Illustration zeigt zwei Männer, die Fußball spielen.

Ventil für gesellschaftliche Spannungen

Ob unter Franco oder heute: In Spanien dient der Fußball auch dazu, die nationalen Gefühle von Basken, Katalanen, Galiziern und Valenzianern zu kanalisieren, und so als Ventil für gesellschaftliche Spannungen zu wirken.

Während der Frühphase der Franco-Diktatur war das Fußballstadion einer der wenigen öffentlichen Orte, an denen die sonst verbotenen Sprachen gesprochen werden konnten. Parallel zur vorsichtigen Auflockerung der Sprachenpolitik Anfang der 1960er Jahre übermittelt dann die Vereinszeitung Barças schon 1960 die Neujahrswünsche in Katalanisch.

Gleichzeitig sollte der Fußball die Bevölkerung davon abbringen, sich politisch zu betätigen. So wurden vornehmlich Spiele am 30. April oder am 1. Mai ausgetragen, um mögliche Arbeiterproteste zu verhindern. Vicente Calderón, damals Präsident von Atlético de Madrid, beschrieb diese erhoffte entpolitisierende Funktion des Fußballs 1969 in einem Fernsehinterview in seinen ganz eigenen Worten: „Hoffentlich verdummt der Fußball das Land und hoffentlich denken sie [die Menschen] an den Fußball drei Tage vor und drei Tage nach dem Spiel. So denken sie nicht an gefährliche Dinge.“ In vielen Stadien wurden am „Tag der Arbeit“ zudem die Olimpiadas Sindicales, also eine spanische Gewerkschaftsolympiade abgehalten.

Narkotisierender Fußball

Fraglich bleibt dabei, ob diese Politik der nationalen Integration und der Versuch, die Bevölkerung durch Fußball quasi zu narkotisieren, auch ihre Wirkung entfaltete. Es ist eher zu bezweifeln, dass mit Hilfe von Fußballspielen oppositionelle Aktivitäten eingedämmt oder gar ganz unterbunden werden konnten. Auch gab es natürlich eine Vielzahl von Oppositionellen, die nichts mit Fußball oder Sport zu tun hatten, und von solchen Maßnahmen gar nicht erreicht wurden, oder solche Veranstaltungen aus genau den beschriebenen Gründen mieden.

In Bezug auf die nationale Identitätsstiftung durch Real Madrid ist die Tatsache erwähnenswert, dass auch ausländische Spieler wie der gebürtige Argentinier Alfredo Di Stéfano, der Ungar Ferenc Puskas oder der Brasilianer Didi beziehungsweise Fußballer aus anderen Regionen Spaniens wie der baskische Torhüter Ariquistáin akzeptiert wurden, wenn sie sich dem Madridismo verpflichteten. Puskas erklärte 1966 sogar im Fernsehen, dass er bei dem Referendum über das letzte der franquistischen Grundgesetze, der ley orgánica mit „Ja“ stimmen würde.

Die Abstimmung wurde vom Regime als Plebiszit für Franco und die Diktatur inszeniert und bedeutete die endgültige institutionelle Verankerung des Regimes. Nach außen hin gerierte sich Real durch seine ausländischen Spieler – und hier vor allem durch den Exil-Ungarn und Antikommunisten Puskas – sogar als kosmopolitisch und gab Spanien den Anschein eines freien und weltoffenen Landes. Für manche Träger des franquistischen Staats war Athletic de Bilbao auf Grund seiner Direktive, nur baskische Spieler aufzunehmen, sogar eher die spanische Mannschaft. Auch Franco soll den baskischen Club für die „Reinhaltung des Blutes“ bewundert haben, auch wenn er das aufgrund des baskischen Separatismus natürlich nicht öffentlich äußern konnte.

