Illustration eines Torwarts vor blauem Hintergrund, der einen Ball fängt.

Brennspiegel von Politik und regionaler Identität

In Spanien werden gesellschaftliche Themen und Konflikte häufig über den Fußball kommuniziert. Dabei steht das traditionsreiche Duell El Clásico zwischen Real Madrid und dem F.C. Barcelona symbolisch für den innerspanischen Nationalitätenkonflikt.

Trotz aller undurchsichtigen Machenschaften, Millionenschulden, Finanz- und Steuerskandale der Vereine, aber auch gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Fanlagern ist das Interesse an La Liga, dem spanischen Äquivalent zur deutschen Bundesliga oder britischen Premier League ungebrochen. Die Madrider Fußballtageszeitung „Marca“ ist hinter „El País“ die auflagenstärkste Zeitung im Land und besitzt über Bars und Cafés eine Reichweite, die auf 2,5 Millionen Leser geschätzt wird. Im Zeitalter von Smartphones und Social Media ist von einer noch größeren „Dunkelziffer“ auszugehen.

Die Madrider Fußballtageszeitung „Marca“ ist hinter „El País“ die auflagenstärkste Zeitung im Land.

Das traditionsreiche Duell El Clásico zwischen dem Hauptstadtklub Real Madrid und dem katalanischen F.C. Barcelona steht symbolisch für den innerspanischen Nationalitätenkonflikt und trifft gleichzeitig auf das Interesse von 400 Millionen Menschen weltweit. Ob den Millionen von internationalen Zuschauern die extreme politische Aufladung des Spiels tatsächlich bewusst ist, kann nicht geklärt werden.

Wie sehen die historischen Hintergründe und Ursachen des Massenphänomens Fußball in Spanien aus? Für diese Entwicklung sind drei Klubs besonders hervorzuheben: der F.C. Barcelona, Real Madrid und Athletic Bilbao. Diese drei Klubs stehen wie keine anderen für die politisch-symbolische Aufladung des Fußballs und sind die einzigen – ob zufällig oder nicht –, die bis heute nie aus der ersten spanischen Liga abgestiegen sind.

Britische Bergarbeiter bringen den Fußball

Die enorme Bedeutung des Fußballs in Spanien ist eng mit den sozioökonomischen Veränderungen Spaniens im 20. Jahrhundert verknüpft. Wie in vielen anderen Ländern wurde der Fußball von Engländern und zum Teil auch von Schweizern importiert. Der erste Hinweis auf Fußball findet sich 1870 in Jerez, Andalusien. Britische Bergarbeiter der Kupfermiene Rio Tinto spielten dort in ihrer Freizeit Kricket und Football, wie die örtliche Tageszeitung „El Progreso“ schrieb.

Danach entwickelte sich der neue Sport in verschiedenen Regionen des Königreichs, vornehmlich an der Küste. Das Spiel begann als Randnotiz und löste erst in den 1950er Jahren den Stierkampf endgültig als größtes Massenphänomen ab. Der erste Fußballklub wurde schon 1889 in der kleinen westandalusischen Stadt Huelva als Recreation Club gegründet. Ein weiteres Zentrum für die Etablierung des Fußballs auf der iberischen Halbinsel war das Baskenland, das ebenfalls stark von Engländern, die als Geschäftsleute oder Studenten hierherkamen, beeinflusst war, was sich auch am Spielstil der baskischen Mannschaften zeigte.

Erst um die Jahrhundertwende gab es nennenswerte Vereinsgründungen in den beiden größten Städten Madrid und Barcelona. Atlético Madrid, spanischer Meister 2014, entstand beispielsweise 1903 als Ableger von Athletic Bilbao. Die Initiative zur Gründung des F.C. Barcelona 1899 ging vom Schweizer Immigranten Hans Gamper aus. 1898 hatte Spanien mit Kuba und den Philippinen die letzten bedeutenden Kolonien des einstmals weltumspannenden Reichs verloren. Dieser Verlust wurde als nationale Schande wahrgenommen und führte, ähnlich wie in anderen Ländern Europas, zur Aufladung des Sports als Symbol für nationale Stärke.

