Porträt Sadia Shakil

Starke Frauen stärken Frauen

Die Unternehmerin Sadia Shakil reiste für das Vortragsprogramm in ihr Geburtsland Pakistan, um mit Gründerinnen über weibliches Unternehmertum und ihren eigenen Weg in die IT-Branche zu sprechen. Im Interview erzählt sie von ihren Eindrücken, Vorbildern und der stärkenden Rolle von Netzwerken.

Das Interview führte Juliane Pfordte

ifa (Institut für Auslandsbeziehungen): Frau Shakil, Sie wurden 1975 in Karachi geboren, haben dort Mikrobiologie studiert und nebenbei Deutsch am Goethe-Institut gelernt. Woher kam Ihr Interesse für die deutsche Sprache und Kultur?

Sadia Shakil: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und wollte schon als Kind andere Länder und Kulturen kennenlernen, daher habe ich viel und gerne gelesen. Bücher waren mein Tor zur Welt. Irgendwann wollte ich die Originalsprachen lesen, also fing ich an, Fremdsprachen zu lernen, erst Französisch, dann Deutsch, und da hat es sofort geklickt – ich habe mich in die Sprache verliebt! Vom Goethe-Institut Karachi bekam ich ein Stipendium für einen Aufenthalt in Deutschland und mir war schnell klar, dass ich hierher zurückkehren möchte.

In Deutschland haben Sie Informatik studiert und einige Jahre als Softwareentwicklerin gearbeitet, bis Sie 2010 schließlich Ihr eigenes Unternehmen gründeten, den Cloud-Lösungsanbieter Axtrion. Wie kam der Wechsel von der Mikrobiologie zur Informatik? Was hat Sie fasziniert?

In Informatik sah ich bessere Karrieremöglichkeiten als im Bereich Mikrobiologie. Als ich Mitte der 1990er-Jahre nach Deutschland zog, wurde viel über Digitalisierung gesprochen, Informatik kam gerade auf und ich wusste: Computer sind das Werkzeug von morgen. Diese Entwicklung wollte ich mitgestalten. Programmieren ist sehr praxisbezogen und die Branche entwickelt sich rasant weiter. Man ist niemals fertig und lernt ständig dazu. Das hat mich von Anfang an fasziniert.

 

Frauen in technischen Berufen sichtbarer machen

In Deutschland entscheiden sich nur wenige Frauen für einen Beruf in der Informatik. Laut dem dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung liegt der Frauenanteil bei 16 Prozent. Welchen Schwierigkeiten sind Sie als Frau in einer männerdominierten Branche begegnet? Hat Ihr Geschlecht eine Rolle gespielt?

Sadia Shakil mit Shalar Ali vom National Incubation Centre Islamabad.
Sadia Shakil mit Shalar Ali vom National Incubation Centre Islamabad, Foto: NIC/Shayan Yar.

Im Informatikstudium war ich eine von drei Frauen im ganzen Jahrgang. Das überraschte mich, weil ich von einem so fortschrittlichen Land wie Deutschland erwartet hatte, dass sich mehr Frauen für Zukunftstechnologien interessieren. Auch in meinen ersten Jobs blieb ich meist die einzige Frau im Besprechungsraum. Ich habe mich dadurch aber nie benachteiligt gefühlt.

Natürlich gab es Situationen, in denen mir Projektpartner vielleicht nicht ganz auf Augenhöhe begegnet sind, das hat für mich aber nie eine Rolle gespielt. Ich habe mich eher gefragt, warum es so wenige Frauen in meinem beruflichen Umfeld gab. Das war auch der Grund, mich im Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) zu engagieren. Ich wollte mich austauschen und Frauen in technischen Berufen sichtbarer machen.

Was glauben Sie, woran liegt es, dass sich noch immer mehr Männer als Frauen für den Beruf entscheiden?

Das hat verschiedene Gründe. Einerseits haftet Informatik noch immer ein trockenes Image an. Andererseits spielen die Erziehung und Sozialisation eine Rolle. Es wird viel über Reformen im Bildungssystem gesprochen, um das Interesse an MINT*-Fächern in der Schule zu fördern. Das ist wichtig, keine Frage, aber wir müssen viel früher ansetzen. Von klein auf Werden Kindern geschlechtsspezifische Unterschiede beigebracht. Jungs tragen Blau, Mädchen Pink; Jungs spielen mit Baggern, Mädchen mit Puppen; Jungs sind von Natur aus technisch begabt, Mädchen eher weniger, aber das stimmt nicht. Wir sollten Kindern vermitteln, dass sie alles machen und schaffen können, was sie möchten, unabhängig vom Geschlecht. Natürlich begeistert sich nicht jeder für technische Berufe, aber die Vermittlung von Selbstvertrauen durch das Elternhaus ist enorm wichtig – und Vorbilder!

