Illustration: Menschen stehen vor einer Gruppe von Schildern mit Pfeilen, die in verschiedene Richtungen zeigen.

Eine kosmopolitische Vision für die Zukunft

Aufstrebende Wirtschaftsmächte wie Indien, Brasilien oder Südkorea haben das Potenzial der Kultur in den Außenbeziehungen verstanden. Sie verstärken die kulturelle Komponente ihrer Public Diplomacy in der Erwartung, so ihren Ruf als dynamische, attraktive, selbstbewusste und vertrauenswürdige Nationen zu fördern. Worauf kommt es aber für den „alten“ Kontinent Europa im Zeitalter der neuen globalen Akteure an?

Das Konzept der „Soft Power“ des Harvard-Politikwissenschaftlers Joseph S. Nye wird durch die inzwischen allgegenwärtige Globalisierung und den Auftritt neuer Global Player immer komplexer und wichtiger: „Die Fähigkeit durch Attraktivität und Einbeziehung zu überzeugen und nicht durch Zwangsausübung“. Wenn Europa in der Welt weiterhin eine relevante Rolle spielen will, statt die Vorstellung eines „zum Zwerg werdenden Kontinents“ eine konfrontierende Realität werden zu lassen, dann muss es seine wichtigsten Vorzüge viel strategischer und effektiver nutzen.

Im Hinblick auf Europas Beziehungen mit anderen Kontinenten heißen diese grundlegenden und entscheidenden Vorzüge Kultur und kulturelle Vielfalt. Die EU ist sensibler geworden für das Potenzial der Kultur beim Aufbau internationaler Beziehungen und hat neue politische Rahmenbedingungen mit den dazugehörigen Instrumenten und Ressourcen geschaffen.

Damit Europa aber zu einer wirklich „intelligenten“ Macht wird und sich die Kapazitäten der Kultur voll und ganz entfalten können, braucht es einen visionäreren, mutigen, in sich stimmigen und nachhaltigen Zugang zu den auswärtigen Kulturbeziehungen. Auf nationaler Ebene heißt das: Offizielle Repräsentanten müssen sich hinter Europa stellen und dürfen sich nicht von Provinzialismus und Populismus gefangen nehmen lassen.

Ein kurzer Rückblick zum Kontext der Europa-Politik: Mit der Verabschiedung der Europäischen Kulturagenda im Jahr 2007 entstand ein neues institutionelles Rahmenwerk für die Rolle der Kultur in den EU-Außenbeziehungen. Darin wird Kultur als strategischer Faktor der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet und nicht einfach nur als Vehikel, um einzelne kulturelle Veranstaltungen und Projekte zu präsentieren. Durch die Verabschiedung des UNESCO-Übereinkommens von 2005 über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen durch die EU und die meisten ihrer Mitgliedstaaten wird dieser neue Zugang zur Kultur unterstützt.

Darüber hinaus schreibt Artikel 167 des Vertrags von Lissabon vor, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten „die Kooperation mit Drittländern und kompetenten internationalen Organisationen im Kulturbereich fördern sollen“. In dem Bemühen, die Außenpolitik der EU besser zu koordinieren und konsequenter zu gestalten, begründete der Vertrag 2009 den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), welcher der Kultur in dreifacher Weise verpflichtet ist:

  • Kultur soll in das strategische Denken und Handeln integriert werden
  • die Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von 2008 zur Förderung der kulturellen Vielfalt und des kulturellen Dialogs sollen umgesetzt sowie
  • die Empfehlungen des Europäischen Parlaments zu den kulturellen Aspekten der EU-Außenpolitik (Beschluss von 2011) reflektiert werden, um dann so gut wie möglich nach diesen Vorgaben zu handeln.