Zunächst war der Fußball in Spanien regional organisiert. Seit den 1920er Jahren jedoch zeichnete sich eine Professionalisierungswelle ab, begleitet von der Gründung einer landesweiten Liga, der primera division, und der Einführung des Berufsfußballs. Zuschauerzahlen und -einnahmen stiegen, Spiele gegen nicht regionale Kontrahenten konnten durch bessere und schnellere Transportmittel erst ermöglicht werden. Zugleich wurden so die regionalen Rivalitäten wirkungsmächtiger. Auch gab es in dieser Zeit schon Vorboten für das spätere Freund-Feind-Schema zwischen dem Zentrum Madrid und den wichtigsten sogenannten peripheren Nationalismen im Baskenland, in Katalonien und Galizien. Trotz anfänglicher Politisierung des Fußballs und der wechselseitigen Verschränkung mit staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen, war es nur ein Vorgeschmack auf die gesellschaftlichen Brüche und Konfliktlinien des 20. Jahrhunderts, die sich im Fußball widerspiegeln sollten.

Trotz anfänglicher Politisierung des Fußballs und der wechselseitigen Verschränkung mit staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen, war es nur ein Vorgeschmack auf die gesellschaftlichen Brüche und Konfliktlinien des 20. Jahrhunderts, die sich im Fußball widerspiegeln sollten.

Seit 1923 regierte Miguel Primo de Rivera Spanien mit einer Militärdiktatur, die von König Alfons XIII. geduldet wurde. Im Zuge der Zentralisierung wurden die historischen Sonderrechte Kataloniens beschnitten, um dem seit dem 19. Jahrhundert aufkeimenden katalanischen Nationalismus Einhalt zu bieten. Bei einem Freundschaftsspiel des F.C. Barcelona gegen den ebenfalls katalanischen Verein CD Jupiter 1925 war eine englische Marinekapelle anwesend, die die spanisch-königliche Hymne „Marcha Real“, aber auch die englische Hymne „God save the Queen“ spielte.

Auspfeifen der spanischen Hymne

Während die spanische Hymne von den katalanischen Zuschauern im Les Corts – dem Vorläufer des Camp Nou – ausgepfiffen wurde, applaudierten sie lautstark und demonstrativ, als die englische erklang. Dem F.C. Barcelona wurde daraufhin für ein halbes Jahr jegliche Aktivität untersagt, weswegen der aus der Schweiz stammende Präsident und Gründer Hans Gamper sogar in seine Heimat zurückkehrte.

Die Einführung der landesweiten Spielklasse und die gleichzeitige Unterdrückung der sogenannten peripheren Nationalismen – also neben Katalonien vor allem auch des Baskenlandes und Galiziens – führten zu stärkeren regional-nationalistischen Identitäten in den jeweiligen Regionen. Vor diesem Hintergrund schärfte sich das Profil Real Madrids als zentralspanischer Verein und seine gesamtspanische Identität gewann auch national an Ausstrahlung. Santiago Bernabéu, der 35 Jahre lang die Präsidentschaft des Vereins innehaben sollte, und daher als Inkarnation Reals gilt, soll in seiner aktiven Karriere jedes Tor seines Teams mit einem „Viva España!“ bejubelt haben.

Republik ohne Real

Mit der Ausrufung der Republik 1931 ging für die Vereine und Verbände zunächst der Titel Real verloren. Real Madrid hieß – wie bereits zur Gründung 1902 – ab sofort wieder Madrid Football Club. Unter der Republik wurde der Sport äußerst liberal gehandhabt. Den Sportverbänden wurde weitgehende Autonomie eingeräumt und sie waren nicht den staatlichen Institutionen untergeordnet.

Der franquistische Putsch im Sommer 1936 sollte alles verändern. Da der Vormarsch der Franco-Truppen im November 1936 vor den Toren Madrids gestoppt werden konnte, blieb die Hauptstadt ebenfalls bis zum Ende des dreijährigen Bürgerkriegs republikanisch. Wie in Barcelona übernahmen auch hier revolutionäre Kräfte der antifaschistischen Parteien die Macht. Für den Sport bedeutete dies die Eingliederung in die Federación Cultural Deportiva Obrera (Kulturföderation des Arbeitersports). Damit gelangten die Vereine, Stadien und die komplette Infrastruktur unter die Kontrolle der Gewerkschaften.

