Illustration: Flaggen der USA und China auf Fäusten auf einem weißen Hintergrund isoliert.

Richtung Konfrontation

Menschenrechte, Demokratie, Grundfreiheiten: Ideologische Unterschiede zwischen China und dem Westen erzeugen komplizierte diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Die Spannungen zwischen China und dem Westen nehmen zu. Wie sollte sich Europa gegenüber China positionieren?

In der Vergangenheit haben die Europäische Union und die USA China dazu gedrängt, seine Märkte weiter zu öffnen und faire Bedingungen zu sichern. Jetzt bewegt sich der Westen, zusätzlich zu diesen handelsbezogenen Spannungen weiter in Richtung Konfrontation. Er spricht nicht mehr länger selektiv bestimmte Verletzungen an, sondern hat damit angefangen, China öffentlich als konkurrierendes System zu brandmarken, das mit dem Westen nicht kompatibel ist. Laut Sigmar Gabriel, dem früheren Vizekanzler und Außenminister Deutschlands, entwickelt China ein umfassendes Alternativsystem zur westlichen Welt, das nicht auf unserem Modell von Freiheit, Demokratie und individuellen Menschenrechten aufbaut.

Die Rhetorik in den USA ist noch viel schärfer und hat klar einen Wendepunkt erreicht. Zum ersten Mal seit der Annäherung der 1970er Jahre sprach ein amerikanischer Präsident von China als einem „Rivalen“, einer „revisionistischen Macht“ und einer „primären Bedrohung für die US-amerikanische wirtschaftliche Vorherrschaft“. Die Wahlkampagne von Präsident Donald Trump gründete sich auf Feindseligkeit gegenüber China. Er droht mit einem Handelskrieg und beschuldigt China für das enorme Handelsdefizit zwischen beiden Ländern. Doch Amerikas Handelsdefizit ist hauptsächlich auf die makroökonomische Innenpolitik zurückzuführen. Hillary Clinton hat China, wie auch Russland und den Iran als „existenzielle Bedrohung“ bezeichnet, die „Befürchtungen“ und „Sorgen“ hervorruft.

[Der Westen] spricht nicht mehr länger selektiv bestimmte Verletzungen an, sondern hat damit angefangen, China öffentlich als konkurrierendes System zu brandmarken, das mit dem Westen nicht kompatibel ist.

Trotz der Versuchung zu denken, dass China mit seiner wirtschaftlichen, technologischen und steigenden militärischen Macht auf die Welt Druck ausüben wird und Präsident Xi in der Lage sein wird, nach Belieben Kontrolle auszuüben, sollte man nicht übersehen, dass diese Darstellungen mehr über den Westen als über China offenbaren. Sie offenbaren auch, wie tief verwurzelt die westliche Hegemonie ist und wie sie die Fähigkeit begrenzt, die Konsequenzen des relativen Abstiegs des Westens reflektiert einzuschätzen und seine Fähigkeit, sich an die aufkommende multipolare Welt anzupassen.

Slavoj Žižek meint, dass nicht nur der Kommunismus im 20. Jahrhundert, sondern auch die liberale Demokratie daran gescheitert ist, mit den Zerrüttungen des globalen Kapitalismus zurechtzukommen. Weder der kurzlebige fukuyamaistische Wohlfahrtsstaat der 1990er Jahre noch das Vordrängen post-keynes´scher Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben dabei geholfen, die stetige Zunahme ungerechter Bezahlung zu verhindern.

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Nicht nur der Kommunismus im 20. Jahrhundert, sondern auch die liberale Demokratie ist daran gescheitert, mit den Zerrüttungen des globalen Kapitalismus zurechtzukommen, Illustration: Zoonar | Maksym Yemelyanov via picture alliance

Laut dem französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty ist die Ertragsrate auf Kapital höher geblieben als die Wachstumsrate einer Wirtschaft während dieser Zeit. Deshalb wuchs der „geerbte Wohlstand“ schneller als der „verdiente Wohlstand“, was für eine höhere Konzentration von Wohlstand und deshalb auch für Ungleichheit in Wohlstand und Einkommen gesorgt hat. 