Damit die EU aber auf dem Gebiet der auswärtigen Kulturbeziehungen effektiv agieren kann, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:

  • Strukturelle Kapazitäten müssen im Rahmen des EAD geschaffen werden;
  • die Koordination zwischen dem EAD und den einzelnen Diensten der Europäischen Kommission wie auch zwischen dem EAD, der Kommission und den Kultur- und Außenministerien der Mitgliedstaaten muss gesichert sein;
  • innerhalb des EAD und den EU-Delegationen weltweit müssen kulturelle Kontaktstellen eingerichtet, Diplomaten und Personal fortgebildet, thematische und geografische Prioritäten geklärt und effektive Kanäle für den Dialog mit der Zivilgesellschaft eingerichtet werden.

All dies ist mit Herausforderungen verbunden, aber wenn die EU mit anderen Kulturen der Welt sinnvoll interagieren und auf der globalen Bühne ein glaubwürdiger Partner bleiben will, lohnt sich diese Investition.

Aufstrebende Wirtschaftsmächte wie Indien, Brasilien oder Südkorea haben – wenn gleich ihre staatlichen Budgets immer noch verhältnismäßig bescheiden sind – das Potenzial der Kultur und den Wert der Soft Power verstanden. Sie verstärken die kulturelle Komponente ihrer Public Diplomacy in der Erwartung, so ihren Ruf als dynamische, attraktive, selbstbewusste und vertrauenswürdige Nationen zu fördern. Celso Lafer, ein ehemaliger brasilianischer Außenminister, sagte in der „New York Times“ vom 27. März 2012: „Kulturelle Dynamik, finanzielle Stabilität, der Prozess sozialer Einbindung – dies erlaubt die wirksame Ausübung von Soft Power über die brasilianische Kultur, sie ist ein Weg, unsere Gesellschaft bekannter und für andere leichter verständlich zu machen.“

Präzedenzfall China

China – einer der strategischen Partner der EU – spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. 2007 begann das Land, massiv in die Infrastruktur der Soft Power zu investieren. Beispiele dafür sind der staatliche Fernsehsender CCTV International, Kultur- und Sprachzentren sowie die Konfuzius-Institute, die überall auf der Welt wie Pilze aus dem Boden schießen.

Obwohl das Land von einem autoritären Regime geführt wird und nicht demokratisch ist – hier stellt sich die Frage, was die EU eigentlich unter einer strategischen Partnerschaft versteht und mit wem sie eine solche unterhält –, wäre es offensichtlich kein intelligenter Schritt, wenn die EU ihre Beziehungen mit China, einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt und der in naher Zukunft wichtigste Handelspartner der EU, verschlechtern würde.

Die EU ist sensibler geworden für das Potenzial der Kultur beim Aufbau internationaler Beziehungen.

China ist somit ein Präzedenzfall für die EU. Um Annäherung und Austausch zwischen Zivilgesellschaften auf den Gebieten Kultur, Bildung und Jugend zu fördern, begründete der EU-China-Gipfel vom Februar 2012 den „High Level People to People Dialogue“. Damit ergänzte er den „High Level Economic and Trade Dialogue“ von 2009 und den „High Level Strategic Dialogue“ von 2010, um die politische Kommunikation über bilaterale wie globale Themen zu verbessern.

Darüber hinaus hat die Europäische Kommission eine Expertengruppe für Kultur und auswärtige Beziehungen gebildet, die den Auftrag hatte, ein strategisches Rahmenwerk für die zukünftigen Kulturbeziehungen zwischen der EU und China vorzuschlagen.

Aber egal welche konkreten Schritte unternommen werden, um den Empfehlungen der Experten Taten folgen zu lassen – klar ist: Man muss über den Begriff „strategisch“ auch im Hinblick auf das Ansinnen der EU nachdenken, eine „normative Macht“ zu sein, die auch durch ihre Erweiterung Transformationsprozesse in ihrem Sinne unterstützt und universale Werte wie Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit fördert. Dies gilt genauso für die Beziehung der EU mit Russland, einem anderen ihrer strategischen Partner.

Durch den „Arabischen Frühling“ sah sich Europa gezwungen, den bislang pragmatischen Ansatz, im Sinne der Stabilitätssicherung gute Beziehungen mit Diktatoren in der Region zu pflegen, nun neu zu überdenken.

