturprojekte, die im Namen des Sports entwickelt wurden: Wie beeinflussen Großereignisse im Sport das Image eines Landes? Worin bestehen die künftigen Herausforderungen von Sport und Politik?

Vor 20 oder 30 Jahren hätte ein Essay über Sport und Politik erst einmal einige Seiten lang rechtfertigen müssen, warum beide Konzepte überhaupt zusammen besprochen werden. Politiker, Sportverantwortliche und Sportler selbst wiederholen regelmäßig, Sport und Politik seien jeweils etwas Eigenes, das man voneinander trennen sollte.

Schreibt man aber heute – vor dem Hintergrund weit verbreiteten Dopings im Sport, Korruption, Veruntreuung öffentlicher Gelder, groß angelegter Infrastrukturprojekte, die im Namen des Sports entwickelt wurden, und einem sich nach oben schraubenden „Wettrüstens im Sport“ – kann man nur wenige Zeilen damit vergeuden, über das Politische im Sport nachzudenken. Die Herausforderung ist heutzutage eine andere: Wo fängt man an?

Nahezu alle Aspekte des Sports sind politisch – insbesondere, wenn wir davon ausgehen, dass es in der Politik im Wesentlichen um die Verteilung von Ressourcen geht, oder wie der es amerikanische Politikwissenschaftler und Kommunikationstheoretiker Harold D. Laswell 1936 ausgedrückt hat: „Wer bekommt was, wann und wie?“ Sport ist zu einer Ware geworden, während die Sportindustrie selbst dringend benötigte Gewinne in die Staatskasse spült; Hochleistungssport wird als Mittel genutzt, um das Image eines Staats auf der internationalen Bühne zu verbessern, oder als Chance für Sportler, von einer Nation zur anderen zu „springen“ und unter einer ausländischen Flagge zu konkurrieren, gewöhnlich für gutes Geld.

Nahezu alle Aspekte des Sports sind politisch.

Ich möchte hier über einige Herausforderungen schreiben, mit denen der globale Sport heute konfrontiert ist und über einige der historischen Vorläufer dieser Herausforderungen. Anfangs werde ich mich auf vier wichtige Beispiele aus der deutschen Sportgeschichte beziehen, die ich für relevant halte angesichts der aktuellen Herausforderungen, denen sich der globale Sport gegenübersieht, und weil sie diese geprägt haben.

In einem weiteren Abschnitt werden dann einige der Schlüsselthemen weiterentwickelt, es geht dabei auch um Politiker und den Diskurs der „Vermächtnisse“ einiger sportlicher Großereignisse.

 

Meine Schlussfolgerung lautet nicht, dass der Sport weniger politisch sein sollte, sondern dass wir versuchen müssen, den Sport mehr für das gesellschaftliche Wohlergehen und weniger für den finanziellen Gewinn zu instrumentalisieren.

Deutschland spielte eine stark unterschätzte und doch zentrale Rolle bei der Manipulierung des Sports für politische Zwecke. Das erste Beispiel könnte man als Beginn der „Mega“-Sportereignisse betrachten – die Olympischen Spiele von 1936. Diese werden weithin als erster und eklatantester Gebrauch des Sports für politische Zwecke betrachtet. Die Nazis haben auch den Fackellauf eingeführt.

Der Unterschied zwischen den ursprünglichen politischen Motiven für die Initiierung des Fackellaufs und dessen heutigem Einsatz ist aufschlussreich. Während ihn die Nazis nutzten, um das eigene Regime zu propagieren, ist er inzwischen zu einem integralen Bestandteil des Gemeinschaftsengagements der olympischen Bewegungen geworden, bei dem versucht wird, für das Ereignis selbst zu begeistern statt für die Gastgeber.

Menschenmenge beim Anblick der olympischen Fackel, Berlin 1936.
Die Olympischen Spiele 1936 werden weithin als erster und eklatantester Gebrauch des Sports für politische Zwecke betrachtet, Foto: Mary Evans via picture alliance

Der Fackellauf ist nun eine Zielscheibe für Protestgruppen, die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen wecken wollen, wie es im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking der Fall war, als tibetische Mönche chinesische Menschenrechtsverletzungen anprangerten. Eine andere Nachwirkung der Spiele von 1936 auf die heutige Nutzung des Sports ist der Gigantismus: Die extravagante Show der Nazis – zu der 10.000 Tänzer gehörten, die ein Stück zur Aufführung brachten, sowie ein aus 3.000 Menschen bestehender Chor – hat zum exponentiellen Wachstum einer gigantischen Show während der Eröffnungs- wie auch während der Abschlussfeiern der Olympischen Spiele geführt.

