Eine Frau spielt Theater.

Von, für und über die Men­schen – Das Community-Theater unserer Zeit

Lange Zeit wurden viel Aufmerksamkeit und Ressourcen auf das Mainstream-Theater gerichtet, während das Community-Theater, das für die soziale Entwicklung der Gemeinschaft verantwortlich ist, weiterhin marginalisiert wird.

ifa (Institut für Auslandsbeziehungen): Was ist die grundlegende Idee hinter dem Community-Theater?

Relebohile Mabunda: Hm! Ich kann den Ursprung nicht genau benennen, denn es ist eine weltweit praktizierte Ausdrucksform, deren Gemeinsamkeit es ist, Menschen am Rande der Gesellschaft zusammenzubringen, die so Geschichten über sich selbst und für sich selbst hören und erzählen. Es spielt keine Rolle, welche Art von Theater, aber was am Community-Theater geschätzt wird, ist die Verbindung zu den alltäglichen Realitäten der Kommune und das Entwickeln der Kraft zur kollektiven Veränderung.

Wenn in Südafrika von Community-Theater die Rede ist, meinen die Leute, man spreche von Volkstheater.

Das liegt daran, dass die Apartheid-Regierung das Community-Theater damals nicht guthieß, weil es unterdrückte Gemeinschaften dazu befähigte, sich gegen die Unterdrückung durch die Regierung zu wehren. Die Menschen vor Ort erfuhren durch das Community-Theater eine Befreiung.

Schon vor der Kolonisierung erzählte man sich in den Kommunen Geschichten übereinander. Das geschah durch Lieder, traditionelle Tänze, Rituale und Erzählungen, die nachts am Feuer, unter den Bäumen, in den Krals, Kirchen, Schulen und auf offenen Plätzen weitergegeben wurden. Auch heute noch erfüllt das Community-Theater seinen Zweck ... aber in welchem Maße? Denn die Lebensumstände der Künstler:innen des Community-Theaters und der kommunalen Kunsträume spiegeln düstere Prognosen wider. Das ist ein ernster Ruf nach Intervention.

Wo und wann begann Ihr Engagement für das Community-Theater?

Mabunda: Als ich in Südafrika aufwuchs, gehörte das Community-Theater zu unserem Alltag, zu unserer Kultur. Ich erinnere mich, dass ich irgendwann einer Theatergruppe beigetreten bin, weil ich von der Vorstellung fasziniert war, eines Tages im Fernsehen aufzutreten. Damals war das der einzige Traum ˗ vor allem, wenn man wie ich in Gemeinschaften aufwuchs, in denen es keine Menschen gab, zu denen man aufschauen konnte. Der einzige Bezugspunkt war der Bildschirm, insbesondere die Schauspielerei. Ich war von dem Selbstvertrauen der Gruppe angetan, sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen.

Es faszinierte mich, weil es Themen waren, über die in unseren Familien und Gemeinschaften nie offen gesprochen wurde. Interessanterweise spielten sich all die gesellschaftlichen Probleme wie häusliche Gewalt, Drogenmissbrauch, Schwangerschaften im Teenageralter und Armut direkt vor unserer Nase ab. Es wurde zur Norm, sie unter den Teppich zu kehren oder darüber zu tratschen.

Als ich jedoch die Theatergruppe auf der Bühne sah, die all das ansprach, worüber wir nichts wussten, wurde mir klar, dass ich Teil der Veränderung sein wollte. Als junger Mensch war es damals nicht einfach, die Älteren über das Unrecht oder das Schlechte aufzuklären. Wenn etwas Schlimmes passierte, war es nicht die Aufgabe eines Kindes, Fragen zu stellen. Der Beitritt zu einem Community-Theater gab mir damals ein "Sicherheitsnetz" in Form einer Rolle, in der ich endlich Fragen stellen konnte zu dem, was um uns herum geschah.

Was hat Sie dazu bewogen, sich bei Ihrer Forschung auf das Community-Theater zu konzentrieren?

Mabunda: Ich bin seit über einem Jahrzehnt im Bereich des Community-Theaters tätig und habe in dieser langen Zeit erlebt, wie Künstler:innen von dort in andere Branchen abgewandert sind. Heutzutage arbeiten Künstler:innen des Community-Theaters in Einzelhandelsunternehmen, weil ihre Kunst ihren Lebensunterhalt nicht sichern kann.

