Erfolgreiche Friedensmacher
In dieser Situation bewähren sich nichtstaatliche Friedensstifter. Anders als offizielle Diplomaten können sie ungewöhnliche Wege gehen, um Angehörige verfeindeter Gruppen an einen Tisch zu bringen. Wenn der deutsche Benediktiner-Abt Benedikt Lindemann sein Kloster in Jerusalem für diskrete Gespräche öffnet, können sich Israelis und Palästinenser ohne Furcht vor Bespitzelung miteinander treffen. Geheiligte Mauern als Schutzraum. Ein Mönch als Vermittler. Er fragt die Politiker nicht, ob er sich einmischen darf. Er tut es. Ihn beflügelt ein Bild, das er trotz aller Rückschläge nie aus den Augen verloren hat: Juden, Christen und Araber, die friedlich im Heiligen Land zusammenleben.
In erfolgreichen Friedensmachern ist dieses innere Feuer. Sie werden angetrieben von einer Vision, wie sich ihr Land zum Besseren wandeln kann. Sie sind im besten Sinne „un-realistisch“. Sie nehmen die Verhältnisse nicht hin, wie sie sind. Wie wichtig das ist, zeigt sich in Sri Lanka, das seit 20 Jahren unter einem blutigen Bürgerkrieg leidet. Ein junger Kollege aus dem total zerstörten Norden des Landes sagte mir: „Der Krieg dauert schon so lange, wie ich lebe. Er hat unsere Gedanken und unsere Herzen völlig vergiftet. Wir können uns nicht vorstellen, wie das sein könnte –, ein Leben ohne Attentate und Bombenangriffe.“ Das Teuflische daran: Wer nichts anderes kennt als Gewalt, wird sich im Zweifelsfalle immer wieder für Gewalt entscheiden. Zwar bedeutet sie ein Risiko, aber ein bekanntes. Frieden dagegen ist der Weg ins Unbekannte, ein Abenteuer mit unvorhersehbarem Ausgang. Deshalb ist Vorstellungskraft so wichtig. Sie entfaltet Energien, wie Albert Einstein meinte, die Menschen überall hin katapultieren können.
Als der Tamile Singham, der 15 Jahre lang ein sorgloses Leben in Berlin genossen hatte, ins kriegsgeschüttelte Sri Lanka zurückkehrt, erklären ihn seine Freunde für verrückt. Doch er traut sich zu träumen: „Eines Tages wird diese Insel wieder zu recht das Glückliche Lanka heißen.“ Er belässt es nicht dabei, sondern baut mit Spendengeldern Häuser für Flüchtlingsfamilien, betreibt eine Schule für gehörlose Kriegswaisen, kümmert sich um Straßenkinder. In seiner Organisation arbeiten Tamilen und Singhalesen zusammen, die angeblichen Feinde. Singham ist einer dieser ehrenamtlichen Brückenbauer, die versöhnen helfen und dafür viel riskieren.
In erfolgreichen Friedensmachern ist dieses innere Feuer. Sie werden angetrieben von einer Vision, wie sich ihr Land zum Besseren wandeln kann.
Die besten von ihnen sind eine charismatische Mischung aus Mahatma Gandhi und Bill Gates. Sie verfügen über die seltene Fähigkeit, groß zu denken, entschlossen zu handeln – und gut zu managen. Diese Friedensbewegten neuen Profils haben verstanden, dass Sicherheit und Stabilität auch etwas mit Geld zu tun haben. Mit Jobs, wirtschaftlichem Wachstum, Entwicklung. Es lohnt sich, in den Menschheitstraum Nummer Eins zu investieren.