Die EU setzt sich jetzt dafür ein, demokratische Transformationsprozesse im post-revolutionären Nordafrika nach dem Prinzip „more for more“ zu unterstützen: Je weiter der demokratische Transformationsprozess fortgeschritten ist, desto höher ist die Unterstützung. Trotzdem herrscht zwischen Europas ehrgeiziger Haltung zur Demokratie und der Art, wie es die Lehren aus den arabischen Revolutionen für seine anderen Beziehungen anwendet, insbesondere für seine „strategischen Partnerschaften“ mit nicht demokratischen Ländern, eine Diskrepanz. Diese schwächt in den Augen vieler Akteure die Position Europas und gefährdet letztendlich seine Anerkennung und Wertschätzung als Global Player.

Wenn die EU wirklich eine werteorientierte Strategie für die auswärtigen Beziehungen entwickeln will, muss sie ihren normativen Ansatz auch auf ihre strategischen Partnerschaften anwenden, indem sie diese auch über Freiheit und Demokratie definiert. Die Kultur ist für die Entwicklung der auswärtigen Beziehungen dabei unverzichtbar. Einen sinnvollen, ausgewogenen und wahrhaft bilateralen beziehungsweise multilateralen kulturellen Austausch kann es aber nur zwischen Ländern geben, die demokratische Werte teilen, die Bedeutung offener Gesellschaften anerkennen und einen echten Dialog mit der Zivilgesellschaft führen.

Abhängig von der jeweiligen Geschichte, politischen Führung und Kultur gibt es zwischen einzelnen Weltregionen und von Land zu Land sehr unterschiedliche Erwartungen an den europäischen Kulturaustausch und an kulturelle Initiativen. Diese sind so unterschiedlich wie unsere Beziehungen mit den BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien und China), den MIKT-Ländern (Mexiko, Indonesien, Südkorea und Türkei) oder auch der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika); so unterschiedlich wie unsere jeweiligen Ambitionen und Prioritäten in der Kultur.

Je nachdem, ob wir über den kulturellen Austausch der Künstler sprechen, über die Kulturdiplomatie der Regierungen oder über die private Unterstützung gemeinschaftlicher Kulturprojekte mit Drittländern, sind unterschiedliche Strategien und Herangehensweisen an Austausch und internationale Kulturbeziehungen im Spiel.

Abhängig von der jeweiligen Geschichte, politischen Führung und Kultur gibt es zwischen einzelnen Weltregionen und von Land zu Land sehr unterschiedliche Erwartungen an den europäischen Kulturaustausch.

In einer immer komplexer werdenden globalen Landschaft mit sich neu bildenden Einflusszentren müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihr kulturelles Engagement in den verschiedenen Weltregionen neu ausrichten und akzeptieren, dass herkömmliche Hierarchien, Privilegien und Präferenzen infrage gestellt werden. In arabischen Ländern zum Beispiel muss sich Europa in puncto Einflussnahme dem harten Wettbewerb mit anderen „Soft Powers“ von Ländern wie Brasilien, China oder Australien stellen.

Damit es seinen Platz und sein Image in der Liga der Global Player – das bereits durch politische, wirtschaftliche und soziale Krisen stark in Mitleidenschaft gezogen ist – behaupten kann, aber auch, um mit regionalen und globalen Herausforderungen umgehen zu können, muss Europa neue Allianzen bilden, seine strategischen territorialen und institutionellen Partnerschaften neu überdenken, in einigen Fällen wiederbeleben sowie effektiv mit regionalen Organisationen wie der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union zusammenarbeiten. Die laufenden Verhandlungen zwischen der EU und den USA über ein Freihandelsabkommen sind in dieser Hinsicht vielversprechend. Es wird sich noch zeigen, welcher Stellenwert der Kultur im Rahmen dieser Verhandlungen eingeräumt wird.

