Europäische Armee oder Armee der Europäer?
2016 war das Annus horribilis für die EU mit dem Brexit-Votum und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Mit dem Brexit ging der EU einerseits ein außen- und verteidigungspolitisch sehr starkes Mitglied verloren; andererseits wurden so Fortschritte in der GSVP erzielt, die mit Großbritannien und seiner strikten „NATO first“-Politik niemals möglich gewesen wären, insbesondere die 2017 gegründete Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) und der im Mai 2022 verabschiedete Strategische Kompass. PESCO ermöglicht es besonders fähigen und engagierten Mitgliedstaaten „im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen“ (Art. 42,6 EUV) verstärkt zusammenzuarbeiten und fördert massiv den Aufbau der nötigen militärischen Fähigkeiten.
Die Amtszeit Trumps, der sich gegenüber der NATO äußerst skeptisch gab, löste in Europa eine große Debatte über die Notwendigkeit einer größeren sicherheits- und verteidigungspolitische Selbstständigkeit aus.
Der Strategische Kompass legt dar, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten im vorherrschenden strategischen Umfeld Sicherheit und Verteidigung stärken können, und er sieht den Aufbau einer EU-Schnelleingreifkapazität vor, „die uns die rasche Entsendung von bis zu 5 000 Einsatzkräften in ein nicht bedrohungsfreies Umfeld zur Bewältigung verschiedener Arten von Krisen ermöglicht“.
Die Amtszeit Trumps, der sich gegenüber der NATO äußerst skeptisch gab, löste in Europa eine große Debatte über die Notwendigkeit einer größeren sicherheits- und verteidigungspolitische Selbstständigkeit aus. Legendär wurde Angela Merkels Satz vom 28.5.2017 im Rahmen einer CSU-Veranstaltung in München: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei und deshalb kann ich nur sagen, wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“.
Es folgte Macrons erwähnte Sorbonne-Rede und seine Forderung nach einer „richtigen“ europäischen Armee, die er im November 2018 in einem Interview mit dem Sender Europe 1 äußerte: „Wir brauchen ein Europa, das sich zunehmend selbst verteidigt, ohne ganz von den USA abhängig zu sein, in größerer Souveränität.“ Die Deutschen konterten mit dem Ziel, eine „Armee der Europäer“ zu schaffen. „Streitkräfte in nationaler Verantwortung, eng verzahnt, einheitlich ausgerüstet, für gemeinsame Operationen trainiert und einsatzbereit“, wie es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 2018 ausdrückte. Angela Merkel äußerte vor dem Europäischen Parlament Ende 2018: Wir „können […] doch in der NATO mit einer europäischen Armee gemeinsam auftreten.“
Merkels Deutschland sah den Beitrag Europas folglich eindeutig in Ergänzung zur NATO, als gestärkten europäischen Pfeiler in der Allianz, „strategische Autonomie“ sei keine Option.