Illustration: Die EU als Festung wirft mit Zeppelinen ihre Werte im Ausland ab.

Westen, was nun?

Ob am Hindukusch oder auf dem Balkan: Die Bedrohung von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist eine globale Herausforderung und kein regionales Problem. Wie sollen sich der Westen und Europa künftig für diese Werte einsetzen?

Die These vom „liberalen Frieden“

Das Konzept des „Nationbuilding“, dem das Engagement einiger europäischer Akteure sowohl im ehemaligen Jugoslawien als auch in Afghanistan folgten, verknüpft sich mit dem „Paradigma des liberalen Friedens“ („liberal peace“), das vor 100 Jahren entstand. Am Ende des Ersten Weltkrieges, bei den Friedensverhandlungen in Versailles, hatte der amerikanische Präsident Woodrow Wilson das amerikanische Modell von liberaler Marktwirtschaft und Demokratie zum Vorbild erklärt, dessen Verbreitung weltweiten Frieden garantieren würde. Regierungen, die sich nicht auf bewaffnete Stärke, sondern auf freie Übereinkunft der Regierten gründeten, würden Gewalt nur als „letztes Mittel“ anwenden, so lautete seine Annahme.

Diese Überzeugung ging als These vom „liberalen Frieden“ in die Theorie der Internationalen Beziehungen ein. In der Wissenschaft wurde das Konzept allerdings später sehr kontrovers diskutiert. Ein Befund lautete, dass demokratische Staaten zwar untereinander Konflikte weitgehend ohne Gewaltanwendung lösen, aber fast ebenso häufig wie andere Herrschaftstypen in Kriege verwickelt und damit nicht wirklich friedlicher sind. Zu diesem Befund kommt etwa die Hamburger Konfliktforscherin Ana Geis. Auch Demokratien können aggressive Formen von Außenpolitik betreiben, und Staaten, die sich demokratisieren, instabile Form annehmen und damit Frieden gefährden. Zudem wurde von ihrem Frankfurter Kollegen Harald Müller kritisiert, dass das Konzept als politisches Rechtfertigungsnarrativ für einseitige Weltordnungsentwürfe diene.

Auch Demokratien können aggressive Formen von Außenpolitik betreiben, und Staaten, die sich demokratisieren, instabile Form annehmen und damit Frieden gefährden.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr das Konzept dennoch eine Renaissance. Sowohl in den USA als auch in einigen europäischen Ländern orientierten sich zahlreiche außenpolitische Akteure an der Überzeugung, dass eine vom Westen geförderte Demokratisierung in anderen Teilen der Welt Frieden mit sich bringen würde. Auch westlich geführte Missionen in Nachkriegsregionen orientierten sich an den Grundannahmen des liberalen Friedens. Angesichts der ethnopolitischen Konflikte und Kriege im ehemaligen Jugoslawien hatten die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Prävention völlig versagt.

Die Europäische Union ergriff jedoch nachträglich Maßnahmen zur Friedenskonsolidierung im Rahmen des „Stabilitätspakts für Südosteuropa“. Der Stabilitätspakt richtete sich auf Demokratisierung, Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit, also auch auf die wirtschaftliche Transformation ehemaliger sozialistischer Ökonomien in liberale Marktwirtschaften. Unterstützt wurden Staaten mit ehemals sozialistischen Wirtschaftsformen im Übergang zur liberalen Marktwirtschaft, bei der Durchführung von Wahlen und beim Aufbau demokratischer Institutionen. Die Programme zur Regeneration und Friedensförderung in den Protektoraten Bosnien-Herzegowina und Kosovo, aber auch die Politik gegenüber Kroatien, Serbien-Montenegro und Mazedonien waren von der Idee des liberalen Friedens getragen. Zudem ging man davon aus, dass die Aussicht auf einen EU-Beitritt die Transformation in den genannten Ländern unterstütze. Die EU selbst galt vielen schließlich als Beispiel dafür, dass Kriegsgegner durch enge wirtschaftliche und politische Kooperation und durch Rechtsbeziehungen miteinander ausgesöhnt werden konnten.

Auch die EU-Erweiterungspolitik seit den 1990er Jahren war maßgeblich von der Idee des „liberalen Friedens“ getragen. Verhandlungen mit neuen Beitrittskandidaten in Osteuropa waren immer an die Bereitschaft zur Errichtung demokratischer Staatswesen, an die Institutionalisierung der bürgerlichen Freiheitsrechte und an Rechtsstaatlichkeit geknüpft. Wirtschaftliche Liberalisierung war eine weitere Bedingung. Die EU knüpfte ihre politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem globalen Süden zunächst vielerorts an die Bereitschaft, Menschen-und Bürgerrechte zu respektieren, etwa durch Konditionierung von Entwicklungszusammenarbeit und bei Hilfen für den Wiederaufbau von Nachkriegsregionen.

Fassade, auf der mehrmals die Wörter "Peace" und "World" in rot und blau geschrieben stehen.
Für Friedenssicherung müssen vor einer Liberalisierung erst rechtsstaatliche Institutionen aufgebaut werden, Foto: Tori Nefores via unsplash

Sowohl global, als auch im westlichen Balkan zeigten sich allerdings rasch die Schwächen des „liberal peace-Ansatzes“: Der in Kanada lehrende Politikwissenschaftler Roland Paris zog bereits 2004 auf der Basis zahlreicher Fallstudien in Südosteuropa, Afrika, Lateinamerika und Asien den Schluss, dass der Ansatz zum Scheitern verurteilt sei, wenn er sich primär auf die Durchführung früher Wahlen und die Einrichtung von Parlamenten reduziere, ohne dass rechtsstaatliche Strukturen existieren. Der Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen müsse einer Liberalisierung unbedingt vorausgehen, damit Friedensförderung langfristig erfolgreich verlaufen könne. Er wies eindringlich auf die Ungerechtigkeiten und ökonomischen Fehlentwicklungen hin, die wirtschaftliche Liberalisierung mit sich bringen kann, wenn keine Rechtsstaatlichkeit gegeben ist und wenn juristische sowie politische Kontrollinstanzen fehlen.

Fehlentwicklungen auf dem Balkan

Fakt ist: Im westlichen Balkan hat die internationale Präsenz in Protektoraten massive Fehlentwicklungen hervorgebracht (so waren z.B. in Bosnien-Herzegowina Bereicherung und Korruption im Zuge der Privatisierung zu beklagen) und sie hat keineswegs umfassende und stabile Friedensordnungen hervorgebracht. In Bosnien-Herzegowina ist die staatliche Struktur bis heute weiterhin umstritten, nationalstaatliche Institutionen werden von relevanten politischen Akteuren und Teilen der Gesellschaft infrage gestellt und offen herausgefordert. Auch um den Status des Kosovo wird weiterhin gestritten. Teilweise wurden Konfliktlinien schlicht eingefroren und die Polarisierung setzt sich fort. Allerdings konnte offene militärische Konfrontation bisher verhindert werden, und durch die Förderung von Zivilgesellschaft und kulturelle Initiativen konnten wichtige Beiträge zur Aussöhnung auf regionaler und lokaler gesellschaftlicher Ebene geleistet werden, die dringend nach einer Fortsetzung verlangen. Das lässt sich gut am Beispiel Bosnien-Herzegowina illustrieren.