Die Globalisierung hat die Kultur stark beeinflusst. Es haben sich neue Anziehungspunkte und Machtzentren gebildet, neue Märkte, Netzwerke, Künstlerkreise und Herangehensweisen. Sie alle inspirieren zu neuen Wegen für Austausch und internationale Zusammenarbeit. Akteure des Kulturlebens haben mehr Kapazitäten und ein dringenderes Bedürfnis, ihr Engagement für den internationalen Kulturaustausch zu intensivieren. Die praktische Umsetzung dieses Bestrebens in konkrete, transnationale, in viele Richtungen ausstrahlende Kulturprojekte muss erleichtert und gefördert werden.

Der Kulturwissenschaftler Yudhishthir Raj Isar meint: „Kulturelle Interaktionen sind unverzichtbar für die Gestaltung einer komplexen kulturellen Polyphonie, die unsere vernetzte und verflochtene Welt so dringend benötigt“.

Die Phantasie der Künstler, die kreativen Köpfe kultureller Akteure und die Energie von Zivilgesellschaften auf der ganzen Welt werden nicht ausreichen, um das gesamte Potenzial von Kunst und Kultur in den internationalen Beziehungen freizusetzen.

Es braucht intelligente Formen auswärtiger Kulturpolitik, um die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, damit ein solcher Dialog und Austausch offen und effektiv stattfinden kann. Traditionelle Formen der Kulturdiplomatie sind weder im Einklang mit interkultureller und interdisziplinärer künstlerischer Praxis noch mit den Bedürfnissen von Künstlern oder den für die auswärtigen Kulturbeziehungen verantwortlichen Akteuren.

Die nationalen Kulturträger und Kulturministerien der Mitgliedstaaten zum Beispiel beschränken ihre Verantwortung für den internationalen Kulturaustausch darauf, ein schönes Kulturprogramm zu organisieren, das mit offiziellen Besuchen ausländischer Staats- und Wirtschaftsdelegationen kombiniert wird. Einen echten interkulturellen Dialog zu führen, zusammenzuarbeiten und gemeinsam etwas Neues zu schaffen, ist mit viel Angst, Unsicherheit und Unbeholfenheit verbunden. Um dies zu verändern, sind auf allen Ebenen neue Herangehensweisen und Instrumente nötig, um so eine inspirierende und wahrhaft kosmopolitische kulturelle Vision für die Zukunft zu entwickeln.

Was ist in diesem Zusammenhang das Alleinstellungsmerkmal von EUNIC, dem Netzwerk europäischer Kulturinstitute? Welche Formen europäischer auswärtiger Kulturbeziehungen sind sinnvoll und leisten einen wertvollen Beitrag zu dem, was die einzelnen EU-Mitgliedstaaten bereits tun?

Eine Mischung unterschiedlicher Komponenten macht EUNIC einzigartig: Es ist das einzige europäische Netzwerk von Kulturinstitutionen – Organisationen, die geschaffen worden sind, um „nationale Kulturen“ und Interessen im Ausland zu vertreten – das auf der ganzen Welt aktiv ist; aufgrund seiner Mitglieder, die in 150 Ländern mit über 2.000 Zweigstellen und mehr als 25.000 Mitarbeitern arbeiten, erreicht es außergewöhnlich viele Menschen; die Mitglieder des Netzwerks haben eine intensive und langjährige Erfahrung in internationaler Kulturdiplomatie, umfassendes Wissen über länderspezifische politische und kulturelle Zusammenhänge, Verbindungen zu lokalen kulturellen Szenen und ein Gespür für kulturelle Trends, Zugang zu Zivilgesellschaften und unabhängigen Künstlern. Dies sind alles wertvolle Vorzüge – sowohl für die kulturelle Kooperation und die Politikgestaltung auf europäischer Ebene als auch für die internationalen Kulturbeziehungen.

