Länder, die in der Lage sind, sich in die Geschicke eines anderen Landes einzumischen, tun dies aus Eigeninteresse. Davon kann man von vornherein ausgehen, erst recht bei demokratischen Ländern. Demokratische Führer werden einfach nicht gewählt werden, wenn sie das Wohlergehen von Ausländern über das ihrer eigenen Landsleute bzw. das fremder Länder über das eigener Länder stellen. Jedes Land auf diesem Planeten betreibt also eine eigennützige Außenpolitik, um nationale Ziele zu erreichen. Der Unterschied besteht darin, dass die meisten Länder nicht über die Mittel verfügen, um ihre außenpolitischen Ziele tatsächlich mit Nachdruck zu verfolgen. Es fehlen ihnen die wirtschaftlichen und militärischen Möglichkeiten.
Die USA sind nach wie vor das Land, das am ehesten in der Lage ist, seine nationalen Interessen international zu verfolgen, auch wenn diese Macht derzeit von China in Frage gestellt wird. Die Europäische Union hat sich nicht verpflichtet, ihre wirtschaftliche und militärische Macht so weit zu vergrößern, dass sie eigenständig außenpolitische Ziele verfolgen kann. Wie die jüngste Afghanistan-Krise einmal mehr gezeigt hat, ist die EU auf sich allein gestellt nicht einmal in der Lage, einen Flughafen zu halten. Bis heute geben die USA mehr für ihr Militär aus als jedes andere Land der Welt, etwa 778 Milli - arden US-Dollar im Jahr 2020, das ist mehr als China, Russland, Indien, das Vereinigte Königreich, Saudi-Arabien, Deutschland, Frankreich, Japan, Südkorea, Italien und Australien zusammen. Die EU verfügt nicht über die Technologie, die menschlichen Ressourcen und das finanzielle Engagement, um jemals mit der außenpolitischen und militärischen Leistungsfähigkeit der USA gleichzuziehen. Die USA und im weiteren Sinne auch die EU haben kein wirkliches Interesse daran, echte Demokratie zu exportieren.
Die meisten Länder verfügen nicht über die Mittel, um ihre außenpolitischen Ziele tatsächlich mit Nachdruck zu verfolgen.
Wahre Demokratie bedeutet „Herrschaft des Volkes", und in ihrer ursprünglichen, griechischen Definition bedeutete sie die Herrschaft des durchschnittlichen Volkes, im Gegensatz zur Herrschaft der Klugen, Begabten oder Reichen, wie in einer Aristokratie, Oligarchie oder Plutokratie. Die Demokratie entwickelte sich in Europa und in den Vereinigten Staaten aus lokalen de - mokratischen Praktiken und proto-demokratischen Institutionen heraus. In Europa waren es die norditalienischen Stadtstaaten, die den Keim für demokratische Nationalstaaten bildeten. In den USA waren es die puritanischen Siedler und ihr reiches Vereinsleben, die die amerikanische Demokratie begründeten. In Frankreich entwickelte sich die Demokratie, indem man sich einer unredlichen, keine Steuern zahlenden und faulen Aristokratie entledigte. In Großbritannien bedeutete Demokratisierung den Kampf gegen die Macht des Königs, der von einer machthungrigen Aristokratie unterstützt wurde.
Überall in Kontinentaleuropa bedeutete Demokratisierung, sich gegen eine römisch-katholische Kirche zu stellen, die das Wissen unterdrückte. All dies sind besondere Geschichten, die stark kontextabhängig sind und von den spezifischen historischen Umständen abhängen, unter denen sie stattfanden. Ohne eine katholische Kirche verliert der Säkularismus seine Bedeutung. Ohne eine unredliche Aristokratie ist die Bedeutung der Bourgeoisie für die Demokratisierung stark vermindert. Hätte sich die britische Aristokratie nicht auf die Seite der aufstrebenden Bourgeoisie gestellt, hätte sie nicht die Art von Macht und politischem Einfluss behalten, die sie heute ausübt. Keine dieser besonderen Erfahrungen kann exportiert oder verpflanzt werden.