Heute versucht das Gastgeberland oftmals das eigene internationale Image zu verbessern, indem seine Kompetenz wahrgenommen wird, solch ein komplexes, facettenreiches und kommerzielles Event zu veranstalten. Und die Kostenexplosion, die mit einer guten Show verbunden wird, ist ein regelrechtes „Wettrüsten im Sport“.

Der Fackellauf ist nun eine Zielscheibe für Protestgruppen, die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen wecken wollen, wie es im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking der Fall war, als tibetische Mönche chinesische Menschenrechtsverletzungen anprangerten.

Das zweite deutsche Beispiel hat seine Wurzeln in den tragischen Ereignissen in München 1972. In diesem Jahr wurde erstmals ein großes Sportereignis von Terroristen zu politischen Zwecken kalkuliert benutzt. Dies hat die Art und Weise beeinflusst, in der nachfolgende Großveranstaltungen im Sport nun „sekuritisiert“ werden. Nach der sorgfältigen Planung und den beträchtlichen Anstrengungen, die Deutschland für die Spiele von 1972 unternommen hatte, schlug der politische Terrorismus zu; elf israelische Mitglieder des olympischen Teams sowie ein westdeutscher Polizist wurden während einer Geiselnahme durch die palästinensische Gruppe Schwarzer September getötet.

Hätten die Spiele ein paar Tage früher geendet, als eine 16 Jahre alte Deutsche überraschend im Hochsprung gewann – obwohl sie die dritte Wahl für ihr Nationalteam gewesen war –, wäre München wahrscheinlich als Sinnbild für Deutschlands Neuintegration nach dem Krieg in die Sportgeschichte eingegangen.

 

Die "Sekuritisation" sportlicher Großereignisse

An einem Gebäude sind zwei Überwachungskameras angebracht.
Die „Sekuritisation“ solcher Großereignisse stellt seit dem „Krieg gegen den Terror“ eine noch größere Herausforderung dar, Foto: Arthur Mazi via unsplash

München erinnert uns aber an die Risiken, die mit einem Mega-Sportereignis einhergehen; eine der wesentlichen Hinterlassenschaften dieser Spiele ist die „Sekuritisation“ sportlicher Großereignisse, die bei den Olympischen Spielen in London 2012 ihren Höhepunkt erreichte. Zu den Maßnahmen, die in London ergriffen wurden, um eine Sicherheitskatastrophe im Stil Münchens zu verhindern, zählte die Umrundung des olympischen Geländes mit einem elektrischen Zaun, der elf Meilen lang war, 80 Millionen Pfund kostete und mit 5.000 Volt geladen war – Großbritannien stationierte sogar Flugabwehrraketen auf Wohnhäusern in der Nähe des olympischen Geländes. Die „Sekuritisation“ solcher Großereignisse stellt seit dem „Krieg gegen den Terror“ nach dem 11. September 2001 und nach den Terroranschlägen in Paris 2016 eine noch größere Herausforderung dar. Wahrscheinlich wird diese Art von Terrorismus verändern, wie solche Events abgehalten, erlebt und genossen werden.

Ein drittes deutsches Beispiel ist die DDR, wo die Manipulierung des Hochleistungssports für politische Zwecke zum wohl erfolgreichsten Sportsystem überhaupt führte. Die politische Instrumentalisierung des Sports in Ostdeutschland für internationale Anerkennung und Legitimität ist einmalig. Der Erfolg der DDR im Hochleistungssport hatte weitreichende und unbeabsichtigte Konsequenzen – das Sport-Modell, das von der DDR entwickelt und verfeinert wurde, beeinflusst noch immer den modernen Hochleistungssport in fortschrittlichen kapitalistischen Ländern.

 

Das Vermächtnis besteht weiter

Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die DDR unterging, ihr Vermächtnis für den Sport jedoch weiterhin ihre einstigen Gegenspieler beeinflusst. Eine Mehrheit der heute besten Sportnationen hat ein System, das sich von jenem der DDR nicht allzu sehr unterscheidet (viele auch mit weitverbreitetem Doping).

Die Konsequenzen einer Konzentration auf den Erfolg im Hochleistungssport und bestimmte sportliche Disziplinen auf Kosten der Unterstützung für andere Sportarten und den Graswurzel-Sport sind offensichtlich, doch es scheint eine Übereinstimmung darüber zu geben, dass der Erfolg im Hochleistungssport für einen Staat „gut“ ist, auch wenn der Beweis fehlt, warum dies so sein sollte. Die alte Kamelle, dass „Erfolg im Hochleistungssport“ oder ein „sportliches Großereignis“ höhere sportliche Beteiligung in der Bevölkerung nach sich zieht, ist durch Forschungen nicht belegt.

