Kulturpolitik war, nachdem die Pandemie den Sektor insgesamt heftig getroffen hatte, viele davon ins Mark, mit großem kompensatorischem Handlungsbedarf konfrontiert. Gleichzeitig war die Bedeutung von Kunst und Kultur selten so existenziell erlebbar gewesen und von einer großen Mehrheit getragen. Das hat in vielen Kommunen, Regionen und Mitgliedsstaaten der EU zu außerordentlichen finanziellen und Flexibilitäts-Anstrengungen geführt, auch für die freien und immer vom Prekariat Betroffenen (etwa die „Fair Pay“- Kampagne in Österreich). Noch ist die Gefahr des Kahlschlags ebenso wenig gebannt wie ein Rückfall in alte Mechanismen oder ein neues Biedermeier. Anderseits hat die Diskussion um die Erschließung neuen Publikums und Partizipation neu eingesetzt, um das Spannungsverhältnis zwischen teuren sicheren Großinstitutionen und dem Rest, zwischen Qualität und Quantität, Kunst und gesellschaftlichem Leben, Nachhaltigkeit im Kultursektor, Digitalisierung und Diversität.
Die kulturelle Zivilgesellschaft hat für die Gesellschaft entscheidende Beiträge geliefert; als Beispiel seien hier ‚Die Vielen‘ genannt, ein starkes deutsches und internationales Netzwerk gegen Rechtsradikalismus und dessen Griff nach der Kultur. Immer deutlicher werden dabei Positionen der Solidarität über Grenzen; Kulturschaffende haben nach dem Flucht Jahr 2015 wesentlich zur Differenzierung und Empathie in der Diskussion und zum Zusammenleben in den konkreten Nachbarschaften beigetragen; sie beziehen Position, nicht nur in Umwelt-Fragen, agieren politisch in einem völlig neuen Sinn; das kritische und utopische Potential von Kunst und Kultur wird in Stellung gebracht, auch mit Blick auf Neo-Nationalismus und ein transnationales Europa.
Es gibt keine klare und vor allem keine gemeinsame Strategie der EU, was angesichts der außerordentlichen globalen Verschiebungen schockierend ist.
Diese knappe exemplarische Darstellung folgt der Grundthese, dass der außergewöhnlichen Situation, die nach einer Kultur der Transformation verlangt, ein Kultursektor gegenübersteht, der sich selbst soweit transformiert, dass er den gesellschaftlichen Herausforderungen und Erwartungen gerecht wird. Man mag das über Gebühr affirmativ nennen, man mag dem eine sperrige Faktenlage entgegenhalten, Defizite angesichts der Krisen anführen. Tatsache ist, dass viel politisches Bewusstsein unter Künstlern und Kulturschaffenden vorhanden ist und dass außergewöhnliche Anstrengungen gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern alternativlos sind. Diese Zwischenbilanz von Kunst und Politik geht von einer neuen Normalität von Differenzierung aus, vom Aushalten von Widersprüchen statt ideologischer Losungen, von produktiver Unsicherheit und dem nicht zu ersetzenden Zyklus von mutigem Experiment und offenem Lernen, Korrektur und erneutem Reflektieren und Handeln. Zukunftshoffnung ist vital, braucht Vertrauen in die Fähigkeit, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Bei diesem epochalen Transformationsprojekt kann die Offenheit von Kunst und Kultur und ihr utopisches Potenzial in Auseinandersetzung mit der Realität zu einer Leitwährung werden.
Allerdings sind Rahmenbedingungen zu optimieren, auf jeder Ebene. Dazu noch ein abschließender Passus, der sich mit den Institutionen beschäftigt, auch und vor allem mit Blick auf Europa (in der Welt).
Europa hat sich – gegen die Pandemiefolgen – einen gewaltigen Ruck gegeben und ein viele hunderte Milliarden umfassendes Investitions- und Strukturprogramm gegeben, das nationale und private Restrukturierung stimulieren wird. Kultur als Teil der Transformation kommt dabei kaum vor bzw. hat wenig Sichtbarkeit. Daher haben Allianzen gemein - sam mit der unabhängigen Europäischen Kulturstiftung einen Culture Deal vorgeschlagen und beziffert (zwei Prozent des Gesamtetats). Ähnlich verhält es sich mit dem wohl ambitioniertesten Umwelt- und Klimapaket der EU, die Architektur ist (noch) ohne die tausenden Bauhäuser der Kultur in den Städten und Regionen erstellt worden, die schon bei Weitem avancierter denken.
Überhaupt fehlt es derzeit an der treibenden Kraft in der Brüsseler Generaldirektion für Kultur, die noch vor Jahren ein atemberaubendes Tempo bei der Konzipierung und Ausgestaltung einer europäischen Kulturpolitik an den Tag gelegt hatte, im Bündnis mit der Zivilgesellschaft. So drohen heute auch wichtige Schlüsselprojekte wie die Kulturhauptstädte sklerotisch zu werden. Initiativen zur Kultur der Transformation fehlen. Generell sind die Kommunen und Kapitalen unvergleichlich fortgeschrittener und aktiver.
Im Bereich der Kulturaußenpolitik der EU liegen die Dinge komplizierter. Es gibt keine klare und vor allem keine gemeinsame Strategie der EU, was angesichts der außerordentlichen globalen Verschiebungen schockierend ist. Dies spiegelt allerdings die Orientierungsschwäche und Uneinigkeit zwischen den nationalen Außenministerien. Selbst die Großen taumeln mehr, als sie strategisch denken und gestalten. Die Leerstellen sind besonders ärgerlich, wenn man das brennende Interesse der Bürgerinnen und Bürger (Europas, aber darüber hinaus) und die beeindruckende Praxis der globalen Gespräche und Projekte in Kunst, Kultur und Disput gegenüberstellt.