Auch der ehemals königliche Klub aus Madrid wurde so de facto zu einem „proletarischen“ Verein. Andererseits unterstützten die beiden wichtigsten Figuren der älteren Klubgeschichte – der schon genannte Bernabéu und der in den 1920er Jahren als bester Torwart der Welt bekannte Ricardo Zamora – ganz offen das Franco-Lager, Bernabéu sogar als Freiwilliger an der Front in Katalonien.

Während die republikanische Regierung aus Madrid nach Valencia floh, wurde der Sitz des spanischen Fußballverbands nach Barcelona verlegt. Andere Städte mit Erstligaklubs wie Sevilla oder Oviedo gerieten in die Zone der Putschisten. Mit Ausbruch des Bürgerkriegs war kein geregelter Spielbetrieb mehr möglich. Um den Vereinen weiterhin Einnahmen zu ermöglichen, wurde ab Oktober 1936 das Campeonato de Catalunya ausgetragen.

Eine Teilnahme des Madrid Football Clubs scheiterte am Veto des F.C. Barcelona, der den regionalen Charakter des Turniers dadurch aufgehoben sah, und vielleicht auch den zusätzlichen Konkurrenten ausschließen wollte. 2009 forderte der F.C. Barcelona, den 1937 gewonnenen Titel des Mittelmeermeisters (die Vereine aus Madrid und dem Baskenland hatten abgesagt) als offiziellen spanischen Meistertitel anzuerkennen – bis heute allerdings vergeblich. Der FC Sevilla hingegen darf sich mit dem Titel von 1939 schmücken, obwohl dieser Wettbewerb nur in der franquistischen Zone ausgetragen wurde.

Trotz des Krieges wurde also auf beiden Seiten Fußball gespielt und durch die jeweiligen Kriegsparteien in den Dienst genommen. Aus dem Baskenland machte sich eine Auswahl Euskadi auf den Weg durch die Welt, um für den Widerstand gegen die nationalen Truppen und für die baskische Regionalregierung zu werben.

Während des Spanischen Bürgerkriegs machte sich aus dem Baskenland eine Auswahl Euskadi auf den Weg durch die Welt, um für den Widerstand gegen die nationalen Truppen und für die baskische Regionalregierung zu werben.

Zwei Tage nach ihrer Abreise 1937 wurde Guernica, die heilige Stadt der Basken, durch die deutsche Legion Condor zerstört, im Sommer nahmen die franquistischen Truppen Bilbao ein. Die Mannschaft reiste durch Länder Lateinamerikas, nahm an der mexikanischen Liga teil und konnte diese sogar gewinnen. Kaum jemand aus der Delegation kehrte nach Spanien zurück, die meisten Spieler blieben in Mexiko und nahmen Angebote der dortigen Vereine an. Auch der F.C. Barcelona unternahm im Sommer 1937 eine Reise nach Nordamerika, um Geld einzuspielen. Nur acht der ursprünglich 20 Mann starken Delegation kehrten später zurück.

In der „nationalen Zone“ wurde 1937 als Gegenstück zum bestehenden republikanischen ein weiterer Fußballverband gegründet, um auch dort Normalität zu suggerieren. Die durchaus erfolgreichen Reisen der Katalanen und Basken und die positive Resonanz in der Welt erhöhte die Motivation der Aufständischen, ebenfalls via Fußball Propaganda zu betreiben, allerdings nur in den faschistischen „Bruderländern“ Portugal, Italien und Deutschland. Da die Fifa immer nur einen Verband pro Nationalstaat anerkannte, wurde weder eine republikanische noch eine franquistische Mannschaft zugelassen. Vor dem Hintergrund des scheinbar nicht mehr aufzuhaltenden Vormarsches der Franco-Truppen wurde dann kurze Zeit später der Fußballverband der „Nationalen“ als einziger Spaniens anerkannt.