Die Wirtschaftskrise von 2008, die größte Rezession seit der Großen Depression, war keine Ausnahme, sondern ein unvermeidliches Ergebnis dieses Prozesses der Wohlstandskonzentration seit den 1970er Jahren. Ein irritierendes Ergebnis jener Jahre der globalen kapitalistischen Entwicklung war der Anstieg des Populismus im Westen. 

 

Einkommensungerechtigkeit und Stagnation, Arbeitslosigkeit, unsichere Beschäftigung, erhöhtes Armutsrisiko und soziale Ausgrenzung sind die wichtigsten Ursachen für den Anstieg des Populismus im Westen.

Die Menschen haben ein generelles Misstrauen gegenüber etablierten politischen Parteien und Figuren entwickelt und beschuldigen sie, sich ihrer Sorgen angesichts eines empfundenen Verlusts von Sicherheit, Kultur und Identität nicht anzunehmen. Globalisierung, Liberalisierung und Digitalisierung haben den Nationalstaat geschwächt und langsam die Fähigkeit von Regierungen untergraben, die in Identitätspolitik und den Kampf an Nebenschauplätzen verstrickt gewesen sind, sich mit diesen Zerrüttungen zu befassen. Statt der etablierten Parteien haben charismatische populistische Anführer zunehmend von der Wut der Menschen in Europa und Amerika profitiert.

Populismus stellt die größte Bedrohung für die liberale Demokratie dar. Wie David Runciman hervorhebt, der an der Cambridge University Politik und Geschichte unterrichtet, beschäftigen sich Populisten mit den richtigen Kämpfen und Ängsten, aber geben falsche Antworten, indem sie eine schnelle Rückkehr zu einer angeblich intakten und kulturell homogenen Vergangenheit versprechen. Ihre Rhetorik polarisiert die Gesellschaft und erzeugt weitere Angst, was die Wut der Öffentlichkeit eher befeuert als dabei hilft, sie zu überwinden.

Einkommensungerechtigkeit und Stagnation, Arbeitslosigkeit, unsichere Beschäftigung, erhöhtes Armutsrisiko und soziale Ausgrenzung sind die wichtigsten Ursachen für den Anstieg des Populismus im Westen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die verlängerte Wirkung der Verheiratung des Westens von liberaler Demokratie mit dem Kapitalismus den langsamen und relativen Abstieg des Westens verursacht hat. China wird populistisch als Sündenbock aufgebaut, um abzulenken von der Wirtschafts- und Legitimitätskrise des Westens und der fehlenden Perspektive, wie die liberale Ordnung und ihr Versprechen von Würde und gleichmäßigem Wohlstand erneuert werden kann. Es gibt noch keine neue Perspektive dazu, denn der Westen hat zunehmend sein eigenes Vertrauen in die liberale Ordnung verloren, was Protektionismus zu einer populistischen Lösung werden ließ. Die sprunghafte Trump-Regierung der USA, Protektionismus und die verlängerte Schuldenkrise in der Europäischen Union mit ihrer tief gespaltenen Wirtschaft und Flüchtlingskrise haben das aktuell fehlende Vertrauen nur noch vermindert und westlichen Liberalismus als wünschenswerten Transformationsweg untergraben.

Peter Nolan hatte recht. China brauchte nicht die liberale Demokratie, um vier Jahrzehnte erfolgreicher Reformen aufrechtzuerhalten und um mit den Zerrüttungen des Kapitalismus zurechtzukommen. Es ist jedoch fraglich, ob eine konzeptuelle Verbindung zu einer fernen Vergangenheit dem modernen China dabei helfen wird, die künftigen Herausforderungen für eine globalisierte und digitalisierte Welt zu bewältigen, zu der es in der Geschichte nichts Vergleichbares gibt. Doch es mag trotzdem immer noch helfen, zu erklären, warum Chinas Regierung, anders als andere autoritäre Regierungen, weiterhin moralisch verpflichtet ist, dem eigenen Volk zu dienen und Wohlwollen zu üben.