Wer waren Ihre Vorbilder oder Menschen, die Sie in Ihrem Selbstvertrauen gestärkt haben?

In jungen Jahren haben mich Bücher sehr geprägt, weil sie meinen Horizont erweitert und mir verschiedene Lebensentwürfe nahegebracht haben, die ich aus meinem Umfeld in Pakistan kaum kannte. In dem Roman „Wie kommt das Salz ins Meer“ von Brigitte Schwaiger geht es beispielsweise um eine Frau, die versucht, aus dem engen Korsett ihrer Rolle als Ehefrau auszubrechen. Auch „Siddhartha“ von Hermann Hesse war für mich wegweisend. Die Botschaft, dass jeder seinen eigenen Weg gehen muss. Und dass es letztlich unsere Entscheidungen sind, die uns zu dem Menschen machen, der wir sind. Am meisten aber haben mich meine Eltern geprägt. Sie haben mich nie in eine bestimmte Rolle gedrängt oder gesagt: „Du willst Informatik studieren? Das ist nichts für Mädchen!“ Sie haben mich immer ermutigt und meine Träume unterstützt, dafür bin ich unendlich dankbar.

 

Frauenrechte in Pakistan: große Unterschiede zwischen Stadt und Land

Im Jahr 2022 sind Sie für das Vortragsprogramm in Ihr Geburtsland gereist, um mit Gründerinnen und IT-Studentinnen über weibliches Unternehmertum und Ihren eigenen Weg als Unternehmerin in der Digitalbranche zu sprechen. Welche Eindrücke der Reise sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Für mich war es etwas Besonderes, meine Wahlheimat im Land meiner Geburt zu repräsentieren, denn ich trage beide Länder in mir. Ich habe Pakistan mit 20 Jahren verlassen, seitdem hat sich natürlich viel verändert. In Karachi wächst die Start-up-Szene und ich habe sehr viele interessante, ehrgeizige Frauen kennengelernt, deren Karriere- und Lebenspläne mich beeindruckt haben.

Inwiefern?

Die Frauen erzählten mir selbstverständlich von ihren Jobs und dass sie dafür in eine andere Stadt ziehen werden. Das hat mich positiv überrascht, denn vor 30 Jahren war das nicht selbstverständlich. Frauen konnten auch damals schon studieren, aber die wenigsten wurden nach ihrem Abschluss berufstätig. Mit der Hochzeit endete die Karriere, weil die Kultur verlangte, Hausfrau und Mutter zu sein. Mein Eindruck ist, dass diese patriarchalen Strukturen ganz langsam aufbrechen. Das hängt vermutlich auch mit der katastrophalen wirtschaftlichen Situation des Landes zusammen. Viele Männer wünschen sich eine erwerbstätige Partnerin, weil sie als Alleinverdiener die Familie kaum ernähren können.

Pakistan hat noch immer eine der niedrigsten Frauenerwerbsquoten weltweit, die meisten Frauen sind in der informellen Wirtschaft beschäftigt, immer wieder kommt es zu Gewalt an Frauen, auch im öffentlichen Raum. Von welchen Herausforderungen haben die Frauen vor Ort berichtet?

Die Reise hat mich ausschließlich in die Großstädte geführt, nach Lahore, Islamabad und Karachi. Dort herrscht eine ganz andere Dynamik als auf dem Land, beispielsweise in den konservativen Stammesgebieten an der Grenze zu Pakistan, wo noch immer patriarchale Strukturen dominieren und Frauen im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben kaum präsent sind. Insofern waren Herausforderungen auf den Veranstaltungen kein Thema. Die größte Schwierigkeit ist aber die finanzielle Unabhängigkeit.

Sadia Shakil spricht beim Women Leaders Seminar.
„Empowered Women Empower Women“, so lautete der Titel des Vortrag von Sadia Shakil beim Women Leaders Seminar in Karachi, Foto: New World Concepts

Es fehlen staatliche Förderprogramme, beispielsweise Mikrokreditprogramme, die es Frauen in ländlichen Gebieten ermöglichen, von zu Hause aus etwas produzieren, zu verkaufen und so ihr eigenes Geld zu verdienen, denn nicht jede Frau hat die Chance, zu studieren oder in die Stadt zu ziehen.