Als Kulturproduzentin auf Grassroot-Ebene bin ich frustriert über die Ungerechtigkeiten, mit denen das Community-Theater konfrontiert ist, vor allem über das Finanzierungsproblem und den niedrigen Stellenwert, den es in der Branche einnimmt. Es gibt eine abwertende Haltung gegenüber dem Community-Theater. Mir ist es wichtig, diese Einstellung zu ändern und das Fortbestehen meiner Arbeit ˗ des Community-Theaters ˗ auf lokaler Ebene, in den südafrikanischen Gemeinden zu sichern.

Werfen wir einen Blick auf Ihre Forschung: Was ist Ihr konkreter Schwerpunkt?

Mabunda: Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt darauf, zu verstehen, wie das Community-Theater in lokalen Gemeinschaften überleben kann, während gleichzeitig erwartet wird, dass es die Vorgaben der Regierung erfüllt. Ich musste verstehen, welche Strategien von den Künstler:innen angewandt werden, um die Aufmerksamkeit der Regierung zu gewinnen. Daher konzipierte ich die Aufführungen so, dass sie die sozialen Missstände in den Gemeinden und die Herausforderungen, mit denen die Künstler:innen des Community-Theaters konfrontiert sind, aufzeigen.

[...] das Community-Theater [kann] als Instrument genutzt werden, um auf die schmerzhafte Geschichte der Unterdrückung zu reagieren.

Die Aufführungen boten dem Publikum auch die Möglichkeit zur Diskussion möglicher Lösungen für die angesprochenen sozialen Missstände und Herausforderungen, mit denen deutsche und südafrikanische Künstler:innen im Community-Theater konfrontiert sind.

Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen?

Mabunda: Zunächst musste ich den soziopolitischen und historischen Kontext des Community-Theaters in Baden-Württemberg verstehen. Ich las Bücher, führte Interviews und besuchte Veranstaltungen des Community-Theaters. Ich bin auch selbst aufgetreten, was mir die Möglichkeit gab, am Entstehungsprozess teilzunehmen und zu verstehen, welche Geschichten und Themen die deutschen Kommunen auf der Bühne sehen wollen. Irgendwann war ich überwältigt von den vielen Informationen, die ich durch den Besuch fast aller kommunalen Kunstinitiativen in Stuttgart gesammelt hatte.

Die Gespräche mit dem Team am ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) waren sehr hilfreich, um all diese Informationen zu filtern. Ich spreche von „Team“, weil fast alle meine Kolleg:innen in den gesamten Prozess involviert waren. In der Küche oder im Flur fragte ich sie mitunter: "Erinnerst du mich bitte noch einmal daran, worum es bei meiner Forschung geht?". Alles in allem war der Prozess eine kollektive Teamarbeit, an der alle teilhatten, und das half mir, einen tieferen Einblick in das Community-Theater zu bekommen.

Wo sehen Sie das Potenzial des Community-Theaters in Deutschland im Vergleich zu Südafrika?

Mabunda: Das Publikum, das mit den kommunalen Kunsträumen in Verbindung steht, ist sich der bestehenden Initiativen des Community-Theaters bewusst, aber die breite Öffentlichkeit ist immer noch verwirrt, wenn sie Menschen in Kostümen in der Öffentlichkeit auftreten sieht. Die Menschen sind daran interessiert, Teil dieser Erfahrung zu sein, aber sie verstehen nicht, was wir tun, abgesehen davon, dass sie von unseren schönen Kostümen, dem Tanz und dem Gesang angezogen werden. Die Menschen sind bereits interessiert, die Frage ist nur, wie wir sie einbeziehen und sie erreichen können.

 

Ein anderer Punkt ist, dass Deutschland eine facettenreiche, vielfältige Bevölkerung hat, zu der auch Eingewanderte und internationale Gemeinschaften gehören. In der deutschen Community-Theater-Szene ist diese Vielfalt jedoch selten zu finden. Dieses Problem besteht leider nicht nur dort, denn auch das Mainstream-Theater spiegelt die aktuelle deutsche Gesellschaft nicht wider. Ich denke, dass das Community-Theater mit seiner Flexibilität, die nicht auf die eigenen vier Wände beschränkt ist, internationale und migrantische Gemeinschaften erreichen kann, insbesondere People of Colour, und zwar nicht nur als Teilnehmede, sondern auch als Darsteller:innen, Regisseur:innen und Bühnenpersonal.