Wissenschaftler der Universität Oxford haben ermittelt, dass ein durchschnittlicher Bürgerkrieg sieben Jahre dauert. Sicher, jedes Jahr und jedes Opfer sind eines zu viel. Doch die gute Nachricht lautet: Kriege enden! Früher oder später. Besser früher. Wenn sich ein Krieg nicht verhindern lässt, kann die Staatengemeinschaft zumindest versuchen, ihn zu verkürzen. Tatsächlich sind die Interventionen der Vereinten Nationen besser als ihr Ruf. Nach einer Studie der amerikanischen Denkfabrik RAND gelingen Peacekeeping-Missonen in zwei von drei Fällen. Und sie sind billiger, als man angesichts der peinlichen Geplänkel im Sicherheitsrat vermutet. Alle 16 Blauhelm-Missionen des vergangenen Jahres zusammen kamen mit knapp fünf Milliarden Dollar aus. Zum Vergleich: Die USA gaben jeden Monat rund 15 Milliarden Dollar allein für den Krieg im Irak aus. Und erleben als selbst ernannter Welten-Sheriff ein Debakel nach dem anderen.
Sie tauschen sich per Internet und Email darüber aus, was funktioniert und was nicht. Unversehens wird die erfolgreiche Kampagne hier zum Lehrstück dort.
Multinationale Gebilde wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union sind – auf staatlicher Seite – das Pendant zu einer vielfältig vernetzten Zivilgesellschaft. UN und EU haben in den vergangenen Jahrzehnten Großes geleistet, um Armut zu bekämpfen, die Gesundheit zu verbessern und Menschenrechte durchzusetzen. Damit tragen sie entscheidend dazu bei, den so genannten „positiven Frieden“ zu stiften. Ein Frieden, der mehr ist als die bloße Abwesenheit von Krieg. Eine Kultur, die nicht mehr von Gewalt und Angst bestimmt ist, sondern von Respekt und Liebe. Und darum geht es schließlich.
Und um Geld. Die Überraschung ist, dass es sich auch wirtschaftlich lohnt, in Frieden zu investieren. Ein typischer Bürgerkrieg, so haben die Oxford-Wissenschaftler ausgerechnet, kostet rund 70 Milliarden Dollar. Als Kostenfaktoren berücksichtigen sie niedrigeres Wirtschaftswachstum, Rüstung, Krankheiten, Flüchtlinge und organisiertes Verbrechen. Andersherum gedacht: Jedes Jahr, um das solch ein Krieg verkürzt wird, erbringt eine Einsparung von zehn Milliarden Dollar. Für einen Bruchteil dieser Summe könnte man versuchen, den Krieg zu beenden, indem man eine internationale Eingreiftruppe entsendet.
Die neuen Kriege erfordern beides: Heilung der Gesellschaft von innen – hier sind die Initiativen und Friedensmacher aus der Zivilgesellschaft die entscheidenden Akteure. Und ein entschlossenes Vorgehen, falls sich die internationale Staatengemeinschaft für militärische Interventionen entscheidet. Denn in vielen Krisengebieten kämpfen oft keine regulären Soldaten, sondern Milizen, die sich in wilden Banden organisieren. Viele sind jünger als zwanzig, mit der emotionalen Reife von Kindern. Und so führen sie sich auch auf: maßlos, launisch, Töten mit Spielen verwechselnd. Meine eigene Erfahrung in Kriegsgebieten hat gezeigt: Wenn jemand mit der Faust auf den Tisch haut, ist schnell Ruhe. Wie ein strenger Vater, der vielen dieser Kinder in Uniform fehlt, eine Autorität, die klar macht, dass es jetzt endgültig reicht.
Die Überraschung ist, dass es sich auch wirtschaftlich lohnt, in Frieden zu investieren.
Keine Frage: Gewaltlosen Interventionen ist immer der Vorzug zu geben. Europa hat sich seine Einigkeit über Jahrhunderte in blutigen Kriegen erkaufen müssen. Es war ein weiter Weg, bis es zu einem Staatenverbund gelangte, in dem kulturelle Unterschiede wertgeschätzt und als Bereicherung gesehen werden. United in Diversity: Dieser Wahlspruch sollte von einer europäischen Außen- und Kulturpolitik als Inspiration in die Welt getragen werden. Die Chance, dass diese Stimme in Gegenden, die um die Rückkehr zum Frieden ringen, gehört wird, ist groß. Aber nur dann, wenn Europa selbst kulturelle Vielfalt auf überzeugende Weise vorlebt.