Die Trikotfarbe der Nationalauswahl wurde vom klassischen Rot, das aber auch die Republik und den verhassten Kommunismus symbolisierte, zu einem franquistischen Blau revidiert. Damit wurde auf die blauen Uniformhemden der faschistischen Falange angespielt, die den Militärputsch von Beginn an mit ihren Milizen unterstützt hatte und 1937 zur Staatspartei erklärt wurde. Dass die Selección seit 1947 wieder im klassischen Rot auflief, ist auf die zeitlich parallel laufenden Versuche der Franco-Diktatur zurückzuführen, sich nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer faschistischen Ursprünge zu entledigen und sich als katholisch-autoritäres und antikommunistisches Regime zu präsentieren.

Symbol des Zentralismus

Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1939 und dem Sieg der Franquisten gab es Bestrebungen, unter dem Namen Aviación Nacional einen großen Hauptstadtklub als Symbol des Zentralismus und Gegenpol zu den erfolgreichen Mannschaften aus den Regionen zu gründen. Dazu sollte Real Madrid, das diesen Namen erst ab 1941 wieder zugesprochen bekam, mit dem Lokalrivalen Atlético Madrid verschmolzen werden. Zu diesem Zeitpunkt firmierte Atlético als Atlético de Aviación und wurde von der franquistischen Luftwaffe gesponsert. Diese war in Madrid extrem unbeliebt, hatte sie doch noch kurz zuvor die Hauptstadt – und hier vor allem die Arbeiterviertel – bombardiert. Nur durch die Uneinigkeit verschiedener Machtgruppen innerhalb des Regimes und der guten Beziehungen zur Spitze des „Neuen Staats“ konnte sich Real dieser Übernahmeversuche erwehren.

Das franquistische Regime stand den republikanischen Institutionen naturgemäß äußerst feindlich gegenüber. Dies galt nicht zuletzt für die Fußballvereine aus der ehemals republikanischen Zone. In der ersten Ausgabe der Marca vom Oktober 1938 beschrieb der Sportjournalist und baskische Falangist Jacinto Miquelarena den Fußball in der Zeit der Zweiten Republik als eine „rote Orgie regionaler Leidenschaften der niederträchtigsten Art […]. Fast alle waren Separatisten – auf sehr ungehobelte Art –, wenn Spiele um die spanische Meisterschaft ausgetragen wurden.“

Die neuen Machthaber strukturierten den Sport nach italienischem und deutschem Vorbild im Sinne einer faschistischen Sportideologie um. Sport sollte der nationalen Ertüchtigung und der Vorbereitung auf mögliche Kriege dienen.

Sport sollte der nationalen Ertüchtigung und der Vorbereitung auf mögliche Kriege dienen.

Der neue Präsident des spanischen Fußballverbands und Oberstleutnant der Armee, Julián Troncoso, bezog sich dann auch auf die Rolle des Sports zur Wiedererlangung nationaler Größe, als er 1939 verlauten ließ: „Wir müssen uns alle an die Idee gewöhnen, dass in Zukunft der Sport keine Freizeitbeschäftigung mehr ist, sondern ein notwendiges Mittel, um die Männer dieses Landes zu stärken und auf gewisse Einsätze vorzubereiten, wann immer sie dafür gebraucht werden.“ Entsprechend wurde der Sport der Kontrolle der Falange, der faschistischen Staatspartei, unterstellt.

Mit der Delegación Nacional de Deportes wurde eine nationale Sportbehörde, vergleichbar mit dem NS-Reichsbund für Leibesübungen, geschaffen, die dem als Kriegsheld verehrten General José Moscardó unterstellt war. Mit diesen institutionellen Umstrukturierungen ging eine „Hispanisierung“ – de facto eine Assimilierung der peripheren Nationalismen unter den Zentralstaat – des spanischen Fußballs einher. Der Fútbol Club Barcelona musste sich nun Club de Fútbol, Sporting Gijón Deportivo Gijón nennen. Aus dem Madrid Football Club wurde zunächst der Madrid Club de Fútbol. Die Falange versuchte über nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens Einfluss zu gewinnen, so auch im Sport. Das neue Regime sicherte sich die nötige Kontrolle über den Fußball mit der Mindestanzahl von zwei Falange-Mitgliedern in jedem Vereinsvorstand.

