Du Fus Exil, Dantes Exil und mein eigenes, im Vergleich dazu bescheidenes Exil entsprechen der gleichen Syntax: Mithilfe eines Gedichts extremes menschliches Leid in extreme, kreative Schönheit zu übertragen.
Die heutigen Chinesen müssen aus den Scherben ihrer vergangenen Kultur lernen. Um ihr neues Leben einzuhauchen, müssen sie ihre Grenzen überwinden lernen. Darin liegen die Chancen und die Quellen zur Erneuerung der chinesischen Kultur. Und es ist zu hoffen, dass das den hohen Preis, den China dafür bezahlt hat, wert war.
In der „neuen Welt“ genügt es nicht mehr, wenn die eigene Kultur gerade so weit dehnbar ist, wie es ihre historischen oder geographischen Bedingungen erlauben. Heute ist die aktive Fähigkeit zum Verständnis des Anderen gefragt. Meiner Meinung nach sollte die treibende Kraft hinter diesem Verständnis nicht die Neugier sein, sondern das Wissen um die eigenen Bedürfnisse in Krisenzeiten.
Die heutigen Chinesen müssen aus den Scherben ihrer vergangenen Kultur lernen. Um ihr neues Leben einzuhauchen, müssen sie ihre Grenzen überwinden lernen.
Wenn China noch immer nicht aus dem blutigen Schatten der Zeiten Mao Zedongs herausgetreten ist und die Unfähigkeit seiner neuen Reichen dazu führt, dass sich das Land auf dem internationalen Parkett unweigerlich wie ein Clown aufführt, ist es eine schiere Tragödie, wenn Europa unter dem Druck des Geldes die eigenen Prinzipien des Denkens aufgibt und sich auf diesen so egoistischen wie zynischen Wettbewerb einlässt. Solange die Phrasen von Menschenrechten und Demokratie nichts als Rhetorik im Sinn von „political correctness“ bleiben und keinerlei Verbindlichkeit für unser tatsächliches Handeln haben, bleibt es bei der traurigen Realität: Nichts von all dem, was gesagt wird, ist von Bedeutung, hinter jedem Wort tut sich ein tiefes Loch auf. Das ist vermutlich die größte Krise der menschlichen Zivilisation.
Natürlich ist Geschichte immer schon auch eine Geschichte der Lügen gewesen, doch habe ich den Eindruck, dass die Lügner, mit ihrer Gier nach schnellem Reichtum und Profit, zynischer geworden sind. Nicht nur, dass sie unter den eigenen Lügen nicht leiden, sie empfinden sie sogar als ganz normal. Das folgt einer simplen Logik: Wenn ich den Profit nicht mache, macht ihn ein anderer.
Nichts von all dem, was gesagt wird, ist von Bedeutung, hinter jedem Wort tut sich ein tiefes Loch auf. Das ist vermutlich die größte Krise der menschlichen Zivilisation.
Nehmen wir die ausländischen Firmen, die in China investieren. Sie profitieren davon, dass es in China billige Arbeitskräfte gibt, die weder Sozialversicherungsleistungen beziehen noch Gewerkschaften und Streikrecht kennen. Es wäre übertrieben, hier von zweierlei Maß zu sprechen, denn in Wahrheit gilt nur noch ein Maßstab, nämlich der des brutalsten Wettbewerbs. In diesem Sinn ist China zu einem Symbol der Krise des internationalen Denkens geworden, eine Krise, die die ökonomische erheblich übersteigt. Jeder fühlt sich dem heutzutage hilflos ausgeliefert. Wir sehen dem Verfall zu, ohne etwas daran ändern zu können. Dabei ist das tatsächliche Ausmaß des Problems nur unschwer zu erkennen, und wir können gewiss sein: Es ist weder oberflächlich noch vorübergehend.
Es gebiert Wut und Hass, wie sie sich in Gestalt des Gewehrabzugs von Anders Breivik auf der norwegischen Insel Ytteroy einerseits und der Molotowcocktails in der Hand von schwarzen Kindern im Londoner Stadtteil Tottenham andererseits äußern. Wenn Lügen und Profit alles (inklusive dem meisten von dem, was sich Kunst nennt) zu reinem Dekor verkommen lassen, was soll dann unsere ganze Existenz? Welchen Sinn macht Literatur?