In Bosnien-Herzegowina (BiH) begann die internationale Präsenz mit einer militärischen Intervention (unter dem Eindruck des Völkermords in Srebrenica), die ebenso wie die nachfolgenden Missionen durch UN-Mandate und eine sehr breite internationale Unterstützung abgesichert war. Dem Peace Implementation Council, der die Umsetzung der Dayton-Verträge überwacht, gehören 55 Länder an. Zum Steuerungskreis gehören Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Russland, UK, USA, die EU und die Organisation of the Islamic Conference, repräsentiert durch die Türkei.

Die internationale Präsenz richtete sich auf die Umsetzung von Verträgen, die 1995 zwischen den Regierungen (Rest-)Jugoslawiens, Kroatiens und Bosniens in Dayton (Ohio) geschlossen wurden, und sie traf auf keine nennenswerte militärische Gegenwehr. Bis heute spielen in BiH zahlreiche politische Akteure vor allem die ethno-nationale Karte, um sich bei den Wahlen Mehrheiten zu sichern, und sie unterlaufen damit Prozesse der Aussöhnung. Gleichwohl konnten mit internationaler Unterstützung zahlreiche Institutionen aufgebaut oder reformiert werden. Zudem haben deutsche und europäische Kulturinstitute, politische und private Stiftungen mit vielfältigen kulturpolitischen Maßnahmen wichtige Akzente gesetzt. Neben der Förderung von unabhängigen Medien stand vor allem die Förderung von Zivilgesellschaft im Vordergrund, und auch von Dialog-und Begegnungsinitiativen, also Maßnahmen die sich auf eine Verständigung und Aussöhnung verfeindeter Gruppen in gespaltenen Gemeinwesen und kriegszerstörten Gesellschaften richten. Offizielle Kulturpolitik der verfeindeten Entitäten richtete sich vor allem darauf, Sprache und Geschichtsschreibung für politische Abgrenzung zu instrumentalisieren. Bildungseinrichtungen und Medien wurden dafür in Anspruch genommen. Auch Literatur, Film und die bildende Kunst blieben davon nicht unbeeinflusst.

Kulturelle Initiativen können bedeutende Impulse setzen, wenn sie in überzeugende friedens- und entwicklungspolitische Maßnahmen eingebunden werden. Überall dort, wo es eine politische Offenheit für Verständigung gibt, können sie die Heilung von traumatischen Erfahrungen, Vertrauensbildung und Aussöhnung kriegszerstörter Gemeinwesen unterstützen. Unter bestimmten Bedingungen können sie auch Dialog und Toleranz fördern.

Gleichzeitig haben SchriftstellerInnen, JournalistInnen und Kulturschaffende aber auch zur konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Krieg beigetragen. Die Kultur- und Medienszene hat mit internationaler Förderung eine eigene Dynamik entwickelt und dies hat mitgeholfen, gesellschaftliche Diskurse zu etablieren, die sich dem ethnokratischen Modell, nach dem das politische Leben in Bosnien-Herzegowina strukturiert wurde, widersetzten. Ein kreativer und ideologische Grenzen überschreitender Kulturbetrieb konnte das Lagerdenken zumindest punktuell durchbrechen, so der bosnische Publizist Ivan Lovrenovic. Um solche Initiativen zu unterstützen, sind internationale Förderprogramme unerlässlich. Kulturproduktion kann nicht die Macht ethno-nationalistischer Parteien durchbrechen oder korrupte Herrschaftsverhältnisse beseitigen. Aber sie kann dazu beitragen, Nischen zu etablieren, in denen alternative Diskurse möglich sind. Sie kann damit Menschen Hoffnung geben und sie darin bestärken, dem Mainstream andere Vorstellungen von Zugehörigkeit, Tradition, Geschichte und Identität entgegenzusetzen, ist Lovrenovic überzeugt.

Kulturelle Initiativen können bedeutende Impulse setzen, wenn sie in überzeugende friedens- und entwicklungspolitische Maßnahmen eingebunden werden. Überall dort, wo es eine politische Offenheit für Verständigung gibt, können sie die Heilung von traumatischen Erfahrungen, Vertrauensbildung und Aussöhnung kriegszerstörter Gemeinwesen unterstützen. Unter bestimmten Bedingungen können sie auch Dialog und Toleranz fördern. Das setzt jedoch voraus, dass entsprechende Potenziale von den internationalen Akteuren, die sich in Nachkriegsregionen engagieren, erkannt und mit längerfristiger Perspektive systematisch unterstützt werden. Dafür müssen Partner sehr sorgfältig gewählt werden.

Kulturschaffende, Bildungsinstitutionen und Medien können die Verklärung von kriegerischen Ereignissen und Mythenbildung vorantreiben. Sie können aber auch mithelfen, Vergangenheit differenzierter zu betrachten, damit langfristig auch zur Erneuerung beitragen. Dies zeigte sich in Bosnien-Herzegowina vor allem in der Erinnerungspolitik, die von offizieller Seite meist von einseitigen Sichtweisen geprägt wurde. Kriegsopfer wurden dafür schamlos instrumentalisiert und gleichzeitig oft schutzlos zurückgelassen. Das Schicksal von Frauen, die während des Kriegs vergewaltigt oder gefoltert worden waren, war lange mit einem massiven Tabu belegt. Der Film „Grbavica" der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic, der international mehrfach ausgezeichnet wurde, half mit, das Schweigen zu brechen. 2021 erhielt sie nun den europäischen Filmpreis für „Quo vadis, Aida?“, einen Film, der die widersprüchliche Dynamik der Ereignisse um den Völkermord in Srebrenica 1995 aus der Sicht einer bosnischen Übersetzerin beschreibt.

Initiativen für Aussöhnung

Sowohl in Bosnien-Herzegowina als auch in anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens, etwa in Serbien, Kroatien, Mazedonien und Kosovo, wo ethnopolitische Konflikte in mehr oder weniger ausgeprägter Form weiterschwelen, suchten Kulturschaffende und zivilgesellschaftliche Gruppen einen konstruktiven Umgang mit der Vergangenheit und Möglichkeiten der Aussöhnung. Sie bemühten sich um Faktenerhebung, seriöse Geschichtsschreibung, suchten nach Wegen, über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu diskutieren, und Erinnerung inklusiv zu gestalten.

Beispiele dafür bilden das Dokumenta Center in Zagreb, oder das Center for Nonviolent Action in Sarajevo und Belgrad, das mit einem multikulturell zusammengesetzten Team grenzüberschreitend Trainings in gewaltfreier Aktion organisiert und Kriegsveteranen darin unterstützt, der Opfer aller Seiten zu gedenken. Hier geht es darum, „Heldengedenken“ durch gemeinsame Erinnerungsorte zu ersetzen. Die Gestaltung solcher Orte ist gesellschaftlich umkämpft und stellt auch künstlerische Konzepte vor große Herausforderungen. Sie erfordert gutes Einfühlungsvermögen und Dialogprozesse mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung.