Copa del Generalísimo

Real Madrid war nach dem Bürgerkrieg zunächst alles andere als erfolgreich. Zwar gewann der Verein zwei Mal die Copa del Generalísimo, wie der spanische Pokalwettbewerb nun hieß. 1943 und 1948 konnte der Abstieg in die Zweitklassigkeit nur knapp verhindert werden. In dieser Phase waren andere Mannschaften deutlich erfolgreicher als der spätere Serienmeister aus Madrid. Die Polarisierung zwischen Real Madrid und dem F.C. Barcelona ist auf diese Zeit zurückzuführen. Dabei wird vor allem das Pokalspiel 1943 immer wieder als endgültiger Auslöser genannt.

Nachdem Barça das Hinspiel zu Hause mit 3:0 gewann, fertigte Real den Konkurrenten aus Katalonien in Madrid mit 11:1 ab. Vor dem Spiel sollen Polizeibeamte in die Kabine Barcelonas eingedrungen sein und die Spieler unter Druck gesetzt haben. Im weiteren Verlauf führten nicht nur umstrittene Schiedsrichterentscheidungen und der Wechsel Alfredo di Stéfanos, der schon einen Vertrag bei Barça unterschrieben hatte, aber dann doch zu Real wechselte, zur Verschärfung des Konflikts.

Darüber hinaus sorgte das Auftreten von Santiago Bernabéu für Empörung, der seit dem Kriegseinsatz an der katalonischen Front für viele Barça-Fans eine Persona non grata war. Über die Katalanen soll sich Bernabéu nach dem verlorenen Pokalfinale Reals gegen Barça 1968 wie folgt geäußert haben: „Ich bewundere Vila Reyes [Vorsitzender von Espanyol Barcelona]; allein für die Tatsache, in Katalonien einem Verein vorzusitzen, der den Namen Espanyol trägt, verdient er Bewunderung. Und wer behauptet, ich möge Katalonien nicht, der irrt sich. Ich liebe und bewundere es, trotz der Katalanen.“

Für manche Anhänger des F.C. Barcelona waren solche Aussagen natürlich ein gefundenes Fressen, denn nur über das Feindbild Madrid konnten sie ihr Profil als katalanischer und – zumindest ihrem Selbstverständnis nach – oppositioneller Klub, auch in der Rückschau auf die Jahre der Diktatur, schärfen. Allerdings sollte diese antifranquistische Selbstdarstellung auch nicht überbewertet werden. Der langjährige Präsident des F.C. Barcelona Miró-Sans war beispielsweise dem Franco Regime gegenüber nicht abgeneigt und pflegte durchaus freundschaftliche Beziehungen zur Spitze Real Madrids.

Bernabéus Verein Real Madrid wurde seit dem 11:1-Sieg von 1943 häufig als „der Klub Francos“ dargestellt. Und tatsächlich gab es eine enge Verschränkung zwischen dem Verein und bestimmten Repräsentanten des Regimes. Zwar war dies auch bei anderen Vereinen der Fall. Dennoch übernahm Real Madrid insbesondere ab Mitte der 1950er Jahre gewisse Aufgaben des Staats, die dieser nicht hätte leisten können. Nach 1945 war Spanien nämlich von den Vereinten Nationen als faschistisches Land eingestuft und von all seinen Organisationen ausgeschlossen worden. Lediglich zu einer Handvoll Staaten pflegte es diplomatische Beziehungen und war darüber hinaus zwischen Siegern und Besiegten des Bürgerkriegs extrem gespalten.

Nach 1945 war Spanien von den Vereinten Nationen als faschistisches Land eingestuft und von all seinen Organisationen ausgeschlossen worden.