Keine gemeinsame Vision

Meiner Meinung nach fehlen jedoch noch eine gemeinsame Vision und kreative Vorstellung davon, was dieses Netzwerk leisten kann. EUNIC arbeitet bereits mehr oder weniger erfolgreich in Clustern und entwickelt gemeinsame Projekte, ist aber noch nicht in der Lage, den Mitgliedern die Angst zu nehmen, sie könnten ihre Souveränität, Sichtbarkeit und sogar Identität verlieren, wenn sie sich voll und ganz zu einem europäischen Denken bekennen und sich für europäische Politik und Praxis starkmachen. Jeder kann den Weckruf hören. Wenn EUNIC nicht aus seinen schönen Tagträumen erwacht, verpasst es seine große Chance, die angestrebte Führungsrolle zu übernehmen.

EUNIC sollte es darum gehen, dass Europa vorankommt, dass eine Strategie für ein konsequentes, einfallsreiches, wirksames und nachhaltiges internationales kulturelles Engagement entwickelt und umgesetzt wird. Der Auftrag kann sich nicht darin erschöpfen, gemeinsame Projekte zu koordinieren, ökonomisch zu denken und penetrantes (um nicht zu sagen „aggressives“) europäisches Fundraising zu betreiben, um einen Ausgleich zu den schwindenden Ressourcen auf nationaler Ebene zu schaffen.

Dieses Netzwerk sollte sich vorwärtsbewegen, eine eigene Agenda verfolgen sowie Wissen, Netzwerke und Ressourcen austauschen, um die internationalen Beziehungen aktiver zu beeinflussen – gemäß dem Leitmotiv: „eine Kultur des Teilens als Strategie zur Einflussnahme“. EUNIC sollte gemeinsam europäische politische, kulturelle, bildungsorientierte, institutionelle Themen besprechen und mutig angehen.

Die Globalisierung hat die Kultur stark beeinflusst. Es haben sich neue Anziehungspunkte und Machtzentren gebildet, neue Märkte, Netzwerke, Künstlerkreise und Herangehensweisen.

Als europäische Organisation könnte es beispielsweise den unabhängigen Stimmen in den Gastländern viel stärker beistehen, um international noch mehr wahrgenommen zu werden und Demokratisierungsprozesse zu unterstützen – durch fachkundiges Eingreifen an den Schnittstellen von Kultur und Politik.

EUNIC arbeitet bereits in vielen Ländern mit unterschiedlichen privaten und öffentlichen Partnern in verschiedenen Formaten zusammen. Jetzt sollte es noch einen Schritt weiter gehen und ein Exempel statuieren, wie Europa in der Welt konsequent agieren kann. Dazu gehört, aufmerksam den Ansichten und Erwartungen lokaler Communities zuzuhören, mit politischer und kultureller Sensibilität auf länder- und regionenspezifische Kontexte und Bedürfnisse zu reagieren, über offizielle Kreise hinaus nachhaltige Verbindungen zwischen Fachleuten herzustellen, neue Ideen für Austausch und internationale Zusammenarbeit zu entwickeln und die hybriden Komponenten innerhalb der eigenen Kulturen zu schätzen statt traditionelle kulturelle Bilder und Ausdrucksformen zu „exportieren“.

Darüber hinaus ist es wichtig, in transnationale künstlerische Entdeckungen und Experimente zu investieren, langfristige kreative Prozesse zu unterstützen sowie konsequent ehrlich für Europa Partei zu ergreifen – und damit eine Verbindung zwischen Praxis und Politik zu schaffen. So könnte EUNIC eine inspirierende Plattform werden, die international ein neues Ethos des Teilens und eines wechselseitigen Gebens und Nehmens einführt. Die größten Hindernisse bei der Verwirklichung dieser Vision liegen in der Struktur seiner Mitglieder, der Organisation der auswärtigen Kulturpolitik der EU-Staaten insgesamt sowie in dem Mangel an Entschlossenheit und Begeisterung.

Eine gemeinsame Agenda festzulegen, stellt deshalb eine große Herausforderung dar. Ruth Ur, die Leiterin des Bereichs Kunst und Entwicklung des British Council, stellte im Rahmen der Debatte um „More Europe“ fest: „EUNIC muss immer noch beweisen, dass es mehr ist als die Summe einzelner europäischer Aktionen.

