Auseinandersetzung auf Augenhöhe

Die EU hat Kultur zu einem strategischen Feld ihrer Entwicklungshilfepolitik und internationalen Beziehungen gemacht. Trotzdem sind die Zusammenarbeit und der kulturelle Austausch zwischen Europa und Afrika immer noch stark geprägt von kolonialen Mustern. Was kann hier Abhilfe schaffen?

Im Juni 2016 veröffentlichte die Europäische Kommission eine gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat mit dem Titel: Künftige Strategie der EU für internationale Kulturbeziehungen. Kultur als wesentlicher Bestandteil der Soft Power in den internationalen Beziehungen der EU, das ist keine neue Entwicklung.

Abkehr vom Paternalismus

Die neue Strategie der EU erkennt an, dass „Kultur und insbesondere der interkulturelle Dialog dazu beitragen können, zentralen globalen Herausforderungen zu begegnen – wie etwa Konfliktprävention und Konfliktlösung, die Integration von Flüchtlingen, Vorgehen gegen gewaltsamen Extremismus und der Schutz von kulturellem Erbe.“ Sie betont die Brückenfunktion, die Kultur in den internationalen Beziehungen übernehmen kann. Damit es aber dazu kommt, ist es notwendig, „darauf abzuzielen, einen neuen Geist des Dialogs, des gegenseitigen Zuhörens und Lernens, des gegenseitigen Aufbaus von Kompetenzen und der globalen Solidarität zu generieren.“

Konzentrieren wir uns auf diese Prinzipien: gegenseitiges Zuhören und Verstehen, Respekt und Ebenbürtigkeit, Gegenseitigkeit, gemeinsame kreative Arbeit … und globale Solidarität. Diese demokratischen Werte, die Europa gerne als konstituierend für seine Identität und sein Projekt bekräftigt, bleiben starke Anziehungspunkte in der ganzen Welt.

Ob es nun die Migrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten ist, die zunehmend Bürger der ACP-Länder (Afrika, Karibik und Pazifik) ausschließt, oder die erhitzten Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und den Staaten der ACP-Gruppe in Bezug auf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) – auf diese Werte der Europäischen Union scheint man sich in den Augen vieler Afrikaner immer weniger verlassen zu können.

Kultur und insbesondere der interkulturelle Dialog können dazu beitragen, zentralen globalen Herausforderungen zu begegnen – wie etwa Konfliktprävention und Konfliktlösung, die Integration von Flüchtlingen, Vorgehen gegen gewaltsamen Extremismus und der Schutz von kulturellem Erbe.

Kann sich Europa also in einem sich schnell verändernden globalen geopolitischen und geoökonomischen Kontext, in dem das Gleichgewicht der Macht immer komplexer wird, darauf beschränken, Werte zu proklamieren?

Es würde zu lange dauern, die institutionelle und operative Architektur der kulturellen Kooperation zwischen EU und ACP detailliert zu beschreiben. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass die EU mehr an Entwicklungshilfe beteiligt ist als an den internationalen Beziehungen. Deshalb wird die kulturelle Zusammenarbeit größtenteils über den Europäischen Entwicklungsfond (EDFs) finanziert.

Dies ist nicht unbedeutend und hat Auswirkungen auf die Programmgestaltung (der Kampf gegen Armut und die Beteiligung an der wirtschaftlichen Entwicklung der ACP-Länder zählen zu den zentralen Zielen), auf Auswahlkriterien für Unterstützungsempfänger, Prozeduren der Stipendienvergabe und Evaluierungen von Projekten. In dieser Strategie ist die vorherrschende Vision jene von den „unterentwickelten Kulturen“, denen man helfen sollte, sich in dem Sinn zu entwickeln wie andere Programme für Entwicklungszusammenarbeit Infrastruktur und Gesundheitssysteme in afrikanischen Ländern unterstützen.

Der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller Felwine Sarr, Autor von „Afrotopia”, einem bekanntem 2016 veröffentlichten Essay, fasst den Paternalismus, der sich über eine solche Vision vermittelt, die auf dem Konzept der Entwicklung beruht, so zusammen: „Wir sprechen von den ‚unterentwickelten Ländern‘. Die ganze Wahrheit wird zusammengefasst in einem Ausdruck, der auf wirtschaftlichen Kriterien beruht, die alle anderen Aspekte des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens völlig leugnen. Es ist eine ‚reduktionistische‘ Vision. Länder sind besessen von dieser Unterentwicklung. [...] Konzepte sind wichtig, denn sie haben Grundlagen, implizite Bedeutungen. Wir verleugnen den Unterschied und stellen ihn in eine hierarchische Beziehung. Sie sollen ‚wie wir‘ werden, ‚genauso sein‘. Der Weg zur Würde geht darüber, zu werden wie wir. Das bedeutet, andere in unser Narrativ, in unsere Geschichte einzuschreiben.“

