Doch auch die Anhänger der europäischen Idee sind auf dem Holzweg, wenn sie die kritiklose Kontinuität der Europapolitik ins Schaufenster stellen. Die intern zerstrittene EU hat sich während der Krisen der letzten Jahre unfähig gezeigt, dem wachsenden Unbehagen etwas Substantielles entgegenzusetzen. Dieses Unbehagen speist sich in fast allen europäischen Ländern aus dem Verdruss über die Schattenseiten der Globalisierung, dem Verlust des Aufstiegs- und Wohlstandsversprechens sowie der Politik der Postdemokratie, die Maßnahmen mit deren angeblichen Alternativlosigkeit begründet.
Die intern zerstrittene EU hat sich während der Krisen der letzten Jahre unfähig gezeigt, dem wachsenden Unbehagen etwas Substantielles entgegenzusetzen.
Das Vertrauen in eine sich von allein ergebende politische Vertiefung der europäischen Integration ist spätestens durch den jüngsten Krisenmarathon erschüttert. Ein Binnenmarkt ohne Verhinderung von Steuer- und Sozialdumping, eine Währungsunion ohne wirtschaftspolitisches Koordinierungszentrum, Personenfreizügigkeit ohne Außengrenzschutz und Einwanderungspolitik – die politische Union kommt nicht von allein. Sie kommt nicht durch das Festhalten an einer bizarren Marktgläubigkeit, mit der die politische Gestaltung des gemeinsamen Marktes als schlecht für dessen angebliche Selbstregulierung und nachteilig für den globalen Wettbewerb gebrandmarkt werden und als abwegig gelten, weil nationalstaatliche Kompetenzen erhalten werden sollen.
Natürlich war es für die Mitgliedstaaten immer einfacher, Grenzen, Zölle und nationale Währungen aufzugeben, als neue politische Strukturen, Institutionen und Regeln zu schaffen. Dort, wo auf europäischer Ebene eine Einigung über politischen Ziele erfolgte, wie etwa beim Klimaschutz, hat man aus Rücksichtnahme auf den Markt und nationale Befindlichkeiten kein hinreichendes Instrumentenset verabredet, das zur Umsetzung und mehr Ambition drängt.