Staatliches Wohlwollen ist eine Regierungsform, die immer noch jenseits des Verständnisses des Westens liegt, der eine „moderne Bürokratie“ entwickeln musste, „Rechtsstaatlichkeit“ und „demokratische Verantwortlichkeit“, um seinen Despotismus zu überwinden. China hat seine Andersartigkeit unter Präsident Xi klar manifestiert und der Westen glaubt nicht länger an Chinas Selbstverwestlichung, aber China ist immer noch viel westlicher geworden als der Westen chinesisch.

China hat sich die Macht der Liberalisierung eingeflößt – das unbegrenzte Recht auf Subjektivität, das Modernität definiert. In Verbindung mit dem Ideal des Profits regte es Chinas schnelles und verlängertes Wachstum an, das zu einem wichtigen Legitimationsgrund des Einparteiensystems geworden ist. Die Liberalisierungsmacht kann diese Legitimität gleichermaßen abtragen und Rechtstaatlichkeit und Verantwortlichkeit verlangen, was nach Francis Fukuyama die markanten Säulen westlicher Demokratie sind, die China fehlen.

Chinesische Staatspräsident Xi Jinping in Mitten einer Gruppe von Menschen.
Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping spricht am 12. Februar 2018 mit Dorfbewohnern im Dorf Zhanqi im Bezirk Pidu in Chengdu in der südwestchinesischen Provinz Sichuan, Foto: Xinhua News Agency | Zhang Duo via picture alliance

Chinas moderne Bürokratie, die lange vor dem Aufstieg des Westens existierte, mag vielleicht nicht ausreichen, um mit einer zunehmend anspruchsvollen Zivilgesellschaft zurechtzukommen. Doch die neuere Geschichte hat infrage gestellt, ob die westliche liberale Demokratie ihre Funktion in der Zukunft effektiv erfüllen kann. Westliche Regierungen sind viel technokratischer und interventionistischer geworden, um Marktversagen möglichst zu verhindern oder dessen zerstörende Wirkung abzufedern. Ein stärkerer Staat wird womöglich eher die Norm als die Ausnahme werden, wie der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung gezeigt hat.

China hat seine Andersartigkeit unter Präsident Xi klar manifestiert und der Westen glaubt nicht länger an Chinas Selbstverwestlichung, aber China ist immer noch viel westlicher geworden als der Westen chinesisch.

Um noch düsterer zu werden – nach Meinung des israelischen Historikers Yuval Harari könnte der Aufstieg des Liberalismus seinen Untergang auslösen. Technologischer Fortschritt, nicht politische Interventionen, führen vielleicht das Ende des Liberalismus herbei. Also ist ein stärkerer Staat auf lange Sicht vielleicht unvermeidlich oder sogar wünschenswert. In der Zwischenzeit erzeugen die ideologischen Unterschiede zwischen China und dem Westen komplizierte diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Gut möglich, dass dies ein ideologischer Kampf zwischen Chinas „Wohlwollen“ und dem westlichen Liberalismus wird.

Über den Autor
Thorsten Jelinek
Politikwissenschaftler

Thorsten Jelinek ist der Europa-Direktor des Taihe Institute, einem Public-Policy-Thinktank in Peking. Zuvor war er stellvertretender Direktor beim Weltwirtschaftsforum und zuständig für die Wirtschaftsbeziehungen in Europa. Er hat weitreichende berufliche Erfahrungen durch die Arbeit mit kleinen und großen Unternehmen und er hat einen Doktor in politischer Ökonomie von der University of Cambridge und einen Master of Science in Sozialpsychologie von der London School of Economics.

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