Europäische Förderinitiativen in der Balkanregion richteten sich in den vergangenen Jahren auch verstärkt auf die Jugend, getragen von der Einschätzung, dass kulturelle Vernachlässigung und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit Jugendliche für ethno-nationalistische Propaganda anfällig macht. Stattdessen wollte man Jugendliche für die Mitwirkung an gesellschaftlichen Wiederaufbau- und Demokratisierungsprozessen gewinnen. So wurde im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Mai/Juni 2007 ein Euromediterranes Jugendparlament ins Leben gerufen, das der Weiterbildung von Jugendlichen zugutekam.

Ein relativ aktuelles Beispiel für grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Kulturbereich ist die regionale Initiative zur Förderung von Jugendaustausch, unterstützt vom Regional Youth Cooperation Office (RYCO), einer unabhängigen internationalen Organisation, die von den Regierungen der westlichen Balkanstaaten am 4. Juli 2016 anlässlich der Westbalkan-Konferenz in Paris gegründet wurde. Deren Ziel ist es, Versöhnung und Zusammenarbeit zwischen Jugendlichen in der Region durch Austauschprogramme zu fördern, das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und ihnen dadurch jeweils die Kultur der Nachbarländer näherzubringen. Vorbild war das Deutsch-Französische Jugendwerk, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Jugendaustausch in Westeuropa maßgeblich mit unterstützte. RYCO wurde nach albanischem Recht mit Hauptsitz in Tirana (Albanien) verankert, weitere lokale Niederlassungen gibt es in Montenegro (Podgorica), Bosnien-Herzegowina (Sarajevo), Mazedonien (Skopje), Kosovo (Pristina) und Serbien (Belgrad). Im Beirat sind verschiedene europäische Einrichtungen vertreten, darunter das Deutsch-Französische Jugendwerk, der Balkan Trust for Democracy, internationale und europäische Jugendforen und Netzwerke aus den Mitgliedstaaten, die Friedrich Ebert- und die Konrad Adenauer Stiftung, sowie der Europarat und die EU-Kommission, die das ganze teilweise auch finanziell fördern.

Allen internationalen Bemühungen zum Trotz ist staatliche Politik in Teilen des westlichen Balkan auch weiterhin stark ethno-nationalistisch gefärbt. Aber daraus zu folgern, man hätte die Förderung von Kultur und Zivilgesellschaft unterlassen sollen, wäre völlig falsch.

Allen internationalen Bemühungen zum Trotz ist staatliche Politik in Teilen des westlichen Balkan auch weiterhin stark ethno-nationalistisch gefärbt. Aber daraus zu folgern, man hätte die Förderung von Kultur und Zivilgesellschaft unterlassen sollen, wäre völlig falsch. Gerade in der gegenwärtig zugespitzten Situation, in der einige Politiker über Separation oder Grenzverschiebungen spekulieren und ein gefährliches Spiel treiben, ist die Förderung von gesellschaftlichen Freiräumen und Begegnung junger Menschen wichtiger denn je. Aber gleichzeitig ist Bescheidenheit angesagt und es muss vor überhöhten Erwartungen gewarnt werden: Kulturdialog kann für sich genommen keine grundlegenden Veränderungen bewirken, sondern nur im Rahmen einer kohärenten europäischen Nachbarschaftspolitik Wirkung entfalten.

Für die Menschen im westlichen Balkan sind vor allem die übergeordneten politischen und wirtschaftlichen Perspektiven von Bedeutung und diese verbinden sich für viele weiterhin mit der Aussicht auf eine EU-Integration. Sollte diese Perspektive verloren gehen, wird auch bei denen, die sich für mehr Demokratie und eine Überwindung des Ethno-Nationalismus engagieren, die Hoffnung schwinden. Dies würde zum einen dazu führen, dass China und Russland, und auch der Regionalakteur Türkei in der Region an Einfluss gewinnen. Zum anderen würden mit Sicherheit noch mehr junge Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren.

Anders als in der Balkanregion lässt sich der Afghanistan-Einsatz kaum auf eine einheitliche und wertegeleitete „Idee des Westens“ zurückzuführen. Nach dem Angriff auf die Twin Towers in New York rief die Großmacht USA gemeinsam mit der NATO den Bündnisfall aus und ging mit militärischen Mitteln gegen Al Quaida und seine Unterstützer vor. Erst später haben die Verbündeten auf dem Bonner Petersberg – maßgeblich unterstützt von der deutschen Regierung – Maßnahmen für den Wiederaufbau Afghanistans verabredet. Es gab gewiss eine gemeinsam geteilte Bedrohungsvorstellung, aber es darf bezweifelt werden, dass die beteiligten internationalen Akteure jenseits des „Kriegs gegen den Terror“ übereinstimmende Ziele und Strategien verfolgten. Rückblickend kann man feststellen, dass es genau daran mangelte.

US-Präsident Biden wies in seiner Ansprache anlässlich des militärischen Abzugs am 31. August 2021 explizit darauf hin, dass Bedrohungsabwehr und militärischer Sieg im Vordergrund standen. Er betonte seine persönliche Überzeugung, man hätte sich auf die Zerstörung der Basen von Al Quaida und das Ergreifen von Osama Bin Laden beschränken und Einsatz nicht mit dem Anspruch des „Nationbuilding“ überfrachten sollen. Diese Feststellung mag auf viele, die sich in den vergangenen Dekaden für bessere Lebensverhältnisse in Afghanistan eingesetzt haben, zynisch gewirkt haben, aber vermutlich reflektierte sie recht realistisch das Wesen amerikanischer Außenpolitik. Sie verdeutlichte, dass es relevanten Akteuren bei diesem Einsatz primär um die Abwehr von Bedrohungen und weniger um die betroffenen AfghanInnen ging. Die Vorstellung von einem einheitlichen Vorgehen und einer „Idee des Westens“ zur Umsetzung gemeinsamer Werte entpuppt sich in diesem Kontext als Mythos.

Foto der Freiheitsstatue in New York von unten.
Bedrohungsabwehr und militärischer Sieg standen im Vordergrund der amerikanischen Außenpolitik in Afghanistan, Foto: Mariola Grobelska via unsplash

Gründe für das Scheitern in Afghanistan

Allerdings wurde in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern die Unterstützung für die „Operation Enduring Freedom“ und die „International Stabilisation Force“ (ISAF) in Afghanistan ganz maßgeblich mit dem Argument erkauft, dass man sich gleichzeitig für die Entwicklung und Demokratisierung des Landes engagieren wolle, für die Menschenrechte und vor allem für die Rechte der Frauen. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass zahlreiche Kooperationspartner in den urbanen Regionen durch die internationale Präsenz, durch Entwicklungszusammenarbeit und Initiativen im Bereich der Medien- und Kulturförderung eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren haben. Dennoch muss man feststellen, dass die Idee, parallel zur Kriegsführung (gegen Taliban und andere islamistische Akteure) westliche Politikkonzepte, Normen und Wertvorstellen am Hindukusch zu etablieren, gescheitert ist. Vielen politischen Akteuren, die das Vorgehen in Afghanistan zwei Jahrzehnte lang unterstützt oder mitgetragen haben, fällt es weiterhin sehr schwer, sich die gravierenden Widersprüche einzugestehen, die mit diesem Einsatz verbunden waren.