Nach Meinung Sarrs muss das Entwicklungskonzept selbst infrage gestellt und vor allem neu erfunden werden und zwar im Einklang mit afrikanischen Wirklichkeiten und Bestrebungen: „Es scheint ein großzügiger Vorschlag zu sein, da er Menschen helfen soll, die in Schwierigkeiten stecken, die arm sind. Es ist schwer, ihn infrage zu stellen, denn ‚Entwicklung‘ hat die tour de force erfolgreich absolviert, sich als ein Wort zu etablieren, das alle tugendhaften Bestrebungen von Individuen zusammenfasst. Das stimmt nicht. Es ist ein westliches Konzept aus dem 20. Jahrhundert, das auf bestimmte Bedürfnisse reagiert. Wir können uns davon inspirieren lassen, aber es ist kein Ziel, das für alle passt.“

Leider steht dieses eurozentrische und hierarchische Konzept immer noch weitgehend im Zentrum kultureller Kooperationsprogramme mit Afrika, ob es sich dabei nun um Programme von EU-Mitgliedstaaten (Frankreich, Belgien, Deutschland, die Niederlande usw.) handelt oder um jene, die gemeinsam von der Europäischen Kommission und der ACP-Staatengruppe durchgeführt werden, wie etwa das Programm ACPCultures+. Natürlich gibt es Ausnahmen, eher in der Zusammenarbeit zwischen privaten Organisationen in Europa und Afrika als bei Programmen, die von nationalen und internationalen Agenturen für kulturelle Zusammenarbeit entwickelt wurden. Es geht nicht darum, bestimmte positive Aspekte dieser Programme zu bestreiten (insbesondere in Bezug auf die Hilfe zur Selbsthilfe, die Unterstützung der Mobilität von Künstlern und die Verbreitung von Werken), sondern darum, zu betonen, dass diese Programme weitgehend in einer hierarchischen Vision und kolonialen Fantasie gefangen sind, die eine Gegenseitigkeit verhindert, die für alle Parteien bereichernd sein könnte.

Die europäische Soft Power und afrikanische Reaktionen

Historisch betrachtet war die erste Herausforderung für die internationale Kulturpolitik immer das Streben nach Einfluss. Heutzutage, in einem Zeitalter der kulturellen Globalisierung, der digitalen Revolution und des internationalen Wettbewerbs um die Kontrolle der Kanäle für die Verbreitung kultureller Inhalte, bleibt das Streben nach Einfluss die wichtigste Motivation jener Staaten und zwischenstaatlichen Organisationen, die eine auswärtige Kulturpolitik haben. Seit den 1990er Jahren sprechen wir von Soft Power in den internationalen Beziehungen, um dieses Streben nach Einfluss durch Kultur und ihre Verführungskräfte zu benennen.

Soft Power, eine Bezeichnung des amerikanischen Professors Joseph Nye, bezieht sich auf eine neue Form der Macht im internationalen politischen Leben, die nicht auf Zwang, sondern auf Überzeugung setzt, das heißt, auf die Fähigkeit politischer Akteure, andere davon zu überzeugen, Ziele zu verfolgen, die ihren eigenen entsprechen.

Historisch betrachtet war die erste Herausforderung für die internationale Kulturpolitik immer das Streben nach Einfluss.

Im heutigen extrem wettbewerbsorientierten geopolitischen und geoökonomischen Kontext ist Soft Power zu einer strategischen und diplomatischen Domäne geworden, die Kultur zum wichtigen politischen Thema macht. Die Europäische Union übernimmt dies und erinnert daran, dass die in ihrer „Strategie für internationale Kulturbeziehungen“ formulierten Ziele dazu beitragen sollten, „die EU zu einem stärkeren globalen Akteur zu machen.”

Die kulturelle Zusammenarbeit zwischen der EU und der ACP-Staatengruppe ist von diesen Themen der Soft Power betroffen. Kulturelle Akteure und Experten der ACP verstehen, dass Programme ebenso sehr dazu dienen (manche würden sagen, sogar mehr), Vorbilder für Kulturen, Werte und Gesellschaften zu verbreiten und die Produktion künstlerischer Inhalte zu begleiten wie dazu, afrikanischen kulturellen Akteuren dabei zu „helfen”, sich zu „entwickeln”. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil diese Programme in bestimmten Kontexten eingesetzt werden, die von der Schwäche der afrikanischen Kulturpolitik und –Industrien gezeichnet sind, sowie von einem beträchtlichen Ungleichgewicht im weltweiten Handel mit Gütern und Dienstleistungen (Afrika macht nicht mehr als ein Prozent des Welthandels aus).

