Illustration eines Fußballers mit gelb-blauem Trikot, der an einen Ball schießt

Schwede des Jahres

Die Geschichte des Fußballspielers Zlatan Ibrahimović ist die eines Außenseiters, der sich an das „Schwedisch - sein“ assimilierte, der es als Einwanderersohn schaffte, das Ghetto zu verlassen, in internationalen Fußballarenen zu glänzen und ein blondes schwedisches Mädchen zu heiraten.

Es war absolut unglaublich. An diesem kalten und dunklen Abend in Stockholm im November 2012 schlug Schweden England 4:2 in einem internationalen Fußballfreundschaftsspiel. Eine englische Mannschaft voller Stars vernichtend zu schlagen, war schon für sich genommen eine bemerkenswerte Leistung. Aber es war mehr als einfach ein Ergebnis. In einer Darbietung, die von der Sportpresse als „magisch“ bezeichnet wurde, hatte der schwedische Mannschaftskapitän Zlatan Ibrahimović komplett die Führung übernommen. Er schoss alle vier Tore Schwedens – eines schöner als das andere. Insbesondere das vierte Tor war ein klarer Kandidat für eines der besten in der Geschichte des Sports.

Mit einem erstaunlichen Scherenschlag aus rund 27 Metern schlug Ibrahimović von einem lächerlich hohen Winkel einen Volley, der in einem hohen Bogen über den hilflosen Torwart Joe Hart und hinunter ins Tor ging. Die schwedischen Fans waren begeistert. Sogar die englischen Fans, die vor Ort waren, mussten einfach klatschen.

Zlatan Ibrahimović verdient nicht nur aufgrund seiner Leistungen auf dem Fußballfeld Aufmerksamkeit. Er ist aufgrund seines Status als Vehikel des schwedischen Nationalismus, dem paradoxerweise eine durch seinen Migrationshintergrund bedingte „Andersartigkeit“ anhaftet, auch ein möglicher Gegenstand für eine wissenschaftliche Analyse.

Die landesweite Feier von Ibrahimović wirft interessante Fragen auf zur Bedeutung gefeierter Superstars im Sport, die einen Migrationshintergrund haben, sowie zu den Rollen, die diese Sportler bei der kontinuierlichen Konstruktion und potenziellen Rekonstruktion von Nationen spielen. Ist Ibrahimović in der Lage, die Grenzen der schwedischen Nation zu erweitern und neu zu definieren?

Ich behaupte, dass Ibrahimović ein starkes Symbol für das Schwedischsein geworden ist, dass sowohl bestehende Narrative zur schwedischen Nation reproduziert – gleichzeitig aber die Grenzen dieser Nation möglicherweise neu definiert. Indem ich das Konzept der nation work in den Kontext der Sportprominenz einführe, möchte ich sagen, dass solche Prominente verstärken und zugleich vielleicht auch verändern können, was es heißt, zu einer nationalen Gemeinschaft zu gehören.

Indem ich das Konzept der nation work in den Kontext der Sportprominenz einführe, möchte ich sagen, dass solche Prominente verstärken und zugleich vielleicht auch verändern können, was es heißt, zu einer nationalen Gemeinschaft zu gehören.

An diesem Abend im November 2012 war Ibrahimović ein nationaler Held. Er wurde weithin mit offenen Armen begrüßt und gefeiert von Experten, Mainstream-Politikern und den Medien. Im Dezember nach dem Spiel gegen England fügte der Schwedische Sprachrat sogar seiner Liste neuer Worte 2012 ein neues Verb hinzu, at zlatanera (zu „zlatanieren“). Das Wort bedeutete, etwas sehr Waghalsiges oder ungeheuer Beeindruckendes zu tun. Sicherlich hatte Zlatan Ibrahimović die Sphäre des Sports überschritten, um mehr als ein brillanter Fußballspieler zu werden. Er war ein schwedisches Kulturphänomen – mit seinem eigenen Wort im nationalen Wörterbuch.