Wie wirkt sich die Machtübernahme durch die Taliban im Nachbarland Afghanistan auf die Situation der Frauen in Pakistan aus?

Die aktuelle Regierung hegt wenig Sympathien für die Taliban, und auch in der Bevölkerung regt sich Widerstand. Wenn wir über die Taliban reden, denken wir zuerst an die Einschränkung der Frauenrechte – zu Recht, denn wir sehen ja, wie grausam ihre Situation in Afghanistan ist. Aber wir dürfen die männlichen Opfer nicht übersehen, auch sie leiden. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat islamistischen Extremisten – auch den sogenannten Pakistanischen Taliban – Aufwind verschafft. Immer wieder kommt es in der Grenzregion im Nordwesten des Landes, einer Hochburg für Extremisten, zu Anschlägen. Sie richten sich hauptsächlich gegen pakistanische Sicherheitskräfte und Polizisten, weil sie jenen Staat verteidigen, den die Extremisten zu bekämpfen versuchen. Der Krieg in Afghanistan und der sogenannte Krieg gegen den Terror haben Pakistan nachhaltig destabilisiert. Unter der fehlenden Sicherheit leiden alle, Männer und Frauen.

Fragen Sie sich manchmal, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie in Pakistan geblieben wären?

Manchmal denke ich darüber nach, ob es richtig war zu gehen. Pakistan hat mit einem ernsthaften Braindrain zu kämpfen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 23 Jahren, es gibt einen Überschuss an Fachkräften und zu wenig Jobs. Wenn alle dem Land den Rücken kehren, verbessert sich natürlich auch nichts. Daher versuche ich, von Deutschland aus etwas zur Entwicklung des Landes beizutragen. In dem Unternehmen, das ich 2010 gegründet habe, arbeiten heute festangestellte Mitarbeiter von Karachi aus, remote. Mithilfe von Cloud-Technologien können wir standortunabhängig und länderübergreifend zusammenarbeiten. Das ist eine große Chance, vor allem für die junge Generation im Land, denn nicht jeder hat die finanziellen Mittel, das Land zu verlassen.

Welche Ideen haben Sie von der Vortragsreise mit zurück nach Deutschland genommen?

Mir ist noch einmal bewusst geworden, wie wichtig Frauennetzwerke sind, denn genau diese fehlen in Pakistan. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt eine klare Interessenvertretung gegenüber der Politik sind die Schlüssel zur Stärkung von weiblichem Unternehmertum und die gleiche Teilhabe von Frauen. Netzwerke sind wichtig, auch um von den persönlichen und beruflichen Erfahrungen anderer zu lernen. Daher überlege ich, die Arbeit des Verbands deutscher Unternehmerinnen auf Pakistan auszuweiten, zum Beispiel mit einem digitalen Mentoringprogramm. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig stärken. Die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison hat es einmal gut auf den Punkt gebracht: „When you get these jobs that you have been so brilliantly trained for, just remember that your real job is that if you are free, you need to free somebody else. If you have some power, then your job is to empower somebody else.”

* Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik

Über Sadia Shakil
Porträt von Sadia Shakil
Sadia Shakil
Gründerin & CEO von Axtrion

Sadia Shakil ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin von Axtrion mit Schwerpunkt auf Kapitalmanagement, Kundenzufriedenheit und dem Ausbau der Firma zum Marktführer innovativer Informationstechnologien. Sie hat ein Postgraduade Certificate in Computer Science der University of Wolverhampton und einen Master in Applied Computing von der Universität Lüneburg. Shakil ist Mitglied im Bundesvorstand des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU) und Botschafterin der bundesweiten Initiative „MINT-Zukunft schaffen“.

Vortragsprogramm der Bundesregierung

Expert:innen aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien informieren in Vorträgen und Podiumsdiskussionen aktuell und vielschichtig über Deutschland. Das ifa organisiert das Vortragsprogramm der Bundesregierung zusammen mit den deutschen Botschaften und Konsulaten im Ausland. Es richtet sich an Multiplikator:innen der Zivilgesellschaft in diesen Ländern. Weitere Informationen auf der Website des ifa.