In einer komplexer werdenden globalen Landschaft mit neuen Einflusszentren müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihr kulturelles Engagement in den verschiedenen Weltregionen neu ausrichten und akzeptieren, dass herkömmliche Hierarchien und Präferenzen infrage gestellt werden.

Wenn EUNIC zu dieser genuin europäischen Plattform für die EU-Außenbeziehungen werden will, braucht es neue Formen von Governance und Führung, Pilotprojekte, um Ideen zu testen, größere Kapazitäten und Ressourcen. Zum jetzigen Zeitpunkt, da die EU mit Entbehrungen zu kämpfen hat und Budgets gestrichen werden, ist ein so weitreichender Ansatz eher unwahrscheinlich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die globale Machtverschiebung auf die Hervorbringung, Verteilung und Rezeption von Kultur ausgewirkt und eine neue und faszinierende kulturelle Landschaft geschaffen hat. Gleichwohl hat dies noch nicht zu einem größeren Gleichgewicht in kulturellen Austauschprozessen oder zu einer mit besseren Ressourcen ausgestatteten transnationalen und multilateralen kulturellen Kooperation geführt. In Anbetracht dieser Situation kann sich Europa nicht einfach zurücklehnen – nach innen schauen – und darauf warten, dass andere das Ruder übernehmen. Wir müssen uns selbst in den Spiegeln betrachten, die uns andere Regionen vorhalten. Wir müssen auf die Stimmen außerhalb Europas hören, uns Gedanken machen und konsequent und entschieden als Europäer handeln.

Für uns alle ist dies eine Zeit der Herausforderungen – für die EU, für EUNIC, für Netzwerke und an internationalem Austausch beteiligte Akteure der Zivilgesellschaft. Alle sind sich dessen bewusst, dass sie in einer multipolaren Welt ihre eigene unverkennbare Rolle finden sowie neue Partner und Ressourcen auftun müssen, um Gewicht zu haben.

Vor allem aber brauchen wir eine gemeinsame Vorstellung davon, für welches Ziel und welchen gewünschten Effekt Europa mit anderen Kontinenten auf der kulturellen Ebene interagieren will. Eine strategisch angelegte europäische Außenkulturpolitik wird alle diese Partner mit ins Boot holen und nationale Bestrebungen mit europäischen Notwendigkeiten versöhnen müssen – ebenso wie Interessen der Public Policy mit der zivilgesellschaftlichen Praxis. Das Prinzip „Machtverteilung als Strategie der Einflussnahme“ wäre ein intelligenter Weg für die Zukunft. Denn so weiß man das Wissen und die Erfahrungen, die jeder einzelne Partner mitbringt, zu schätzen und respektiert gleichzeitig die Unabhängigkeit des Kultursektors und der Zivilgesellschaft.

Über die Autorin
Isabelle Schwarz
Leiterin Forschung und Entwicklung

Isabelle Schwarz ist Leiterin Forschung und Entwicklung bei der European Cultural Foundation (ECF) in Amsterdam, Europas einziger unabhängiger pan-europäischer Kulturstiftung. Vorher arbeitete sie für die Weltkommission über Kultur und Entwicklung (UN/ UNESCO) aus der der Bericht „Unsere kreative Vielfalt“ resultierte (1995). Weitere berufliche Stationen: Europarat, Französisches Kulturministerium sowie verschiedene NGO in Brüssel, London, Paris und Kopenhagen. Ihre speziellen Interessen liegen im Themenzusammenhang internationale Kulturbeziehungen und Kooperation sowie Entwicklung der EU-Kulturpolitik.

Kulturreport Fortschritt Europa

Der Kultur kommt im europäischen Einigungsprozess eine strategische Rolle zu. Wie steht es um die Kulturbeziehungen innerhalb Europas? Wie kann Kulturpolitik zu einer europäischen Identität beitragen? Im Kulturreport Fortschritt Europa suchen internationale Autor:innen Antworten auf diese Fragen. Seit 2021 erscheint der Kulturreport ausschließlich online.