Die Lage ist tatsächlich paradox: Während Kultur zu einem immer strategischeren internationalen Feld wird und afrikanische Künstler und kulturelle Ausdrucksformen fantastische Botschafter für den Kontinent darstellen, hinken afrikanische Staaten und Institutionen im Hinblick auf Themen und Herausforderungen der Soft-Power-Politik weit hinterher. Abgesehen von Südafrika und Marokko haben aktuell wenige afrikanische Staaten eine echte Kulturpolitik, obwohl sich einige in diese Richtung bewegen (wie etwa Ruanda, Mali, Burkina Faso, Kap Verde und Uganda). Ebenso ist die offenkundige Schwäche der Abteilungen und menschlichen Ressourcen, die sich innerhalb regionaler und kontinentaler Institutionen (AU, CEMAC, WAEMU, ACP, ECOWAS) mit Kultur beschäftigen, symptomatisch für diesen Rückstand. Trotzdem steht Afrika im Zentrum einiger großer strategischer Herausforderungen.

Die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) und die arabischen Golfstaaten zögern nicht, ihre Soft Power-Politik einzusetzen. Insbesondere Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate investieren sehr stark in Afrika und nutzen die Religion, um ihre Soft Power und ihren internationalen Status zu erhöhen. Im Senegal zum Beispiel bauen die Vereinigten Arabischen Emirate „schlüsselfertige“ Moscheen inklusive Imam.

In dieser kulturellen Globalisierung kämpfen afrikanische Reaktionen, Politik und Strategien um Les- und Sichtbarkeit. Angesichts der Langsamkeit von Staaten und auch von regionalen und kontinentalen Behörden und Institutionen organisieren sich heute afrikanische Künstler, Intellektuelle und kulturelle Akteure selbst, um die Entstehung einer unabhängigen und alternativen afrikanischen Sichtweise und Debatte zu fördern.

Kultureller Austausch oder einfach europäische Forderungen?

Seit 2016 organisieren der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller Felwine Sarr und der Kameruner Politiktheoretiker und Schriftsteller Achille Mbembe jedes Jahr eine Veranstaltung in Dakar, die „Ateliers de la pensée“. Diese Treffen führen eine Gruppe afrikanischer und europäischer Denker zusammen, die sich dem „Revival des dekolonisierten afrikanischen Denkens“ verschrieben haben.

Diese „Ateliers de la pensée“ veranschaulichen den aktuellen intellektuellen und künstlerischen Nährboden auf dem afrikanischen Kontinent, bei dem darauf abgezielt wird, einen neuen Diskurs zu starten, der nicht einfach nur westliches Denken reproduziert. Das Thema und dieser Wunsch sind nichts Neues. Dies waren die Ziele der Väter der afrikanischen Unabhängigkeit wie etwa Kwame Nkrumah und Julius Nyerere sowie der Theoretiker des Postkolonialismus. Also warum und wie wurden kulturelle Themen von afrikanischen Ländern auf Eis gelegt? Dafür gibt es zahlreiche Gründe – politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche: die Priorität anderer Aktivitätsbereiche, katastrophale Versuche, nationale Kulturen oder Künstler für politische Zwecke zu nutzen, die Auswirkungen der Politik der Strukturanpassung, der Mangel an Meinungsfreiheit – dies sind nur einige Aspekte, die zur Marginalisierung kultureller Themen und Politik in Afrika beigetragen haben.

In Anbetracht eines Felds, das in vielen Ländern seit den 1980er Jahren brachgelegen hat, haben Akteure aus dem Norden allmählich damit angefangen, verschiedene Ebenen der kulturellen Wertekette (vom Design bis zur Produktion und Verbreitung) mit Kooperationsprojekten zu unterstützen. Die Situationen unterscheiden sich sehr stark je nach Land, geografischen und sprachlichen Regionen und nach der auswärtigen Kulturpolitik der früheren Kolonialmächte.

Doch unabhängig vom jeweiligen Land haben sie alle heutzutage kulturelle Kooperationsprojekte, die von Akteuren aus dem Norden finanziert werden, insbesondere von der Europäischen Union.