An einer Steinsäule ist ein metallenes Schild mit der Aufschrift "Deutsche Demokratische Republik" und dem Staatswappen der DDR aus einem Ährenkranz in dem sich ein Hammer und ein Zirkel befinden, abgebildet.
Eine Mehrheit der heute besten Sportnationen hat ein System, das sich von jenem der DDR nicht allzu sehr unterscheidet, Foto: Marie Bellando Mitjans via unsplash

Eine vierte und letzte deutsche Hinterlassenschaft ist der Nutzen sportlicher Großereignisse für den Imagewandel einer Nation. Man kann durchaus sagen, dass die Fifa-Weltmeisterschaft 2006 ein absoluter Erfolg war. Als Land, das über 60 Jahre lang unter einem schlechten Image im Ausland gelitten hat, nutzte Deutschland die Weltmeisterschaft, um es weltweit zu verbessern.

Von den Schlüsselfaktoren der deutschen Strategie ist die (unbeabsichtigte) Schaffung eines „Wohlfühl“-Faktors in den vier Wochen des Wettkampfs interessant. Die „fan-fokussierte“ Herangehensweise an die Veranstaltung führte zu einzigartigen „Fanzonen“ und „Fanmeilen“, wo Menschen ohne Tickets die Spiele auf sehr großen Leinwänden live verfolgen konnten. Über 20 Millionen Menschen nahmen an den partyähnlichen Feiern rund um die in den zwölf Gastgeberstädten in Deutschland errichteten großen Leinwände teil, ohne dass von irgendeinem größeren öffentlichen Chaos berichtet worden wäre.

Die „Fan-Feste“ dienten verschiedenen Zwecken: Zunächst und vor allem erzeugten sie die Atmosphäre einer Straßenparty für alle Fans und Beobachter, die keine Tickets hatten oder die nicht im Stadion Fußball schauen wollten. Diese innovativen „Räume“ boten auch eine Arena, in der Fans und Menschen, vor allem jene Frauen, die normalerweise keinen Fußball schauen, eine gute Party-Atmosphäre genießen konnten. Die gut funktionierenden Fan-Zonen, die exzellente Beschilderung, das ausgebildete Personal und ein erstklassiges Transportsystem lieferten ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt für den „Wohlfühl“-Faktor und eine karnevalartige Atmosphäre unter den Menschen außerhalb der Stadien.

Es scheint eine Übereinstimmung darüber zu geben, dass der Erfolg im Hochleistungssport für einen Staat ‚gut‘ ist, auch wenn der Beweis fehlt, warum dies so sein sollte. Die alte Kamelle, dass ‚Erfolg im Hochleistungssport‘ oder ein ‚sportliches Großereignis‘ eine höhere sportliche Beteiligung in der Bevölkerung nach sich zieht, ist durch Forschungen nicht belegt.

Im aktuellen Klima nach Paris ist es aufgrund von Terrordrohungen unwahrscheinlich, dass eine solche karnevaleske Atmosphäre noch einmal bei einem großen Sportereignis aufkommt. Sicherheitsmaßen arbeiten, vielleicht notgedrungen, gegen eine grenzsprengende communitas, die sich beim gemeinsamen Erleben des Sports entwickelt. Vielleicht ironischerweise wird eine der mächtigsten Nebenwirkungen des Sports – nämlich die Fähigkeit, Konsumenten zu erlauben, kulturelle, religiöse und Klassengrenzen zu überwinden – wahrscheinlich durch die Gefahr und Bedrohung des Terrorismus im Keim erstickt. Der Grund? Damit sich communitas bilden kann, braucht es Massenzusammenkünfte, spontane Versammlungen von Menschen vor und nach dem Sportereignis; davon wird es wahrscheinlich weniger geben, da die neue terroristische Bedrohung unschuldige Menschenmengen im Visier hat.

Nach 2006 zeigte sich: Deutschlands Versuch, das eigene negative nationale Image im Ausland zu verbessern, war von Erfolg gekrönt. Ich glaube, dies hat eine Reihe sogenannter „Schwellen“-Länder dahingehend beeinflusst, große Sportveranstaltungen auszurichten. Die meisten haben jedoch weder die Ressourcen noch das Knowhow, um vor dem Ereignis langfristige Planungen stattfinden zu lassen wie in Deutschland; oder sie machen sich keine Gedanken darüber, ob ihre Bevölkerung hinter dem Ereignis steht. Deshalb haben sie keine klare Strategie für die Veranstaltung, vielmehr die „Hoffnung“, das Ereignis werde von ganz alleine zu einem verbesserten Image führen.