Fußballerische Kreuzritter

Nach dem Pokalgewinn des F.C. Barcelona 1953 gegen Athletic Bilbao in Madrid fabulierte der spanisch-philippinische Journalist Eduardo Teus dafür umso offener über das kulturelle, religiöse und sprachliche Konstrukt der „Hispanidad“, das etwas anders konnotiert ist als die auf Blutsbande abzielende „Rasse“ im deutschen Sprachgebrauch: „Die raza española lässt sich fußballerisch mit den Kreuzrittern von Athletic de Bilbao zusammenfassen, ein spanischer Club schlechthin, ohne Ausländereien... Der F.C. Barcelona wollte sich nicht dem spanischen Wesen anpassen und zog es vor, eine internationale Mannschaft zu formieren, ein Wort, das uns so viele verkommene Dinge ins Gedächtnis zurückruft.“

 Mit „verkommenen Dingen“ waren die politischen Theorien von Liberalismus und Kommunismus gemeint, die in der franquistischen Ideologie als unspanisch angesehen wurden und angeblich nur durch das Ausland eingeschleppt worden seien. Im zum „Kreuzzug“ erhöhten Bürgerkrieg sollten diese Ideen von den „Nationalen“ aus Spanien vertrieben werden.

Trotz des einen oder anderen Spielers nichtspanischer Herkunft war die Außenwirkung Real Madrids vor allem bei den Auslandreisen von größerer Bedeutung für das Regime. Nicht etwa, weil Franco die Funktionäre Reals dazu gedrängt oder einen größeren Plan mit dem Sport verfolgt hätte. Vielmehr nutzte das Regime die Möglichkeiten zur internationalen Inszenierung, die sich durch die Teilnahme und die Erfolge Reals boten. Rückblickend beschrieb der spanische Journalist Alex Botines 1975 die Rolle Reals während der Diktatur so: „Real Madrid war jahrelang die Mannschaft, die dem Franco-Regime als wichtigste Stütze diente. Der Klub führte dem ganzen Kontinent die Wichtigkeit eines Landes vor Augen, das sich im Vergleich zum übrigen Europa – aus der Not geboren und selbst gewählt – verspätet entwickelte. Angesichts unserer Unterentwicklung war Real Madrid eine Ausnahme, die uns im Ausland mit hoch erhobenem Kopf zeigte.“

Trotz des einen oder anderen Spielers nichtspanischer Herkunft war die Außenwirkung Real Madrids vor allem bei den Auslandreisen von größerer Bedeutung für das Regime.

Botines sprach hier aus, was viele Spanier in den 1950er und 1960er Jahren vor allem umtrieb: Die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes, die Angst, aufgrund der faschistischen Diktatur nicht zum „modernen“ Europa zu gehören, und die Sehnsucht, nach dem Bürgerkrieg und der internationalen Ächtung endlich wieder den Kopf ein wenig höher zu tragen. Dem deutschen Leser werden hier sicherlich Assoziationen zum Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 und der Formel „Wir sind wieder wer“ kommen.

Darüber, dass Real Madrid eine Botschafter-Rolle für Spanien einnahm, war man sich in der franquistischen Herrschaftselite durchaus bewusst. So drückte sich der Generalsekretär der Falange, José Solíus Ruiz, im Jahre 1959 pathetisch aus: „Ihr habt viel mehr geleistet als die zahlreichen, weitverstreuten Botschaften der Völker Gottes. Menschen, die uns einst hassten, verstehen uns heute dank euch, weil ihr viele Mauern eingerissen habt.“ Zu jeder Auslandsreise gehörte für den einflussreichen Funktionär Real Madrids, Raimundo Saporta, eine Schallplatte mit der spanischen Hymne und eine spanische Flagge mit ins Gepäck, damit es ja zu keiner diplomatischen Panne kam. Eine solche hatte es beispielsweise am 12. Mai 1955 bei einer Freundschaftspartie des galizischen Vertreters Celta de Vigo beim FC Toulouse gegeben.

Fluchtpunkt Toulouse

In Toulouse lebten tausende exilierte Spanier, hier fanden auch Parteitage von in Spanien verbotenen linken Gruppierungen wie der Sozialdemokratie statt. Vor dem Spiel sollen Zuschauer die republikanische Hymne Himno de Riego gespielt und republikanische Flaggen statt der franquistischen gezeigt haben, ohne dass der Klub protestiert hätte. Auf solche Fälle wollte Saporta also vorbereitet sein. Er war es auch, der 1963 mit der heiklen Aufgabe betraut wurde, den reibungslosen Ablauf der beiden Begegnungen der Basketballabteilung Reals gegen ZSKA Moskau – dem ersten offiziellen Kontakt zwischen beiden Ländern seit dem Bürgerkrieg – zu garantieren.