Schließlich habe ich festgestellt, dass einige Themen den Deutschen immer noch Unbehagen bereiten. Man kann mit ihnen nicht einfach Gespräche über Rassismus oder den Holocaust führen, ohne dass sie das Gefühl haben, etwas falsch gemacht zu haben. Das Community-Theater ist eine Plattform, die deutsche Gemeinschaften für offene Gespräche nutzen können, nicht nur über Musik, Essen oder Tanz, sondern auch für kritische Gespräche über den Status quo.

Können Sie bereits eine Schlussfolgerung aus Ihren Recherchen ziehen?

Mabunda: Ich glaube, dass meine Forschung den Wert des Community-Theaters in den deutschen Kommunen deutlich gemacht hat, und was es potenziell leisten kann, wenn alle Akteur:innen und Kulturkonsument:innen ihm mehr Aufmerksamkeit schenken würden. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen Südafrika und Deutschland. Wie ich weiter oben schon sagte, kann das Community-Theater als Instrument genutzt werden, um auf die schmerzhafte Geschichte der Unterdrückung zu reagieren. Das sind Gespräche, die wir dringend führen müssen.

Einige Themen sind für weiße Deutsche immer noch heikel, und das gilt auch für schwarze Südafrikaner:innen. Wie kann man einen weißen Deutschen in ein Gespräch über Rassenfragen und den Holocaust verwickeln, ohne Schuldgefühle zu provozieren? Wie kann man mit schwarzen Südafrikaner:innen über die Apartheid sprechen, ohne dass Schuldgefühle aufkommen? Das sind die brennenden Fragen, und ich glaube, dass es zunächst darum geht, einen partizipativen und sicheren Raum zu schaffen, der solche Gespräche sowie Heilung und Perspektivwechsel ermöglicht. 

Es gibt Menschen in Gemeinschaften, die das Unrecht der Apartheid und des Holocausts immer noch nicht überwunden haben, von denen jedoch erwartet wird, dass sie einen Strich unter das Geschehene ziehen, denn die Unterdrücker haben ja um Vergebung gebeten. 

Augusto Boals Theorie merkt an, dass nicht viel getan wurde, um Ungerechtigkeiten der Vergangenheit wirksam zu beseitigen. Im Gegenteil, von den Opfern wird in gewisser Weise erwartet, friedlich neben ihren Unterdrückern zu leben, als ob nichts geschehen wäre. Einige Familien fragen sich auch heute noch, wo ihre Angehörigen geblieben sind. Das Community-Theater kann diese Lücke mit einem Austauschprogramm zwischen Südafrika und Deutschland schließen. Ich bin davon überzeugt, dass eine Zusammenarbeit die Wirkungskraft des Community-Theaters auf internationaler und globaler Ebene stärken kann.

Das Interview führte Nathalie Saccà. 

Über Relebohile Mabunda
Relebohile Mabunda, Foto: privat
Relebohile Mabunda
Performerin und Aktivistin für Gemeinschaftskunst

Relebohile Mabunda ist Performerin und Aktivistin für Gemeinschaftskunst. Sie studierte Angewandtes Theater und Drama und hat einen Master in Kulturpolitik und Kulturmanagement der University of Witwatersrand in Südafrika. Sie sucht die Interaktion mit Menschen aus marginalisierten Gemeinschaften, auch mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Als Sprungbrett für den Zugang zu und die Zusammenarbeit mit marginalisierten Gemeinschaften gründete Mabunda Lule Productions. Ihre Arbeiten wurden unter anderem auf Festivals wie Rehearse Reveal, Zwakala, Ishashalazi und dem Zabalaza Community Theatre Festival aufgeführt. Derzeit leitet Relebohile Mabunda als Bundeskanzler-Stipendiatin der Alexander von Humboldt Stiftung am ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) ein Kunstforschungsprojekt.