Die ukrainische Gesellschaft gab auch keine besonderen Signale. Die Menschen gingen weiterhin zu Fußballspielen, die Fans unterstützten ihre Klubs wie bisher. Die Nationalmannschaft der Ukraine bemühte sich, zur WM zu fahren. Im Herbst 2013 schafften es die Ukrainer in die Play-offs und sollten gegen die Franzosen antreten. Das erste Spiel fand in der Ukraine statt, ein sensationeller Sieg der Ukrainer mit 2:0. Präsident Janukowitsch war beim Spiel zugegen, und freute sich so über das Tor, dass er in seinem Sitz stecken blieb – das löste eine Welle von Ironie und Sarkasmus aus. Aber mit Sarkasmus war es auch getan. Beim Rückspiel siegten die Franzosen 0:3 und fuhren zur WM. Und in der Ukraine begann die Revolution.
Ein Land, das vollends von Oligarchen und Korruption kontrolliert wird, hätte ein Fußballwettbewerb wohl kaum verändern können, insbesondere wenn er von den gleichen Oligarchen finanziert wird.
Heute wirken die Ereignisse vor zwei Jahren ein wenig seltsam und ungestüm. Was sind all die Korruptionsskandale und die Arroganz der ukrainischen Oligarchen wert, wenn jeden Tag Menschen sterben? Was ist unser Fußball wert, verglichen mit Artilleriebeschuss und Minenkrieg? Alle unsere damaligen Probleme wirken heute lächerlich und naiv. Aber was kommt heraus, wenn man doch noch die Ereignisse zu analysieren und zu bewerten versucht? Hätte die EM das Land verändern können? Natürlich nicht. Fußball, besonders der ukrainische, ist ein Bestandteil des wirtschaftlichen und sozialen Lebens des Landes wie jedes andere Business auch.
Ein Land, das vollends von Oligarchen und Korruption kontrolliert wird, hätte ein Fußballwettbewerb wohl kaum verändern können, insbesondere wenn er von den gleichen Oligarchen finanziert wird. Gespräche mit den Bürgern der Schengen-Zone hätten die Stimmung und die grundlegenden Positionen der Ukrainer kaum transformieren können. Die EM 2012 blieb ein Ausnahmeereignis, an das sich heute angesichts der Realität des Krieges kaum jemand erinnert.
Wahrlich – heute haben wir andere Sorgen als den Fußball. Was ist denn überhaupt der moderne Fußball? Ein teures Spielzeug, gekauft von Reichen aus einer Laune heraus. Die Reichen sind bereit, Dinge zu finanzieren, die keinen echten Gewinn abwerfen, einfach so, aus Spaß und für den Aplomb.
Die heutige Situation des Fußballs in der Ukraine illustriert die Situation des Landes: „Schachtar“ aus Donezk, der Club des Oligarchen Rinat Achmetow, entkam der okkupierten Stadt und trainiert heute in Lwiw. Die „Donbass-Arena“, ganzer Stolz von Achmetow und der ganzen Region, steht leer. Manchmal tauchen im Netz Fotos auf – im Hintergrund das leerstehende Stadion, davor bewaffnete Separatisten beim Foto-Shooting. Das Stadion fasst im Übrigen niemand an, genau wie die Mehrheit der Achemtow-Betriebe – die Rolle des wichtigsten ukrainischen Oligarchen in diesem Krieg wirft bis heute jede Menge Fragen auf.