Noch 1960 hatte der spanische Innenminister die Reise der spanischen Fußballnationalmannschaft nach Moskau im Rahmen der erstmals ausgetragenen Europameisterschaft verhindert, was durch die offene Einmischung der Politik in die Sache des Sports international für Empörung sorgte.

Real Madrid war ein gern gesehener Gast für internationale Freundschaftsspiele. Für die außenpolitischen Interessen des Franco-Regimes sie aus zwei Gründen wichtig: Hier konnte viel Geld verdient werden und gleichzeitig erstatteten die Vereinsfunktionäre nach jeder Reise dem spanischen Außenministerium Bericht über die Lage in den bereisten Ländern. Bei den Spielen in der Sowjetunion und in Jugoslawien wurden auf diesem Wege sogar erste informelle Kontakte mit Ländern hergestellt, zu denen keine diplomatischen Beziehungen bestanden.

Oppositionelle unterschieden übrigens sehr wohl zwischen ihrer Fußballleidenschaft und dem Versuch des Regimes, den Fußball zu instrumentalisieren. Teilweise wurde die franquistische Imagepolitik auch zum Bumerang für das Regime, wenn Spiele von Real Madrid im Ausland für politische Proteste gegen das Franco-Regime genutzt wurden. Als die internationalen Erfolge Reals im Laufe der 1960er Jahre ausblieben und sich durch die allgemeine Entspannungspolitik die internationalen Beziehungen zeitgleich normalisierten, war das Regime nicht mehr an Akteuren alternativer Außenpolitik interessiert, da es jetzt über herkömmliche Wege der Diplomatie verfügte.

Für die außenpolitischen Interessen des Franco-Regimes waren internationale Freundschaftsspiele Reals aus zwei Gründen wichtig: Hier konnte viel Geld verdient werden und gleichzeitig erstatteten die Vereinsfunktionäre nach jeder Reise dem spanischen Außenministerium Bericht über die Lage in den bereisten Ländern.

Auch wenn Santiago Bernabéu immer betonte, dass er und „sein“ Klub nicht dem Regime, sondern den Menschen und Spanien dienten, profitierte Real natürlich auch von der engen Verbindung zur Diktatur. Dabei ging es vor allem um kleinere und größere Gefälligkeiten wie die Beschleunigung von bürokratischen Arbeitsschritten und Einbürgerungen für ausländische Spieler. Weitere Vorteile waren Hilfe bei Interessenskonflikten mit den Verbänden und natürlich eine positive Berichterstattung in den staatlichen Medien. Hinzu kommt der prominente Zugriff auf Luxusgüter. Aufgrund der internationalen Isolierung im ersten Nachkriegsjahrzehnt war beispielsweise der Autoverkauf strengen Reglementierungen unterworfen. Spieler wurden mit Luxuswagen gelockt, von denen normale Bürger nicht einmal zu träumen wagten.

Hissen der katalanischen Fahne

In der Spätphase der Diktatur seit den frühen 1970er Jahren nutzten insbesondere der F.C. Barcelona und Athletic Bilbao die „Bühne Fußball“, um sich politisch zu positionieren. Noch vor Francos Tod 1975 wurde bei Spielen im Campo Nou offiziell die katalanische Fahne gehisst und der Kapitän trug die katalanischen Farben als Binde. Der 5:0-Sieg von Barça gegen Real 1974, der dem katalanischen Club zur ersten Meisterschaft seit 1960 verhalf, wurde zum politischen Fanal und symbolisierte für manche Zeitzeugen das Ende der Diktatur.

Nur wenige Wochen vor Francos Tod liefen die Spieler von Athletic Bilbao bei einem Ligaspiel im Oktober 1975 mit Trauerflor auf. Nach außen argumentierten sie, dass sie damit an den Todestag eines Vereinsmitglieds erinnern wollten. Dennoch war vermutlich jedem klar, dass es ein stiller Protest gegen die Todesurteile des sich bereits in Agonie befindlichen Regimes war, gegen deren Vollstreckung unter anderem auch der Papst interveniert hatte. Im Dezember 1976 trugen beim Baskenderby zwischen San Sebastián und Bilbao die Kapitäne gemeinsam die weiterhin verbotene baskische Fahne, die Ikurriña, vor sich her und demonstrierten damit umso offener für die während der Diktatur unterdrückten Sonderrechte der Basken.