Nur Letzteres teilen sie mit Deutschland: ein angeschlagenes Image, das verbessert werden muss. Leider ist die Ausrichtung einer Großveranstaltung für solche Staaten möglicherweise das Schlechteste überhaupt, denn die Medien tendieren dazu, sich stark auf die Gründe zu konzentrieren, warum ein Staat überhaupt ein solch schlechtes Image hat. Beispiele sind die Ukraine und die Fußballeuropameisterschaften 2012 (gemeinsamer Gastgeber mit Polen), Katar, Südafrika und China. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, ob die Bewerbung oder Ausrichtung eines sportlichen Großereignisses tatsächlich das Image der genannten Länder verbessert hat.

 

Auswirkungen auf die Möglichkeit zum internationalen Handel

Die Ukraine, Katar und China hatten wohl in der weltweiten Wahrnehmung hinterher ein schlechteres Image; in welchem Ausmaß dies jedoch ihre Möglichkeit beeinträchtigt, international Handel zu treiben und bilaterale Beziehungen zu entwickeln, ist fraglich.

China hat beispiellose bilaterale Beziehungen und Vereinbarungen mit Großbritannien, obwohl die Olympischen Spiele in Peking den Missbrauch der Menschenrechte in den Vordergrund rückten; Katar floriert immer noch, trotz weltweiter Bekanntmachung dortiger Menschenrechtsverletzungen, insbesondere an ausländischen Arbeitern, die Sport-Infrastruktur für die Fußballweltmeisterschaft 2022 aufbauten; die Ukraine geriet im Anschluss an die (gemeinsame) Ausrichtung der Fußballeuropameisterschaften 2012 unter intensive Beobachtung durch die Medien. Es gibt seit Kurzem den Trend, dass sich „Schwellen“-Länder für sportliche Großereignisse bewerben und diese ausrichten, während viele „fortschrittliche kapitalistische Staaten“ zugleich Referenden abhielten, in denen die Öffentlichkeit die Gastgeberrolle ablehnte.

Die jüngste Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 ist bezeichnend für diesen Trend und die Probleme, die mit ihm einhergehen. Nachdem Wähler in München, Stockholm, Krakau und Graubünden, Schweiz, zu der Kostenlawine, hohlen Versprechungen zum „Vermächtnis“ und Sicherheitsproblemen „Nein“ gesagt haben, fand das Rennen zwischen Peking – einer Region mit sehr wenig Schnee – und Almaty, Kasachstan, statt. Weder China noch Kasachstan schneiden auf Listen zur Einhaltung der Menschenrechte und zur Korruption gut ab – zwei Faktoren, die den zentralen olympischen Idealen zuwiderlaufen.

 

Satellitenansicht des Dorfes und des Veranstaltungsgeländes der Olympischen Winterspiele Sotschi 2014 in Russland.
Satellitenansicht des Dorfes und des Veranstaltungsgeländes der Olympischen Winterspiele Sotschi 2014 in Russland, Foto: Digital Globe Handout / dpa via picture alliance

Wenn die in die Höhe schießenden Kosten, die mit der Ausrichtung großer Sportereignisse verbunden sind, nicht kontrolliert werden, ist nachvollziehbar, dass jene Staaten, die sich wenig um die Sichtweisen ihrer Bürger scheren, der einzige Ort sein werden, an dem solche Schauspiele stattfinden können. Sotschi ist dafür ein Paradebeispiel – rund 55 Milliarden US-Dollar wurden für die Olympischen Winterspiele ausgegeben, mehr als je zuvor für eine Olympia-Austragung (Sommer oder Winter). Das übliche Szenario nach der Veranstaltung – nicht ausgelastete, aufgeblasene Sport-Infrastruktur – ist wahrscheinlich in Russland noch stärker ausgeprägt. Eine solche Verwendung von Steuergeldern ist in einem demokratischen Staat nicht mehr tragfähig.

Doch Politiker jeder Couleur lieben das Sportereignis – allgemein in der Hoffnung, die Menschen aufzuheitern, ihre eigene Popularität zu vergrößern und für ihre (das heißt öffentliche) Investitionen einen wirtschaftlichen Gewinn einzufahren. Sie sind auch Teil dessen, was man eine „Koalition von Nutznießern“ nennen könnte – das heißt, jene, die Großveranstaltungen im Sport in ihre Länder und Städte bringen wollen. Sie sind auch verantwortlich für den Diskurs, der sich um solche Sportereignisse entwickelt, da sie oft die vielen „Vorteile“ oder „Vermächtnisse“ bewerben, die sich für die Gesellschaft ergeben, wenn sie sich für die Gastgeberrolle entscheidet. Forschungen zur Aussicht solcher „Vermächtnisse“ legen jedoch nahe: Wahrscheinlich profitiert die Koalition der Nutznießer von diesen groß angelegten Sportereignissen, die Bevölkerung im Allgemeinen aber nicht.