Wort im Wörterbuch

Doch obwohl Ibrahimović als nationaler Held mit seinem Wort im Wörterbuch gefeiert und 2015 von einer großen schwedischen Zeitung zum „Schweden des Jahres“ gewählt wurde, blieb er ein etwas ambivalentes nationales Symbol. Nicht jeder stimmt seiner symbolischen Bedeutung zu. Er war Schwede des Jahres, ja. Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft, ja – aber ihm haftete auch etwas Ausländisches und leicht Exotisches an.

Prominente Mitglieder der rechtsgerichteten und gegenüber Einwanderern skeptischen Partei der Schwedendemokraten, die zunehmend öffentliche Unterstützung bekam, betonten seine „Andersartigkeit“ und erklärten, dass sie ihn nicht wirklich als einen Schweden betrachteten. In einer Radiosendung erklärte Mattias Karlsson, Vorstandsmitglied der Schwedendemokraten, dass er Ibrahimović nicht ansieht als „schwedisch in seiner Art zu denken, handeln und sprechen. Er zeigt eine Haltung, die in vielerlei Hinsicht nicht typisch schwedisch erscheint ... Er hat eine Körpersprache und überhaupt eine Sprache, die ich nicht wirklich als schwedisch verstehe.“

Aber wie kann Ibrahimović zugleich als schwedisch und als nichtschwedisch betrachtet werden, und was war an ihm, das ihn zugleich zu einem Symbol Schwedens und trotzdem zu einem Anderen machte? Die Antwort hat mit seinem Migrationshintergrund zu tun und mit existierenden Vorstellungen von der schwedischen Nation.

Ibrahimović wuchs in Rosengård auf, einem Viertel mit Betonbauten in den Randbezirken von Schwedens zweitgrößter Stadt Malmö. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind dort von ethnisch nichtschwedischer Abstammung, Rosengård lässt sicherlich an ein Ghetto denken mit seiner vergleichsweise hohen Kriminalitätsrate und den sozialen Problemen.

In diesem Umfeld schoss Ibrahimović, der Sohn einer Kroatin und eines bosnischen Muslimen, seine ersten Tore auf den örtlichen Asphaltplätzen. Nachdem er in einer Reihe lokaler Mannschaften gespielt hatte, aus denen er oft wegen seiner leicht reizbaren Art und mangelnden Disziplin verbannt wurde, schaffte es der junge Ibrahimović schließlich in die erste Mannschaft von Malmö FF. Von da an katapultierte ihn seine Karriere in die Hemisphäre des europäischen Klub-Fußballs und er unterschrieb Verträge für Klubs wie Ajax Amsterdam, Juventus, Inter, Barcelona und Paris Saint-Germain.

Die Geschichte von Zlatan Ibrahimović, wie sie oft in schwedischen Medien erzählt wird, ist die Geschichte eines Sohns von Einwanderern, der es geschafft hat, das Ghetto zu verlassen, der in internationalen Fußballarenen glänzte, ein blondes schwedisches Mädchen, Helena Seger, heiratete, die er mit nur 19 Jahren traf, und der erfolgreich in die schwedische Gesellschaft integriert wurde.

Es ist die Geschichte eines Außenseiters, der sich dem Schwedischsein bis zu einem Punkt assimilierte, an dem er selbst etwas sehr Schwedisches symbolisierte. Dieses Narrativ wurde maßgeblich von Ibrahimović selbst und von seinem Biografen David Largercrantz in der weithin veröffentlichten und gefeierten Autobiografie „Ich bin Zlatan Ibrahimović“ von 2012 verbreitet. Mithilfe von Lagercrantz’ eindrucksvoller Schreibe führte das Buch das Narrativ von Zlatans persönlichem Erfolg fort und von seinem Erfolg als anderer, aber doch gänzlich akzeptierter Schwede.

Geschichte eines Außenseiters

Als Literaturwissenschaftlerin hat Christine Sarrimo (2015) kürzlich in einem Artikel zu Mediendiskursen über Zlatan Ibrahimović und die Geschichte von Ibrahimovićs Weg zur Inklusion – die sie beschreibt als den „Weg eines Einwanderers von der provinziellen Andersartigkeit zu einem westlichen literarischen Raum” – aufgezeigt, wie sich langsam ein Medienmythos entwickelte. Dieser Mythos geht nicht nur Hand in Hand mit der Kommerzialisierung von Ibrahimović als Marke, sondern dient gleichzeitig einem ideologischen Zweck. Diese Ideologie, schreibt Sarrimo, „erfüllt die politische Vision des Einwanderers, der sich an das Schwedischsein assimiliert und integriert wird.“

Der Schwedische Sprachrat fügte sogar seiner Liste neuer Worte 2012 ein neues Verb hinzu, at zlatanera (zu „zlatanieren“). Das Wort bedeutete, etwas sehr Waghalsiges oder ungeheuer Beeindruckendes zu tun.