Bei den meisten dieser Projekte zeigen sich drei Schlüsselmerkmale:

  • Erstens sind es die nördlichen Geldgeber, die auf eine mehr oder weniger transparente Art Programme gestalten und/oder Projekte aussuchen.
  • Zweitens wird über die Zusammenarbeit zwischen den Parteien selten aus unterschiedlichen Perspektiven berichtet. In den meisten Fällen wird das Projekt oder Programm von der Organisation im Norden dokumentiert und analysiert statt von Partnern oder Unterstützungsempfängern im Süden.
  • Und schließlich werden die meisten dieser Projekte und Programme nicht wirklich unabhängig bewertet. Entweder werden die Gutachter „intern“ rekrutiert oder werden, wenn sie von außen kommen, immer noch von den Sponsoren des Programms bezahlt.

Die neuere Geschichte der kulturellen Kooperation zwischen Europa und Afrika scheint somit von einem einzigen Autor geschrieben zu sein: von dem, der gibt, der Talente und Technologien einbringt und der von der Überlegenheit des eigenen Modells überzeugt ist und der Afrikanern dabei hilft, auf dieses zuzugreifen.

Wie könnten Austausch oder Projekte der kulturellen Kooperation zwischen Europa und Afrika, die geprägt sind von einem Ungleichgewicht, das sowohl materieller (die finanziellen Mittel kommen aus dem Norden) als auch symbolischer Art ist (und auch Legitimationskriterien...), in solch einer Konstellation gleichberechtigt sein?

Die neuere Geschichte der kulturellen Kooperation zwischen Europa und Afrika scheint somit von einem einzigen Autor geschrieben zu sein: von dem, der gibt, der Talente und Technologien einbringt und der von der Überlegenheit des eigenen Modells überzeugt ist und der Afrikanern dabei hilft, auf dieses zuzugreifen.

Diese Frage wird regelmäßig bei Fachkonferenzen und professionellen Treffen von Künstlern, Akteuren und Forschern gestellt, hat aber für Geldgeber und Einflussnehmer im Norden noch keine Priorität. In Europa scheint dieses Ungleichgewicht, diese Asymmetrie, beinahe selbstverständlich zu sein. Man findet immer noch sehr selten eine europäische Institution oder Organisation, die kulturelle Kooperationsprojekte mit Afrika unterstützt und die eigene Arbeit einer echten kritischen Reflexion unterzieht. Doch können kulturelle Ausdrucksformen trotzdem vernünftigerweise als ein traditioneller Sektor der Entwicklungshilfe betrachtet werden? Was bedeutet es, wenn man etwas zur „Entwicklung verhelfen“ will, das eben ein Teil der Identität von Individuen und Völkern ist und sich teilweise auf immaterielle Art und Weise ausdrückt? Wir haben das Gefühl, dass diese Fragen gestellt werden müssen, weil die Dominanz europäischer Kriterien in Kooperations-Projekten und -   Programmen so stark ist, dass wir uns manchmal fragen, ob die kulturelle Dekolonisierung des Dunklen Kontinents tatsächlich jemals stattgefunden hat.

Es ist seltsam, zu sehen, dass viele künstlerische Projekte zwischen Europa und Afrika die Logik der Extrahierung von Rohmaterialien in andere Bereiche der Zusammenarbeit reproduzieren. Nämlich die Bestandteile, die wahrscheinlich in Europa von Nutzen sind, entweder Künstler, Kompanien, Ästhetik oder Kulturerbe, sie werden bestimmt und von „Experten“ aus dem Norden ausgewählt, aus ihrem Umfeld genommen und für verschiedene Zwecke auf den alten Kontinent exportiert. In diesen Fällen hat der künstlerische Bedarf eindeutig Vorrang vor der strukturellen Qualität der Beziehung zwischen den Partnern im Norden und Süden.

Geteilte Verantwortung

Eine wissenschaftliche Bewertung des Stands der kulturellen Kooperation zwischen Europa und Afrika und insbesondere der von der Europäischen Union finanzierten Kooperationsprogramme steht immer noch aus. Eine Bewertung, die sich nicht auf offizielle Dokumente zu diesen Programmen beschränkt, sondern versucht, die Sichtweisen der Partner und Unterstützungsempfänger im Süden zu integrieren und die Komplexität und Ambivalenz dieser Art von Programmen zu beschreiben.