Bis heute spielt die öffentliche Wahrnehmung der Vereine aus Madrid, Barcelona und Bilbao in der Franco-Diktatur eine wichtige Rolle, wenn es um Sympathien aber auch die politische Bedeutung der Klubs geht. Bei Athletic Bilbao sind zwar immer noch ausschließlich gebürtige Basken unter Vertrag, wie etwa der aus seiner Zeit bei Bayern München bekannte Bixente Lizerazu aus dem französischen Teil des Baskenlandes. Aktuell steht mit Iñaki Williams ein in Bilbao geborener Sohn afrikanischer Eltern im Kader. Hier zeigt sich also eine stetige Aufweichung der Vereinspolitik durch die Anpassung an die Gegebenheiten der Globalisierung.

Im Oktober 2012 demonstrierten Barça Fans während des clásico gegen Real Madrid genau in Minute 17:14 für die Unabhängigkeit vom spanischen Staat. Sie erinnerten damit an das Ende des Spanischen Erbfolgekriegs 1714, in dem das Königreich Aragón, zu dem die Grafschaft Barcelona damals gehörte, seine Sonderrechte verlor. Mit dieser Manifestation für ein autonomes Katalonien erzielten die Separatisten eine nie dagewesene Medienwirksamkeit für ihre Sache.

Barças Verteidiger Gerald Piqué feierte neben den Erfolgen mit seinem Klub auch die Titel der spanischen Nationalelf bei Welt- und Europameisterschaften mit der katalanischen Flagge, was ihm in spanischen Stadien häufig mit Pfiffen und Anfeindungen quittiert wird. Der Stürmer David Villa feierte den Weltmeistertitel 2010 hingegen mit einer asturischen Fahne und löste damit keine vergleichbaren Reaktionen der Fußballfans aus, sondern galt ganz im Gegenteil als besonders spanisch.

Der bis Sommer 2016 als Trainer von Bayern München beschäftigte Pep Guardiola kandidierte bei den katalanischen Regionalwahlen Ende September 2015 auf der Liste des separatistischen Wahlbündnisses Junts pel Si (Zusammen für das Ja). Anfang 2016 konnte dort erstmals seit dem Ende der Diktatur eine Regionalregierung zusammengestellt werden, die einen konkreten Plan für die Unabhängigkeit entwerfen möchte. Was das für eine mögliche Mitgliedschaft eines von Spanien losgelösten Kataloniens in der EU oder den Verbleib des F.C. Barcelona in der spanischen Liga bedeuten würde, ist heute noch nicht abzusehen.

Der Fußball konnte dazu dienen, die nationalen Gefühle [...] zu kanalisieren und so als Ventil für gesellschaftliche Spannungen wirken. Während der Frühphase der Diktatur war das Fußballstadion einer der wenigen öffentlichen Orte, an denen die sonst verbotenen Sprachen gesprochen werden konnten.

Auf europäischer Ebene droht Madrid ein Aufnahmegesuch Kataloniens in die EU zu blockieren. Vielleicht könnte Barça ähnlich wie der A.S. Monaco als nicht französischer Verein an der Ligue 1 teilnehmen. Sportlich und emotional wäre dies für die Attraktivität der spanischen Liga, wie für den F.C. Barcelona, alles andere als eine gute Perspektive.

Über den Autor
Julian Rieck
Historiker und Bildungsreferent

Julian Rieck ist Historiker und Bildungsreferent. Er hat das Forschungsprojekt „Kein Brot, nur Spiele – Die Geschichte Real Madrids in den 50er und 60er Jahren“ unternommen. Weitere Schwerpunkte seines akademischen Interesses liegen auf der spanischen Geschichte, vor allem Bürgerkrieg und Franco-Diktatur, Geschichte und Gegenwart der „historischen Nationen“ Katalonien, Baskenland und Valencia, Erinnerungskultur, Diktaturforschung und Geschichte des Fußballs.

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