In diesen Zeiten von Hunger und Entbehrung wurde der Fußball für Teile der Bevölkerung zu einer gern gesehenen Ablenkung vom Alltag. Durch die Zuschauereinnahmen und Auslandsreisen konnten teure Stars wie Alfredo Di Stéfano 1953 oder Ferenc Puskas 1956 bezahlt werden. Und noch eine weitere Einnahmequelle tat sich auf: 1955 beteiligte sich Real Madrid aktiv an der Gründung des Europapokals der Landesmeister, der heute als Champions League bekannt ist, und gewann die ersten fünf Austragungen dieses Wettbewerbs.

Hunger und Spiele

Die 1940er und 1950er Jahre standen innenpolitisch im Zeichen einer spanischen Nationalisierung. Das siegreiche franquistische Regime versuchte in diesem Zusammenhang auch den Sport als staatlichen Hebel für die zentral-nationale Integration und politische Sozialisierung, vor allem gegenüber den jüngeren Generationen, nutzbar zu machen. Separatistischen Bestrebungen sollte ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben werden. Katalonien und das Baskenland wurden der Loyalität zur Republik beschuldigt und mit der Aberkennung historischer Sonderrechte bestraft. Jedoch funktionierte die Unterordnung unter den Zentralstaat nicht durch die völlige Ausschaltung der regionalen Identitäten, sondern durch deren Manipulation. Das bedeutete den Verlust der historisch verbrieften Sonderstellung, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung regionaler Traditionen als Bild der Vielfalt des eigentlichen – und das bedeutet kastilischen – Spaniens.

Diese Politik spiegelt sich auch auf sportlicher Ebene wider. So setzte der Verband am 16. März 1941 zwei Spiele am selben Tag an: In Madrid spielte eine kastilische Regionalauswahl gegen eine katalanische, während die Nationalmannschaft in Bilbao gegen das portugiesische Nationalteam antrat. So sollte auch durch den Sport die Unterordnung, nicht die Tilgung, der regionalen Traditionen unter das Gesamtspanische deutlich gemacht werden.

Real Madrid wurde in den 1950er Jahren mehr und mehr als „das“ spanische Team wahrgenommen und damit zur Projektionsfläche für eine gesamtspanische Identität. Für die sportlichen Rivalen in Spanien verfestigte sich mit den internationalen Erfolgen Reals die Überzeugung, dass hinter dem Verein der ganze Machtapparat des Staats stand.

Das spanische Außenministerium verbot der Selección 1948, ‚Spiele mit nichtbefreundeten Nationen zu bestreiten, in denen ein kalkulierbares Risiko zur Niederlage‘ bestand.

Die vermehrte Wahrnehmung Reals als der spanische (Fußball-)Botschafter in der Welt resultierte zum einen daraus, dass sich die spanische Nationalmannschaft nur für die Weltmeisterschaft 1950 und dann erst wieder 1962 qualifizieren konnte. Eine Europameisterschaft wurde erst ab 1960 ausgespielt.

Zum anderen trug die spanische Nationalmannschaft in den Jahren der internationalen Isolation nur sehr wenige Freundschaftsspiele aus. Grund dafür war unter anderem, dass das spanische Außenministerium der Selección 1948 verboten hatte, „Spiele mit nichtbefreundeten Nationen zu bestreiten, in denen ein kalkulierbares Risiko zur Niederlage“ bestand. Für Vereine galt diese Regelung zwar nicht. Dennoch mussten sie sich beim Außenministerium eine Erlaubnis für auswärtige Partien einholen, die dann anschließend in enger Kooperation mit dem Ministerium vorbereitet wurden.

Über den Autor
Julian Rieck
Historiker und Bildungsreferent

Julian Rieck ist Historiker und Bildungsreferent. Er hat das Forschungsprojekt „Kein Brot, nur Spiele – Die Geschichte Real Madrids in den 50er und 60er Jahren“ unternommen. Weitere Schwerpunkte seines akademischen Interesses liegen auf der spanischen Geschichte, vor allem Bürgerkrieg und Franco-Diktatur, Geschichte und Gegenwart der „historischen Nationen“ Katalonien, Baskenland und Valencia, Erinnerungskultur, Diktaturforschung und Geschichte des Fußballs.

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