Ernstzunehmende Impulse für eine Aufarbeitung des Scheiterns in Afghanistan kamen bislang weniger aus der Politik als aus Forschungseinrichtungen und aus der Zivilgesellschaft. Beim Berlin Peace Dialogue, der vom zivilgesellschaftlichen Beirat Zivile Krisenprävention ausgerichtet wurde, der die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2017) berät, diskutierten Fachleute aus dem In- und Ausland im Oktober 2021 ausführlich über dieses Thema.

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass zahlreiche Kooperationspartner in den urbanen Regionen durch die internationale Präsenz, durch Entwicklungszusammenarbeit und Initiativen im Bereich der Medien- und Kulturförderung eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren haben. Dennoch muss man feststellen, dass die Idee, parallel zur Kriegsführung (gegen Taliban und andere islamistische Akteure) westliche Politikkonzepte, Normen und Wertvorstellen am Hindukusch zu etablieren, gescheitert ist.

Ihre Einschätzungen kann man so zusammenfassen: Das Vorgehen der westlichen Verbündeten wurde als völlig inkonsistent beschrieben. Die Entscheidung, frühere Warlords (Akteure, deren Einfluss unter der Taliban-Herrschaft zurückgedrängt worden war) an der Regierung zu beteiligen, habe Bemühungen, das Land politisch zu einen, untergraben. Korruption und Betrug zerstörten zusätzlich das Vertrauen der Bevölkerung in politische Strukturen. Die militärische Präsenz, die einerseits Kampfeinsätze gegen Al Quaida und Taliban beinhaltete (Enduring Freedom), zum anderen (ISAF) den Wiederaufbau absichern sollte, sei mehr und mehr als Besatzung empfunden worden. „Krieg und Entwicklung passen nicht zusammen“, lautete die Schlussfolgerung eines politischen Entscheidungsträgers, und dass man das viel früher hätte einsehen und Konsequenzen daraus hätte ziehen müssen. Die Unvereinbarkeit der Ziele (Antiterrorkampf, Stabilisierung, Entwicklung usw.) wurde betont, und dass es maßgeblich ein militärisches Scheitern war, das die Beteiligten über einen viel zu langen Zeitraum hin nicht wahrhaben wollten. Darüber hinaus habe man den regionalen Kontext nicht hinreichend analysiert und die Politik Pakistans gegenüber Afghanistan vernachlässigt. Dass die afghanische Regierung nicht an den Verhandlungen in Doha beteiligt war, habe Friedensbemühungen erschwert, weil damit für die Taliban jeglicher Anreiz, sich auf ein Powersharing-Modell einzulassen, schwand.

Auch dass ein Mehrfaches an Mitteln in den Militäreinsatz investiert wurde, verglichen mit den Ausgaben für zivilen Aufbau und Entwicklung, wurde kritisiert. Gleichzeitig seien die Strategien für Aufbau und Demokratisierung von überzogenen Erwartungen geprägt gewesen; eine realistische Vision hätte gelautet: „Change Afghanistan into something like Tadschikistan, but it was like: change Afghanistan into something like Denmark.“ Der Versuch, sogenannte westliche Werte und Politikvorstellungen im Rahmen des Nationbuilding in eine kulturell völlig andere Weltregion zu übertragen, sei gescheitert, und es sei zudem deutlich geworden, dass man in einem dezentral organisierten Land nicht zentralistische Formen von Politik und Verwaltung etablieren könne.

Die für die Einsätze in Afghanistan Verantwortlichen hätten sich in „Echokammern“ bewegt, mit den immer gleichen Argumenten und Perspektiven, ohne dazuzulernen. Dabei mangelte es nicht an Material zur Korrektur. Die norwegische Regierung hatte schon 2013 bei einer unabhängigen Kommission eine Studie in Auftrag gegeben, die das Vorgehen der westlichen Verbündeten in Afghanistan insgesamt als inkonsistent und inkohärent bewertete. 2015 hatte der Europäische Rechnungshof eine kritische Evaluierung zur EU-Polizeimission in Afghanistan vorgelegt und empfohlen, diese angesichts der desolaten Sicherheitssituation zu beenden. Fazit: Es mangelte nicht an Fakten und Analysen für eine differenziertere Lagebeurteilung, sondern an der Bereitschaft, daraus angemessene Schlüsse zu ziehen.

In Afghanistan waren Bündnispartner mit höchst unterschiedlichen und unvereinbaren Agenden unterwegs, das bekamen unter anderem auch Hilfsorganisationen zu spüren. Während einige im Wesentlichen den Krieg gegen den Terror forcierten (z.B. die USA), wollten sich andere vorrangig im „Nationbuilding“, im Wiederaufbau und der Entwicklungszusammenarbeit engagieren (z.B. die deutsche Bundesregierung). Die internationalen Streitkräfte etablierten zivil-militärische „Provincial Reconstruction Teams“ (PRTs) und starteten auf diesem Wege zivile Hilfs- und Wiederaufbauprogramme. So sollte in der afghanischen Bevölkerung Akzeptanz für die Militärpräsenz hergestellt werden. Humanitäre Akteure, die eigentlich Unparteilichkeit für sich in Anspruch nehmen wollten, waren somit für die Gegner des westlichen Bündnisses kaum von den militärischen Akteuren unterscheidbar. Hilfsorganisationen wurden zur Zielscheibe. Manche entschlossen sich zum Rückzug, andere schränkten ihre Aktivitäten stark ein und betonten weiter ihre Unabhängigkeit und Neutralität.

Die von den Vereinten Nationen mandatierte Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF), die den Wiederaufbau absichern sollte, verwandelte sich nach und nach schließlich auch in eine Truppe zur militärischen Aufstandsbekämpfung, je mehr Taliban und extremistische Netzwerke versuchten, Terrain zu gewinnen. ISAF koordinierte sich eng mit den Einheiten der Operation Enduring Freedom und schließlich standen beide unter dem Kommando des US-amerikanischen Befehlshabers.

So änderte sich schließlich auch die Wahrnehmung der ISAF in der afghanischen Zivilbevölkerung: Die langfristige Präsenz wurde zunehmend auch als Besatzung gesehen. Dass beides (Krieg führen und Entwicklung voranbringen) schwer zusammengeht, haben zahlreiche humanitäre Akteure sehr direkt erfahren und einige haben das Land daraufhin verlassen. Ergebnis: massiver Glaubwürdigkeitsverlust westlicher, beziehungsweise europäischer Politik.