Der Mythos half nicht nur der Marke Ibrahimović, der Mythos war auch sehr im Einklang mit den vorherrschenden politischen Vorstellungen von Schweden als offener und kulturell vielfältiger Gesellschaft (obwohl die Flüchtlingskrise in Europa eine Herausforderung darstellt für Schwedens historisches Engagement als sicherer Hafen für Flüchtlinge und Einwanderer).

Als ein anderer schwedischer Nationalspieler, Kim Källström, nach dem 4:2-Spiel gegen England Ibrahimović rühmte, reproduzierte er ausdrücklich das Narrativ von Zlatan als einer einheitsstiftenden Persönlichkeit, die eine neue und inklusive schwedische Identität verkörperte. „Mit Eltern, die im Ausland geboren wurden und bestimmten Problemen in der Gesellschaft“, erklärte Källström, „kann er hoffentlich das Land auf gute Weise vereinen. Fußball baut Brücken. Er ist ein moderner Schwede, der für das neue Schweden steht.“ Durch Kim Källström werden die mythischen Narrative zu Ibrahimović performativ in dem Sinne, dass sie selbst zu einem kollektiven Verständnis des Schwedischen beitragen, das durch eine Reihe verschiedener Medien konkretisiert wird: Zeitungen, Bücher und nicht zuletzt Werbung.

Der Mythos Zlatan wurde nicht nur in der Sportpresse reproduziert. Das Narrativ von Ibrahimović als „modernem Schweden“, der „für das neue Schweden steht“ wurde geschickt genutzt, als die schwedische Autofirma Volvo 2015 eine Kampagne lancierte, um den neuen Volvo XC70 zu bewerben. Im Zentrum der Kampagne stand ein zweiminütiger Film, in dem wir sehen, wie Ibrahimović in der schneebedeckten Landschaft Nordschwedens nach einem Hirsch jagt. Er schwimmt in einem vereisten See und fährt seinen Volvo XC70 über von Schneestürmen heimgesuchte Straßen. Zwischen diesen Bildern klassischer schwedischer Landschaften sehen wir hin und wieder kurz Ibrahimovićs Frau Helena Seger und seine Kinder.

Als Stimme im Hintergrund rezitiert Zlatan selbst langsam, mit einen deutlichen Akzent, eine leicht veränderte Version der schwedischen Nationalhymne. Der Film endet mit Ibrahimovićs Worten, dass er „in Schweden leben und sterben wird“, während ein Text erklärt, dass der neue Volvo (und implizit auch Ibrahimović) „Made by Sweden“ sind. Der Film war ein Erfolg und er kurbelte Volvos Verkäufe an. Der Autofirma war es gelungen, sich Ibrahimovićs nationale Ambivalenz im Kontext der Marke Volvo zu Eigen zu machen – die selbst unter dem Einfluss der Globalisierung mit einer möglichen Herausforderung konfrontiert war, da das Unternehmen zuvor von neuen chinesischen Eigentümern gekauft worden war.

Aber der Film war nicht nur ein kommerzieller Erfolg. Mit seinen beeindruckenden Bildern und seinem Narrativ von Ibrahimović als neuem modernen Schweden, rief der Werbefilm auch starke positive emotionale Reaktionen hervor. In einer der größten Zeitungen des Landes gestand Kulturredakteurin Rakel Chukri, dass sie von dem Werbefilm zu Tränen gerührt war, als Zlatan den letzten Satz über Leben und Sterben in Schweden ausspricht. „Trotz meiner offensichtlichen Vorbehalte gegen die chinesischen Eigentümer von Volvo und trotz der stereotypen Zurschaustellung von Männlichkeit“, schrieb Chukri, „konnte ich nicht anders, als den Film als Rache an allen missgestimmten Kritikern zu interpretieren, die abgelehnt haben, Zlatan tatsächlich als Schwede zu betrachten.“

