Andere verteidigten mich, meinten, es handele sich um eine Fotomontage, aber auch sie waren verwirrt. Was hatte etwa die „Enzyklopädie Sozialismus und Soziale Kämpfe“ neben dem Sofa zu bedeuten? Ein regimenaher Akademiker publizierte gar eine ernstgemeinte ausführliche Analyse, darin schrieb er Dinge wie: „Es mag paradox erscheinen, dass beide Pole des Kalten Krieges auf einem Foto zusammenfinden, tatsächlich aber haben beide zum Ziel, die Türkei von ihren eigenen Werten zu entfremden.“
Was hatte es nun aber tatsächlich mit dem Foto auf sich? Warum hatte ich mich in die USFahne gehüllt? Vor ein paar Jahren drehten wir einen Dokumentarfilm über Deniz Gezmiş, den legendären türkischen Studentenführer der 68er-Bewegung. Schlaflos hockten wir tagelang – mit unseren Büchern über die Geschichte des Sozialismus – im Produktionsstudio meines Freundes, der Regie führte, und bastelten an dem Film.
Das Foto war auf meinem alten Handy gespeichert [...]. Auf Erdoğans Fingerzeig hin hatte die Polizei noch am selben Tag die Aufnahme von meinem Handy der hörigen Presse serviert.
Eine der ersten politischen Aktionen, die Deniz und seine Freunde durchgeführt hatten, war der Protest gegen die US-Flotte, die 1968 auf Türkei-Besuch kam. Auf dem Istanbuler Taksim-Platz verbrannten die Studenten eine amerikanische Fahne und warfen anschließend an Land gehende US-Soldaten ins Meer. Symbolisch für diese Szene hatten wir eine US-Fahne besorgt. Wir wollten sie für den Film anzünden und mit diesem Bild im Hintergrund von der damaligen Aktion berichten. In der Nacht vor den Dreharbeiten war ich nach langen Stunden des Schneidens im Büro eingeschlafen.
Mein Freund der Regisseur breitete – als einzige in den Räumen vorhandene „Wolldecke“ – die Fahne, die wir am Morgen verbrennen wollten, über mich und machte zum Spaß ein Foto davon. Dass nun die regimetreuen Medien aus der zum Verbrennen bestimmten Fahne ein Szenario machten, war die komische Seite an der Sache. Die erschreckende aber war folgende: Das Foto war auf meinem alten Handy gespeichert, das die Polizisten bei der Hausdurchsuchung mitgenommen hatten. Auf Erdoğans Fingerzeig hin hatte die Polizei noch am selben Tag die Aufnahme von meinem Handy der hörigen Presse serviert.
Sie waren zu allen ich an jenem Tag einmal mehr überzeugt. Das hatte Folgen. Eine Woche darauf musste ich feststellen, dass meine Kolumne nicht in der „Cumhuriyet“ erschienen war. Ich wurde misstrauisch. Denn das war in der türkischen Pressegeschichte noch nie ein gutes Zeichen. Wer dort, wo die Kolumne hatte stehen sollen, den Satz „Der Artikel konnte aufgrund einer technischen Störung nicht erscheinen“ vorfand, wusste, dass es sich nicht um eine technische, sondern um eine politische Störung handelte.
Am 18. November sollte ich in Darmstadt den Hermann-Kesten-Preis des deutschen PEN-Zentrums aus den Händen von „Tagesthemen“-Moderator Thomas Roth entgegennehmen. Der Schriftsteller Hermann Kesten hatte während des Nationalsozialismus sein Land verlassen müssen und lange Jahre im Exil gelebt. Und das PEN-Zentrum bot Autoren im Exil Zuflucht.
Als mein Wagen bei dem Hotel vorfuhr, in dem die Verleihung stattfinden sollte, rief Dilek an und unterrichtete mich über den tatsächlichen Grund, aus dem meine Kolumne nicht gedruckt worden war. Gemeinsam mit der Polizei, die das Foto weitergegeben hatte, war auch der Staatsanwalt tätig geworden und hatte einem der Funktionäre der Zeitung gegenüber, der wegen einer Aussage bei einer Anhörung vor ihm saß, in Bezug auf mich geäußert: „Er ist zur Fahndung ausgeschrieben. Warum lassen Sie ihn weiter bei sich schreiben?“
Jetzt [...] nicht mehr in der Zeitung schreiben zu dürfen, deren Chefredakteur ich bis vor drei Monaten gewesen war, versetzte mir einen herben Schlag.
Normalerweise hätte die Antwort gelautet: „Was geht Sie das an?“, doch dies waren keine normalen Zeiten. Unsere Kollegen saßen hinter Gittern, waren gewissermaßen zu Geiseln geworden. Ganz abgesehen von den Inhalten störte die Regierung, dass ich überhaupt noch schrieb. Und dass sie sich gestört fühlte, bedeutete, dass sie unsere Leute nicht in Ruhe lassen würden.
Einige Anwälte hatten sich dahingehend geäußert, dass es besser wäre, wenn ich eine Weile nicht schriebe. Ich hatte mich jedem Druck widersetzt und niemals zu einem unserer Autoren gesagt: Schreib nicht! Nicht einmal zu jenen, die glaubten, mich hinterrücks belehren zu müssen. Jetzt, nachdem ich mich so lange für die Freiheit eingesetzt hatte, – zum Schutz der inhaftierten Kollegen – nicht mehr in der Zeitung schreiben zu dürfen, deren Chefredakteur ich bis vor drei Monaten gewesen war, versetzte mir einen herben Schlag.
Normalerweise hätte ich unverzüglich kündigen müssen. Doch mitten im Sturm wäre eine solche Kündigung anders ausgelegt worden und hätte der Zeitung, mir selbst und den Kollegen im Gefängnis nur geschadet. Mir blieb nichts anderes übrig, als es still hinzunehmen. Ich schwieg. Das Heft „Cumhuriyet“, das ich einst mit einem Paukenschlag aufgeschlagen hatte, schloss sich auf diese Weise sang- und klanglos.
Dennoch würde ich mich weiter für die Zeitung einsetzen. Das war noch nicht alles, mir wurde höflich mitgeteilt, es wäre besser, wenn ich nicht zur Verleihung des Alternativen Nobelpreises fahren würde, den die Zeitung aufgrund ihrer jüngsten journalistischen Erfolge und der Entschiedenheit, mit der sie sich für die Wahrheit einsetzte, erhielt. Es hieß, möglicherweise werde es nicht gut aufgenommen, wenn ein polizeilich Gesuchter die Zeitung dort repräsentierte. „Wie ihr wollt“, sagte ich und zog mich zurück.