Die Bilder von Kabul werden sich vermutlich weltweit ins Gedächtnis brennen, und sie gehen mit einem schwerwiegenden Glaubwürdigkeitsverlust einher. Die Botschaft, die man im globalen Süden daraus ableiten wird, lautet, dass man sich besser nicht mit westlichen Institutionen einlassen sollte, die ankündigen, Demokratie, Menschenrechte und Geschlechtergleichheit in entfernte Weltregionen zu bringen, weil man am Ende schutzlos zurückgelassen wird.

Mit den Bildern verzweifelter Menschen auf dem Kabuler Flughafen im August 2021 verbindet sich mehr als nur eine weitere menschliche Tragödie im Kontext des „Kriegs gegen den Terror“. Sie markieren eine historische Zäsur, ähnlich wie der Abzug der USA aus Vietnam, der 1973 begann und mit der Eroberung Saigons durch den Vietcong 1975 endete – da gibt es ganz erstaunliche Parallelen. Auch dort war offensichtlich, dass es bei den Einsätzen amerikanischer Truppen nicht um die Menschen in Vietnam ging, sondern um ganz andere, militärstrategische und machtpolitische Erwägungen. Auch damals wurden Verhandlungen nicht im Sinne einer Zukunft und der Befriedung des Landes geführt, sondern für einen raschen Exit um jeden Preis und ohne Rücksicht auf Verluste. Die Bilder von Kabul werden sich vermutlich weltweit ins Gedächtnis brennen, und sie gehen mit einem schwerwiegenden Glaubwürdigkeitsverlust einher. Die Botschaft, die man im globalen Süden daraus ableiten wird, lautet, dass man sich besser nicht mit westlichen Institutionen einlassen sollte, die ankündigen, Demokratie, Menschenrechte und Geschlechtergleichheit in entfernte Weltregionen zu bringen, weil man am Ende schutzlos zurückgelassen wird.

Nicht nur die westlichen Regierungen, sondern auch NGOs und im Kulturbereich tätige Akteure müssen sich die Frage stellen, inwieweit sie derartige Widersprüche in Kauf nehmen wollen, und in welche Art von Einsätzen sie sich in Zukunft einbinden lassen wollen. In Deutschland hat die neugewählte Regierung im Koalitionsvertrag eine Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und eine Enquetekommission versprochen.

Die deutsche Politik betreffend stehen folgende Fragen im Raum:

  • Warum wurde die Ausreise von Ortskräften und gefährdeten Personen nicht parallel zum Abzug der Bundeswehr organisiert?
  • Wieso hat die Bundesregierung, obwohl sie über die Verschlechterung der Sicherheitslage informiert wurde, bis Mitte August nur für einen Bruchteil der Schutzbedürftigen Visa erteilt?
  • Und wie kommt sie dazu, die Zahl des gefährdeten afghanischen Personals herunterzurechnen und auf ein Minimum zu beschränken (Ortskräfte der Bundeswehr seit 2013, Vertragspartner des Auswärtigen Amts und der Entwicklungszusammenarbeit nur aus den letzten zwei Jahren, und von NGO-Partnern war zunächst gar nicht die Rede)?

Es wäre zu wünschen, dass diese Aufarbeitung unter Einbeziehung von Friedensforscherinnen und europäischer sowie afghanischer Zivilgesellschaft vonstattengeht. Dabei sollte es jedoch nicht einfach darum gehen, zu fragen, was beim nächsten Auslandseinsatz anders gemacht werden sollte, sondern im Vordergrund müsste die Frage stehen, ob es eine Beteiligung an vergleichbaren Einsätzen in Zukunft überhaupt geben soll und welche Alternativen sich zur militärischen Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bieten. Nur mit einer ehrlichen Aufarbeitung und einer veränderten Politik könnten der entstandene Schaden und Glaubwürdigkeitsverlust noch gemindert werden. Auch europäische Politik muss Konsequenzen aus den Erfahrungen am Hindukusch ziehen.

Umgang mit dem Glaubwürdigkeitsverlust

Um den entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust wenigstens abzumildern, müssen die europäischen Regierungen auf allen erdenklichen Wegen versuchen, in Afghanistan verbliebene gefährdete Personen in Sicherheit zu bringen und diesen mit ihren Familien innerhalb der EU Schutz zu bieten. Das gilt nicht nur für Ortskräfte der Streitkräfte, sondern auch für Fachkräfte der Entwicklungszusammenarbeit, für NGO-AktivistInnen, Frauenrechtlerinnen, JournalistInnen und Kulturschaffende. Selbstverständlich muss man dafür mit den Taliban verhandeln. Eine weitere Verantwortung für Deutschland und die EU besteht in der Nothilfe, um eine drohende Hungerkatastrophe abzuwenden. Eine dritte und langfristige Herausforderung wird darin bestehen, eine friedenslogische Flüchtlingspolitik zu formulieren.

Statt Flüchtlinge als Bedrohung wahrzunehmen, so die Politikwissenschaftlerin Hanne Birckenbach, ist in der friedenslogischen Erzählung die Gewalt das Problem, die Menschen vor, während und nach ihrer Flucht als Verletzung ihrer Grundbedürfnisse erleiden. Dem gelte es vorzubeugen (nachzulesen in Hanne Birckenbach, „Leitbild Frieden. Was heißt Friedenslogische Flüchtlingspolitik?", Dialog 14, Brot für die Welt 2015). Demnach müssen Menschen unbürokratisch aufgenommen und Asylverfahren beschleunigt werden. Auch JournalistInnen und Kulturschaffende, die vor Verfolgung in angrenzende Regionen geflüchtet sind, müssen langfristig unterstützt werden.

Wie sehr derartige Unterstützung benötigt wird, zeigen Berichte von „Reporter ohne Grenzen“ zur Verfolgung von in Afghanistan verbliebenen JournalistInnen. Einige möchten weiterhin über die Entwicklungen im Land berichten. Andere mussten fliehen und bemühen sich, ihre Arbeit im Exil fortzusetzen. Sie benötigen dafür aber dringend Ressourcen: In Albanien beispielsweise, das mehr als 2.000 AfghanInnen aufnahm, haben sich 17 JournalistInnen zusammengetan, um weiterhin für zwei afghanische Zeitungen in Online-Formaten zu produzieren (Etilaat e Roz / Kabul Now, und Hasht e Subh / 8am Daily). Sie haben ihr Büro in einem Hotel etabliert, das als Flüchtlingsunterkunft dient. Elyas Nawandish, Online-Chef und Chefredakteur von Etilaat e Roz, erklärt: „Wir decken alle Nachrichten ab, Ereignisse und Themen, die Afghanistan und die Menschen dort betreffen: Armut, Kultur.” Mujibrahman Mehrdad, Chefredakteur der Hasht e Subh (8am Daily), berichtet weiter aus Afghanistan: „Wir machen einen hybriden Job, weil unser Büro noch immer in Kabul ist und unsere Reporter alle Themen behandeln. Aber von hier aus analysieren wir die internationalen Beziehungen zusätzlich aus einer anderen Perpektive ” (nachzulesen in einem Beitrag von Fjori Sinuruka auf der Website Balkan Insight, „Afghan Refugee Journalists Keep Free Press Alive From Albania“, 27. Oktober 2021).