Auf der Grundlage eines solchen Ansatzes kann sich allmählich ein neues Paradigma entwickeln, weit entfernt von dem Ungleichgewicht und der von der Kolonisierung vererbten Darstellungen und respektvoll gegenüber allen Parteien. Dies erfordert zwei große Veränderungen:

  • Erstens müssen die Akteure im Norden anerkennen, dass die strukturelle Qualität von Austauschprogrammen heute so wichtig ist wie die künstlerischen Anforderungen, und dass sie notwendigerweise den Rahmen von Interaktionen beeinflusst, sowohl die Projektplanung als auch die Programmführung.
  • Andererseits ist es wichtig, Projekte und Programme über einen längeren Zeitraum zu gestalten, zu unterstützen und zu bewerten. Ein Strukturwandel lässt sich selten im Laufe von drei, vier oder fünf Jahren erzielen. Um effektiv zu sein, muss kulturelle Kooperation auf eine gemeinschaftliche und koordinierte Art über eine relativ lange und fortwährende Periode durchgeführt werden.

Jahr für Jahr gibt es eine Reihe politischer Erklärungen zur Bedeutung der Rolle von Kultur für die Entwicklung der ACP-Länder. Wann werden wir uns von dieser Abfolge an Erklärungen lösen und es endlich wagen, die Grundlagen für konkrete und innovative Aktionen zu legen, die für einen wahren Paradigmenwechsel stehen? Es gibt kompetente professionelle afrikanische Organisationen, die in der Lage sind, Institutionen aufzuklären und zu begleiten.

Das Arterial Network, ein Netzwerk afrikanischer kultureller Akteure, feierte 2017 seinen zehnten Jahrestag und deckt nun beinahe den gesamten Kontinent ab. In jüngerer Zeit versucht das 2017 geschaffene African Cultural Policy Network im Hinblick auf Kultur und die kulturelle Kooperation Gesprächspartner für Staaten, lokale und regionale Behörden sowie für internationale Organisationen im politischen Bereich zu sein. Andere Organisationen haben ebenfalls eine beachtliche Erfahrung und Expertise. Und vergessen wir nicht Thinktanks wie die „Ateliers de la pensée“.

Politische Institutionen können diese Partner im Süden nicht länger ignorieren. Wird es der EU über Worte und spezielle Aktionen hinaus gelingen, die in ihrer neuen Strategie zu den internationalen Kulturbeziehungen dargelegten strukturellen Prinzipien umzusetzen: gegenseitiges Zuhören und Lernen, Respekt und Ebenbürtigkeit, Gegenseitigkeit, Mitgestaltung? Die Verantwortung liegt bei Europäern und Afrikanern. Solange afrikanische Entscheider und politische Organisationen es versäumen, mehr in kulturelle Themen und Fragen zu investieren und sie in Betracht zu ziehen, werden Europäer so weitermachen wie sie wollen, als Experten für Soft Power und Kulturdiplomatie. Doch ein Paradigmenwechsel ist dringend erforderlich, um mit dem Anstieg von Extremismus und Populismus in Afrika und in Europa fertigzuwerden. Denn Kultur ist nicht per se gut. Sie ist eine Matrix, die sowohl das Beste als auch das Schlechteste hervorbringen kann.

 Ein Paradigmenwechsel ist dringend erforderlich, um mit dem Anstieg von Extremismus und Populismus in Afrika und in Europa fertigzuwerden. Denn Kultur ist nicht per se gut. Sie ist eine Matrix, die sowohl das Beste als auch das Schlechteste hervorbringen kann.

Der Schriftsteller Sony Labou Tansi pflegte zu sagen: „Ich muss nicht entwickelt werden. Ich muss so genommen oder gelassen werden.“ Wie können wir auf globaler Ebene zusammen leben mit kulturellen Unterschieden, die immer neue Formen annehmen? Morgen, sagen Experten voraus, dass „geokulturelle Themen einen Ansatz für globale Governance darstellen können, gleichberechtigt mit geopolitischen und geoökonomischen Themen. Einer der zentralen strategischen Herausforderungen besteht darin, Wege zu finden, um kulturellen Pluralismus zu einem politischen Projekt zu machen, das es den vielen Daseinsformen in der Welt ermöglicht, ihre Interaktionen zu prägen und die Basis einer multizentrischen und doch friedlichen Welt zu bilden.“ Wird die kulturelle Kooperation zwischen der EU und Afrika angesichts dieser Herausforderung einen effektiven Beitrag leisten?

Über die Autorin
Ayoko Mensah
Journalistin und Kulturexpertin

Ayoko Mensah ist eine französisch-togolesische Journalistin und Kulturexpertin. Nach der Gründung und Leitung des Magazins „Afriscope“ arbeitete sie als Expertin im EU-ACP-Programm für die Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen, karibischen und pazifischen Ländern. Von 2016 bis 2023 koordinierte sie das Afropolitan Programm am Zentrum für Bildende Künste in Brüssel. Seit 2024 ist Mensah Kuratorin am Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel.

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