Der Name „Gutmensch“
Es gibt Familien im deutschen Sprachraum, die müssen schwer an dem Nachnamen "Gutmensch" tragen. Merkwürdigerweise stammen viele Nomina propria dieser Art aus dem heutigen Tschechien. Herr Josef Gutmensch aus Mährisch-Neustadt zum Beispiel belegte am 22. August 1896 den 6. Platz beim Königsschießen in Littau. Der Friseur August Gutmensch ließ sich 1897 einen "Frisettenhalter" – eine Art Lockenwickler – patentieren. Der Gemischtwarenhandel Rosin & Gutmensch in der Favoritenstraße 68 im Wiener 4. Bezirk musste 1915 Konkurs anmelden. Und dem Hauptmann des K.-u.-k.-Heeres Karl Gutmensch wurde im Mai 1916 das Militärverdienstkreuz mit Kriegsdekoration für tapferes Verhalten vor dem Feind verliehen. Zwei Jahre später erhielt der Offizier Gutmensch die allerhöchste militärische Auszeichnung, kurz bevor ihn der heroische Kriegstod ereilte. Frei nach dem braven Soldaten Schwejk, dem Schutzheiligen aller Subversiven: "Die haben uns den Gutmensch umgebracht!" "Welchen Gutmensch? Ich kenne zwei. Um beide ist es nicht schade."
Die Bogomilen waren die erste religiöse sozialrevolutionäre Bewegung Europas.
Manche Namensforscher leiten den "Gutmensch" vom Heiligen Homobonus ab, dem Schutzpatron der Schneider. Andere hingegen behaupten, er stamme vom französischen Wort "bonhommes" ab, einst die Bezeichnung für die Anhänger der mittelalterlichen häretischen Bewegungen der Katharer und Albigenser, die sich selbst "wahre Christen" oder "Gottliebende" nannten, eine wörtliche Übersetzung des südslawischen "bogomil". Diese "Teufelsdiener" stammten ursprünglich aus dem heutigen Bulgarien und galten ihren Feinden als "Katzenküsser", als Zoophile, weswegen das umgangssprachliche englische Wort "to bugger", eine Ableitung des französischen "bougrir", etymologisch nichts anderes bedeutet als "to make love like a Bulgarian".
Jetzt sind wir dem Urgrund des Gutmenschen auf die Schliche gekommen. Die Bogomilen waren die erste religiöse sozialrevolutionäre Bewegung Europas.
In den Worten eines zeitgenössischen orthodoxen Priesters: "Sie lehren ihr eigenes Volk, ihren Herren nicht zu gehorchen, sie schmähen die Reichen, hassen den Zaren, lachen über die Älteren, verdammen die Bojaren {die Adligen}, betrachten als nichtswürdig vor den Augen Gottes jene, die dem Zaren dienen, und verbieten jedem Diener, für seinen Herrn zu arbeiten." Um Gottes willen. Menschen, die sich ein freies und würdevolles Leben auf Erden nicht nur vorstellen können, sondern es auch in die Tat umsetzen wollten. Gutmenschen halt. Pfui Teufel.
Übrigens wurde Bosnien ab 1199 bogomilisch und blieb es zwei Jahrhunderte lang, womit hinreichend bewiesen wäre, dass auch mein Kollege, der bosnische Schriftsteller Dzevad Karahasan, ein verkappter Gutmensch ist.
Der Vollständigkeit halber: Der Ausdruck "bonhomme" bezeichnet im Allgemeinen eher einen "feinen Kerl", einen "gentleman", so ganz und gar spottfrei, könnte man meinen und sich kurz in ironiefreier Sicherheit wiegen, bis man erfährt, dass er auch als Synonym für Trottel benutzt wird. Was klar scheint, kann sich als trügerisch erweisen. Beim Gutmenschen ist die Semantik inzwischen auf den Kopf gestellt, ins Gegenteil verkehrt. Weswegen das Wort Schlechtmensch schlichtweg nicht existieren kann, sondern nur der Nichtgutmensch. Verwirrend, ich weiß. Aber die Verwirrung ist in diesem Zusammenhang durchaus beabsichtigt.
Nicht nur im deutschen Sprachgebrauch. Auf Bosnisch sagt man als höchsten Ausdruck von Begeisterung "mrak", wortwörtlich zu übersetzen mit "Dunkelheit, Finsternis". Und im westafrikanischen Krio dient das Affix "bad bad wan" zur Betonung einer Qualifizierung: "Di man fayn bad bad wan", (für jene, die des Krio nicht mächtig sein sollten: "Der Mann gut schlecht schlecht", oder aber auch "Di polis korupt bad bad wan" ("Die Polizei korrupt schlecht schlecht").