Unter den Flüchtlingen, die Albanien aus Afghanistan aufnahm, befinden sich nach Berichten des Balkan Investigative Reporting Network 50 JournalistInnen. Sie alle genießen bislang temporären Schutz für ein Jahr, mit Aussicht auf Verlängerung und arbeiten unter sehr prekären Bedingungen. Hier gibt es also Ansatzpunkte für Zusammenarbeit im Bereich von Medienunterstützung und Kulturdialog für europäische Akteure.

Nach dem Scheitern in Afghanistan müssen unbedingt Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass die Beteiligung an Auslandseinsätzen nie wieder aus „Echokammern“ heraus entschieden wird. Auslandseinsätze müssen fortlaufend und ressortübergreifend evaluiert werden.

Nach dem Scheitern in Afghanistan müssen unbedingt Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass die Beteiligung an Auslandseinsätzen nie wieder aus „Echokammern“ heraus entschieden wird. Auslandseinsätze müssen fortlaufend und ressortübergreifend evaluiert werden. Nur so kann festgestellt werden, ob die Ziele realistisch und miteinander vereinbar sind, und welche Maßnahmen und Strategien zu ihrer Erreichung geeignet sind, und wo sie angepasst oder aufgegeben werden müssen. Während entwicklungspolitische Akteure inzwischen auf eine jahrzehntelange Evaluierungspraxis zurückblicken können, hat sich der sicherheitspolitische Bereich diesem Anliegen bislang recht konsequent entzogen.

Regelmäßige Evaluierungen sind auch deshalb erforderlich, weil sich in der Sahelregion, wo Deutschland und andere EU-Länder ebenfalls in vielfältigen Militärkooperationen und Ausbildungsmissionen unterwegs sind, massive Herausforderungen abzeichnen. Es gibt klare Indizien dafür, dass sich auch dort die vielfältigen Missionen und sicherheitspolitischen Initiativen teilweise diametral widersprechen.

So hat Frankreich in den vergangenen Jahren einen starken Fokus auf die militärische Bekämpfung von Extremisten gelegt, während die EU und die deutsche Regierung vor allem entwicklungspolitische Ansätze und die Ertüchtigung von Polizei und Militär durch Ausbildungsmissionen betonten.

Die vielfältigen Mandate sind für die dortige Bevölkerung und Zivilgesellschaft immer weniger nachvollziehbar und unterscheidbar, und insgesamt hat die Akzeptanz für ausländische Militärpräsenz stark abgenommen. Aber auch die nicht-militärischen Ansätze sind nicht passgenau auf die Situation und lokalen Bedürfnisse zugeschnitten. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Mali berichten vom sinnlosen Bemühen europäischer Akteure, europäische Normen und Politikvorstellungen in fremde Kontexte zu übertragen, und von dem Versuch, zentralistische Verwaltungsstrukturen in Regionen zu verankern, in denen aufgrund der historischen Entwicklung eine Stärkung dezentraler Strukturen erforderlich wäre. Gleichzeitig gibt es dort eine ausgeprägte Zivilgesellschaft, die systematischer in die Gestaltung politischer Prozesse einbezogen werden sollte.

Soldaten bei Schießübungen auf sandigem Boden liegend.
Die Akzeptanz für ausländische Militärpräsenz hat stark abgenommen, Foto: chrisaram2 via pixabay

Schauplatz Sahel

Nicht nur das Engagement in Afghanistan, sondern auch die Erfahrungen mit der internationalen Präsenz im Sahel sollten gemeinsam mit NGOs – vor allem mit lokalen AktivistInnen und Thinktanks – ausgewertet werden. Gleichzeitig sollte man mit diesen Akteuren Alternativen zum militärischen Umgang mit Extremisten erörtern. 2021 haben namhafte europäische NGOs und Thinktanks die EU zur Revision ihrer Antiterrorpolitik aufgerufen und eine stärkere Förderung von Mediations- und Verhandlungsansätzen mit bewaffneten Akteuren in Krisengebieten empfohlen. Es ist Zeit für eine ehrliche Auswertung der Erfahrungen im westlichen Balkan, in Afghanistan und in der Sahelregion. Auf dieser Grundlage sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten eine kohärente Außen-, Entwicklungs-, Sicherheits- und Migrationspolitik entwickeln, die nicht nur vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungen aus europäischer Perspektive in den Blick nimmt, sondern sich auf „menschliche Sicherheit“ und „menschliche Entwicklung“ richtet, wie es die Generalversammlung der Vereinten Nationen einst vorgeschlagen hat.

Ein solcher Begriff von Sicherheit gründet sich weniger auf militärische Konzepte und die Abwehr von Bedrohungen, als vielmehr auf die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen und er nimmt auch die Rechte und Würde von Menschen im globalen Süden in den Blick. Auf dieser Basis könnten fehlgeleitete außenpolitische Vorstellungen von „Nationbuilding“ und „Werteexport“, die auf dem Paradigma des „liberalen Friedens“ beruhen, aber zugleich massive Risiken der Verfestigung neokolonialer Denkweisen und Politikmuster bergen, vielleicht endlich überwunden werden. Das setzt allerdings die Bereitschaft voraus, sich mit dieser Ambivalenz wirklich auseinanderzusetzen.

Es ist Zeit für eine ehrliche Auswertung der Erfahrungen im westlichen Balkan, in Afghanistan und in der Sahelregion. Auf dieser Grundlage sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten eine kohärente Außen-, Entwicklungs-, Sicherheits- und Migrationspolitik entwickeln, die nicht nur vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungen aus europäischer Perspektive in den Blick nimmt, sondern sich auf „menschliche Sicherheit“ und „menschliche Entwicklung“ richtet, wie es die Generalversammlung der Vereinten Nationen einst vorgeschlagen hat.