Es gibt seit Kurzem den Trend, dass sich ‚Schwellen‘-Länder für sportliche Großereignisse bewerben und diese ausrichten, während viele ‚fortschrittliche kapitalistische Staaten‘ zugleich Referenden abhielten, in denen die Öffentlichkeit die Gastgeberrolle ablehnte

Das führt nun zurück zu Harold D. Lasswell. Wenn Menschen davon überzeugt werden sollen, in Hochleistungssportprogramme oder in die Ausrichtung großer Sportveranstaltungen zu investieren, dann müssen Beweise her für die Vermächtnisse nach dem Ereignis. Aktuell hofft man im Allgemeinen eher auf mögliche Vermächtnisse, statt diese spezifisch und strategisch anzupeilen.

Die ewige Frage zu Großereignissen lautet nicht: „Was ist aus dem Vermächtnis geworden?“, sondern vielmehr: „Warum lernen Staaten nicht aus früheren Veranstaltungen?“ Die Antwort darauf lautet: Die Koalition der Nutznießer lernt durchaus – für gewöhnlich die am Bau beteiligten Firmen, die Interessenvertreter des Events, Politiker, das Gastgewebe und so weiter; es liegt in ihrem Interesse, Gastgeber zu sein.

 

Sport ist ein riesiges Geschäft

Um aufzuzeigen, wie eng Politik und Sport verflochten sind, muss man nur die Rolle der zentralen internationalen Sportorganisationen betrachten. Wir haben inzwischen die absurde Situation, in der undemokratische internationale Sportorganisationen wie die Fifa und das IOK in der Lage sind, in souveränen, demokratischen Staaten Gesetzesänderungen zu verlangen, um ihre Vorzeigeshows ausrichten zu können.

So musste Brasiliens ökonomische Governance des Staatskapitalismus an vielen Gesetzen zu Beschäftigung und Auftragsvergabe herumdoktern, um den Anforderungen der Fifa und des IOK zu entsprechen. Unterm Strich, so könnte man vermuten, heißt das: Staaten müssen, um solche prestigeträchtigen Ereignisse zu sich zu holen, nur ein klein wenig neoliberaler werden.

Eine chinesische Kundin kauft in Shanghais erstem offiziellen Geschäft für lizenzierte Produkte für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2022 in Peking ein Erinnerungsabzeichen.
Die Olympischen Spiele haben sich zum kommerziellsten Sportereignis auf dem Planeten entwickelt, Foto: Bai Kelin via picture alliance

Die Olympischen Spiele haben sich zum kommerziellsten Sportereignis auf dem Planeten entwickelt und sind wahrscheinlich so weit von Pierre de Courbetins Revival der modernen Spiele 1896 entfernt, wie man nur sein kann. Sponsoring und Vermarktungsrechte – die Marke Olympia eingeschlossen – sind viel wichtiger geworden als der eigentliche Sport, und um die großen olympischen Sponsoren zu schützen und ihnen großzügige Steuererleichterungen zu ermöglichen, muss das Gastgeberland die eigenen Gesetze anpassen.

Letzteres ist bezeichnend dafür, wie weit wir gegangen sind – Sport ist ein riesiges Geschäft; Sportler sind bereit, alles Erdenkliche zu tun, um in dieser „Gewinne-um-jeden-Preis“- Kultur Erfolg zu haben. Wir sollten also nicht überrascht sein von Enthüllungen über Korruption und den Einsatz leistungssteigernder Substanzen. Wenn es auch lächerlich wäre, für einen Sport ohne Politik einzutreten, gibt es doch Grund zu glauben, dass wir einen kritischen Punkt erreicht haben, an dem mehr Anstrengung nötig sein wird, um das Blatt zu wenden, damit nicht länger die Politik den Sport dominiert, sondern diesen für das gemeinsame Wohlergehen nutzt.

Über den Autor
Jonathan Grix
Jonathan Grix
Chefredakteur

Jonathan Grix ist Chefredakteur des führenden International Journal of Sport Policy and Politics und externer Prüfer für Sportpolitik an der Loughborough University in Großbritannien.

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