Verschiebung von Grenzen

Der oben beschriebene Zlatan-Mythos und seine potenzielle Performativität wirft Fragen auf zur Rolle, die berühmte Persönlichkeiten im Sport bei der Neudefinierung und Verschiebung der Grenzen von Nationen spielen. Können Sportler wie Zlatan Ibrahimović beeinflussen, wie nationale Gemeinschaften sich selbst wahrnehmen und wie sie nationale Identitäten reproduzieren? Im Falle des Zlatan Ibrahimović scheint es plausibel, dass sein mythischer Charakter und sein Image als neuer, moderner und multikultureller Schwede zu einer schrittweisen Neudefinition des Schwedischseins beiträgt.

Er schwimmt in einem eisigen See und fährt seinen Volvo XC70 über von Schneestürmen heimgesuchte Straßen. Zwischen diesen Bildern klassischer schwedischer Landschaften sehen wir hin und wieder kurz Ibrahimovićs Frau Helena Seger und seine Kinder. Langsam rezitiert er eine leicht veränderte Version der schwedischen Nationalhymne.

Innerhalb der Literatur zu Nationalismus und nationaler Identität hat das Konzept der nation work in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Dieser Ansatz baut auf der kürzlich erfolgten „kognitiven Wende“ innerhalb der Nationalismus-Studien auf, der die Kategorisierung und Klassifizierung durch Eigenschaften oder Inhalte betont.

Nation work beinhaltet die gewohnte und tägliche Aufrechterhaltung und Neudefinition von Nationen an den Rändern. Zu nation work gehört ein Prozess der Kategorisierung, der dabei hilft, verschiedene Nationen voneinander zu unterscheiden. Dazu gesellt sich eine Spezifizierung von Mitgliedern nationaler Gemeinschaften, die durch andere Kategorien von Identität vermittelt wird wie zum Beispiel Rasse, Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit, sowie die Anerkennung, dass, wie die Soziologin Kristin Surak sagt, „wer wir sind, nicht nur definiert wird gegenüber den anderen, sondern auch gegenüber anderen unserer Mitglieder. Eine Person ist vielleicht ein besonders gutes oder schlechtes Mitglied, ein typisches oder seltsames, ein exemplarisches oder unaufrichtiges Mitglied der nationalen Gemeinschaft. Der Kontrast wird hier weder zu einem externen Anderen hergestellt noch zu einem internen Anderen.“

Die Vorstellung der nation work scheint ein vielversprechender Weg zu sein, wenn es darum geht, zu verstehen, was ein Individuum wie Ibrahimović mit der schwedischen Nation macht. Ich würde sagen, er „bearbeitet“ sie.

Der mediatisierte Mythos von Zlatan bietet neue Kategorien der Identifikation im Rahmen der schwedischen Nation. Zlatan Ibrahimović (oder, genauer gesagt, die Narrative über ihn) hilft, die schwedische Nation von anderen Nationen zu unterscheiden. Aber dieses Schwedischsein wird gestaltet von seinem Hintergrund als Einwanderer. Dies macht ihn zu einer anderen Art Mitglied in der schwedischen Gemeinschaft, zu einem, in dem sich andere Mitglieder spiegeln, und den sie als Marker von Identität nutzen können. Kurz gesagt: Der Mythos von Ibrahimović hat möglicherweise die Grenzen der schwedischen Nation erweitert und er bietet auch eine neue Kategorie der Identifikation als „moderner“ Schwede, der wohl ein bisschen anders ist, aber immer noch schwedisch.

Über den Autor
Anders Ravn Sørensen
Politikwissenschaftler

Anders Ravn Sørensen ist Assistenzprofessor an der Copenhagen Business School in der Abteilung für Management, Politik und Philosophie. Seine Hauptforschungsgebiete sind Nationalismusstudien, Kulturgeschichte und Organisationsstudien. Er hat Artikel über die Verwendung von Geschichte in Organisationen und die Aneignung der nationalen Geschichte für Identitäts- und Markenzwecke veröffentlicht.

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