Kein Kontinent oder Land könne der alleinige Motor der Weltgeschichte sein, schrieb der indische Schriftsteller Pankaj Mishra in seinem Essay „Die vielen Ideen Europas“ im Kulturreport 2020 und geißelte damit die Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit, die den Kontinent geprägt habe: Das „Selbstbild Europas als Hort der Vernunft und Garant der Freiheit“ gehöre „in die Mottenkiste“, denn solche schmeichelhaften Selbstbilder seien „blutgetränkt“ und die Ansprüche auf die moralische und politische Überlegenheit „bestenfalls provinziell“. Die Vorstellung, Europa verkörpere Vernunft und Freiheit, beschrieb er als ideologisches Konstrukt, das sich in der Konfrontation zwischen der sogenannten „freien“ Welt und dem totalitären Kommunismus herausbildete, aber vom Rest der Welt keineswegs uneingeschränkt geteilt wurde. Für Asiaten gebe es keine „Idee“ Europas, so Mishra, sondern viele „Ideen Europas“ – dazu zählten „der Imperialismus ebenso wie die liberale Demokratie, rassische und religiöse Intoleranz ebenso wie individuelle Freiheit und der Kampf für Gerechtigkeit.“

So würden die Führer Chinas beim Ausbau ihrer lokalen und internationalen Macht immer auch auf ein „Jahrhundert der Demütigung“ durch westliche Mächte verweisen. Letztlich rief Mishra die EuropäerInnen zu einer kritischen Selbstreflexion und mehr Bescheidenheit auf: „Die politische Selbstbehauptung der islamischen Länder und der Aufstieg des chinesischen Nationalismus führen uns die vernetzte, aber äußerst ungleiche Welt vor Augen, die der europäische Imperialismus geschaffen hat.“

Damit verbindet er die Empfehlung für einen grundlegenden Identitäts- und Politikwandel: „Versuche, das europäische Selbst durch die gewaltsame Abgrenzung gegenüber dem Anderen und durch Gegensätze – zivilisiert und rückständig, Kolonisator und Kolonisierter – zu definieren, können keinen Erfolg haben in einem Zeitalter, in dem der Andere ebenfalls die Macht hat, Geschichte zu schreiben und zu machen. Der Boden ist bereitet für komplexere Formen des Selbstverständnisses, frei von Selbstgefälligkeit, nationalistischer Mythenbildung und Rassendünkel.“

Leider zeigen politische Mandats- und Entscheidungsträger auf EU-Ebene aktuell wenig Bereitschaft für eine kritische Reflexion europäischer Politik im internationalen Kontext. Vor allem prominente Sicherheitspolitiker waren schnell dabei, aus dem Scheitern in Afghanistan vor allem eines zu schlussfolgern: dass sich Europa unbedingt militärisch stärker aufstellen müsse. Die Denkfigur, die jetzt mit Blick auf die erschütternden Bilder in Kabul (vom August 2021) gern bemüht wird, lautet: Nie wieder wolle man von den USA abhängig sein, um einen Flughafen zu verteidigen.

Das Scheitern in Afghanistan fällt zusammen mit der Wahrnehmung von Zielkonflikten im transatlantischen Verhältnis und mit der Suche der Union nach einer sicherheitspolitischen Neuausrichtung. Daher hat der Außenbeauftragte Josep Borrell den Mitgliedstaaten kürzlich den Entwurf für ein neues Strategiepapier („Strategic Compass“) vorgelegt. Dieses verabschiedet sich von der Idee, dass die EU als „Soft Power“ ihre Interessen verteidigen kann und betont nachdrücklich, dass sie eigene militärische Fähigkeiten aufbauen müsse. Der „Strategische Kompass“ wird aktuell im Rat der EU diskutiert und soll im 2022 verabschiedet werden.

Europa sei in Gefahr, weil es in einer strategischen Umgebung operieren müsse, die zunehmendem Wettbewerb unterliege, wird aus dem Vorwort zitiert; die klassische Unterscheidung von Krieg und Frieden sei immer schwieriger geworden, angesichts von Cyberangriffen, der Instrumentalisierung von Migranten, privaten Armeen und es gehe auch um Kontrolle über Rohstoffe. Was Borrell da in der Schublade hält, geht weit über die „Globale Strategie der EU“ hinaus, die 2016 von der Außenbeauftragten Federica Mogherini formuliert wurde.

Dieses Papier ließ noch einen gewissen Stolz auf die „Soft Power“ der EU erkennen und beschrieb diese als komparativen Vorteil; es forderte eine stärkere Zusammenarbeit im militärischen Bereich eher als Ergänzung, um „Machtpolitik in ihre Schranken zu verweisen“. Der strategische Kompass geht inzwischen einen großen Schritt weiter, wie man dem Textvorschlag, den der Europäische Auswärtige Dienst erarbeitet hat, entnehmen kann. Wenn es nach Borrell geht, soll Europa „die Sprache der Macht lernen“ und sich im Spiel der Großmächte behaupten können, um seine „vitalen Interessen“ zu verteidigen. Zitat: „Uns gefällt die Welt von Kant, aber wir müssen uns darauf einstellen, in der Welt von Hobbes zu leben“ (Josep Borell zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2021).

Soll die Aufrüstung mit zusätzlichen militärischen Kontingenten tatsächlich die Antwort der EU auf die wachsenden globalen Herausforderungen sein?

Aus diesen Worten spricht die Wahrnehmung einer anarchischen Welt, in der ein „Kampf aller gegen alle“ die Normalität darstellt. Verhandelt wird mit den EU-Mitgliedstaaten über eine sogenannte „Rapid Deployment Capacity“, also die schnelle Verlegefähigkeit von bis zu 5.000 Soldaten, die bis 2025 einsatzfähig sein soll. Dafür will man die bisher ungenutzten EU-Battlegroups modifizieren, ungeachtet dessen, dass die NATO so eine Einheit längst vorhält. Entscheidungsprozesse sollen durch Aktivierung von Artikel 44 des EU-Vertrags beschleunigt werden (demnach müssen nur noch Grundsatzentscheidungen einstimmig getroffen werden).

So könnten künftig Koalitionen der Willigen sicherheitspolitische Maßnahmen ergreifen. Schon in den vergangenen fünf Jahren haben die EU-Mitgliedstaaten unter anderem mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ und dem „Europäischen Verteidigungsfonds“ entscheidende Weichen für eine enge Militärkooperation gestellt. Außenpolitisch haben sie vor allem in der Sahelregion den Aufbau militärischer Eingreifpotenziale der G-5 Sahel-Staaten unterstützt. Darüber hinaus sind sie mit einer Vielzahl von Ausbildungs- und Ausrüstungsmissionen – vor allem in Nordafrika und im Sahel, aber inzwischen auch in weiteren Ländern Afrikas – präsent, um Polizei und Armeen in Drittstaaten im Kampf gegen Extremisten und bei der Sicherung von Grenzen gegen Migranten zu unterstützen.

Hier muss man wirklich kritisch nachfragen: Soll die Aufrüstung mit zusätzlichen militärischen Kontingenten tatsächlich die Antwort der EU auf die wachsenden globalen Herausforderungen sein? Der Hinweis auf eine sogenannte „strategische Autonomie oder Souveränität“ der EU erweist sich in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Europäischen PolitikerInnen sollte bewusst sein, dass die EU militärisch immer nur ein Juniorpartner der USA bleiben werden wird, es sei denn, sie wären bereit, die Union zu einer Supermacht hochzurüsten und die ganze Welt mit militärischen Stützpunkten zu überziehen.

Reihe von Flaggen europäischer Staaten.
Die EU-Mitgliedstaaten haben es bis heute nicht geschafft, eine abgestimmte Außenpolitik zu entwerfen, Foto: Joshua Fuller via unsplash

Europas Beitrag zum globalen Frieden

Das wiederum ginge auf Kosten jeglicher sozialer Standards. Für ein solches Projekt dürfte es unter den EU-BürgerInnen insgesamt vermutlich keine Akzeptanz geben. Die Option einer „strategischen Autonomie/Souveränität“ ist völlig unrealistisch, zumal die EU-Mitgliedstaaten auf absehbare Zeit nicht zu einem Nationalstaat verschmolzen sind und es bis heute nicht geschafft haben, eine abgestimmte Außenpolitik zu entwerfen. Es wird auf absehbare Zeit mit Sicherheit keine Loslösung von den USA geben, aber sehr wahrscheinlich kommt es zum Aufbau von völlig überteuerten Doppelstrukturen. Die wären dem Frieden in der Welt kaum dienlich, der dringend auf Dialogbereitschaft und den Ausbau von Systemen kollektiver Sicherheit angewiesen ist. Statt europäische Steuergelder verstärkt in militärische Strukturen noch zusätzlich zur NATO zu investieren, sollten sich die Mitgliedstaaten lieber der Stärkung globaler, regionaler und lokaler Strukturen der Friedenssicherung zuwenden und die Prävention von Gewaltkonflikten in den Blick nehmen. Die meisten wüten derzeit jenseits von Europa. Im Jahr 2020 wurden weltweit 220 Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, 21 davon hat das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung als Kriege eingestuft.

Auch wenn sie meist ferne Länder betreffen, werden sie doch von politischen Entwicklungen in Europa maßgeblich mit beeinflusst. Die europäische Handels- und Agrarpolitik wirkt sich negativ auf den afrikanischen Kontinent aus, weil sie Märkte verzerrt und dazu beiträgt, Menschen in Armut zu halten. Auch wenn durch Interessen multinationaler Konzerne Menschen von ihrem Land vertrieben werden, oder wenn Bergbau-Unternehmen Umwelt gefährden, werden Lebensgrundlagen und natürliche Ressourcen zerstört. Versäumnisse in der Klimapolitik beeinträchtigen Lebensbedingungen und können Konflikte begünstigen, zum Beispiel in der Sahelregion, im Nahen Osten und auch in Afghanistan. Europäische Rüstungs- und Sicherheitspolitik hat ebenfalls gewaltfördernde Wirkung, insbesondere dann, wenn militärisches Material und Knowhow in Krisenländer und Diktaturen transferiert wird. Europäische Rüstungsgüter (vor allem Klein- und Leichtwaffen) tragen weiterhin vielerorts zum Tod von Menschen in Gewaltkonflikten bei.

Friedenspolitik muss sich darauf richten, Ursachen für Unfrieden zu beseitigen und einer gewaltsamen Eskalation von Konflikten vorzubeugen. Die Ursachen von Konflikten müssen umfassend analysiert und frühzeitig erkannt werden, um die beteiligten Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen und politische Entscheidungen zu beeinflussen. Nur so kann Gewalt verhindert und Versöhnung ermöglicht werden. Friedensprozesse müssen von den betroffenen Menschen getragen werden, externe Akteure können sie jedoch unterstützen. Mit der Förderung von Mediation und Verhandlungsunterstützung kann man dazu beitragen, die Beziehungen von Konfliktparteien zu verbessern und diese befähigen, gemeinsam Missstände zu beseitigen und Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben zu schaffen. Doch das setzt langfristiges und konfliktsensibles Engagement voraus. Auch Kulturarbeit kann in diesem Zusammenhang einen wichtigen Raum einnehmen.

Statt ihre militärischen Arsenale zu füllen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten die Fähigkeiten der Vereinten Nationen und ihrer Regionalorganisation OSZE für Konfliktanalyse, Frühwarnung und Friedensförderung stärken helfen.

Gleichzeitig sollten sie das Völkerrecht konsequent beachten und weiterentwickeln. Militäreinsätze ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats und geführt von Koalitionen der Willigen können dem Frieden nicht dienen, sondern ihn allenfalls gefährden. Auch mit China und Russland wird man reden müssen, wenn man die Agenda 2030 umsetzen und in der globalen Klimapolitik etwas erreichen will, hier sind alle Industriestaaten gleichermaßen in der Pflicht und sie müssen dabei kooperieren.

Kulturförderung aus einer polizeilich und militärisch abgeschotteten „Festung Europa“ heraus zu gestalten, macht keinen Sinn und wird auf globaler Ebene zwangsläufig an Legitimität einbüßen. Die Glaubwürdigkeit Europas steht und fällt mit der Flüchtlingspolitik.

Die Förderung von Zivilgesellschaft und von kulturellen Initiativen zur Unterstützung von Verständigung und Aussöhnung sollten weiterhin großgeschrieben werden. Mit ihren vielfältigen Förderprogrammen für Friedens- und Menschenrechtsarbeit wurde die EU schließlich zu einem wichtigen Referenzrahmen für AktivistInnen im globalen Süden. „Soft Power“ im Sinne der Förderung von Dialog, Kultur und Diplomatie war immer ein Mehrwert der EU und sollte das auch bleiben. Kulturförderung kann aber nur funktionieren und positiv wirken, wenn sie auf Augenhöhe organsiert wird und wechselseitiges Lernen begünstigt. Sie verträgt sich nicht mit Dominanzkultur und Einsätzen, die sich auf militärische Stärke gründen und primär die Abwehr vermeintlicher oder tatsächlicher Bedrohungen für die EU-BürgerInnen oder gar die Abwehr von Flüchtlingen zum Ziel haben.

Kulturförderung aus einer polizeilich und militärisch abgeschotteten „Festung Europa“ heraus zu gestalten, macht keinen Sinn und wird auf globaler Ebene zwangsläufig an Legitimität einbüßen. Die Glaubwürdigkeit Europas steht und fällt mit der Flüchtlingspolitik. Mit der Weigerung, eine einheitliche und gerechte Asylpolitik zu gestalten und sich an der Umsetzung des UN-Migrationspakts zu beteiligen, mit dem Bestreben, die EU-Grenzen gemeinsam mit menschenrechtsverachtenden Partnern (z.B. der libyschen Küstenwache) auf den afrikanischen Kontinent zu verschieben, und mit rechtswidrigen „Pushbacks“ von Geflüchteten verspielen die Mitgliedstaaten ihre Glaubwürdigkeit. Wenn hier nicht umgesteuert wird, werden die Werte, auf die sich die EU noch immer gern beruft (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte), endgültig im Mittelmeer versinken.

Über die Autorin
Portrait Martina Fischer
Martina Fischer
Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt, Berlin

Martina Fischer ist Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt. Die promovierte Politikwissenschaftlerin ist seit den 1980er Jahren in der Friedensforschung aktiv. Für die Berghof Foundation in Berlin hat sie sich ab 1998 vor allem mit der Friedensförderung in Nachkriegsgesellschaften und der Rolle von Zivilgesellschaft in der Konflikttransformation beschäftigt. Sie hat zu diesen Themen einschlägige wissenschaftliche Publikationen verfasst und verschiedene Praxisprojekte begleitet, beispielsweise zur Aussöhnung in der Balkan-Region. Von 2011 bis 2017 war sie Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags.
 

Kulturreport Fortschritt Europa

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