Eine Nation aufbauen, eine Nation zerstören?

In der wissenschaftlichen Literatur ist viel über Sport und Nationenbildung zu lesen. Weniger über seine eher destruktive Seite: als bedeutender sozialer Faktor beim Zerfallsprozess eines Staates. Der Jugoslawische Bürgerkrieg begann im Fußballstadion.

Sowohl unter Akademikern als auch in der Öffentlichkeit ist eine Vorstellung weithin akzeptiert: Sport als elementares Ritual der Populärkultur, welches das Konzept der Nation als „vorgestellter Gemeinschaft“– ein Begriff, den der amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson geprägt hat – fortführt. Sport ist ein gesellschaftliches Umfeld, das soziale Axiome, Werte und Normen beinhaltet und diese (re-)produziert. Insbesondere im Hinblick auf die nationale Vorstellung fungiert der Sport als symbolisches (und tatsächliches) Umfeld, in dem alle Komplexitäten der „Nation“ auf konkretere und besser verträgliche Einheiten reduziert werden können. Bekanntermaßen bemerkte der Historiker Eric Hobsbawm einmal, dass die vorgestellte Gemeinschaft so viel „realer“ ist, wenn sie durch elf namentlich benannte Spieler repräsentiert wird, die mit ihrer Leistung die Nation symbolisch verkörpern.

Im Hinblick auf den modernen Nationalismus bezieht sich der Begriff „Sportiver Nationalismus“ auf das Argument, dass der Sport am stärksten dadurch ideologisch an Boden gewinnt, dass er ein scheinbar „wahrer“ und „unverfälschter“ Ausdruck von Patriotismus und leidenschaftlichem Nationalismus ist. Es legt fest, dass diese wahre Unterstützung der Nation nicht verbunden ist mit offiziellen, durch die Regierung genehmigten Ausdrucksformen nationaler Zugehörigkeit. Diese Ambivalenz wird versinnbildlicht durch die Möglichkeit des Sports, zwischen Legitimator und Konkurrent politischer Autorität und den politischen Repräsentanten der „Nation“ zu oszillieren. Und es lohnt sich, eben diesen Raum ideologischer Ambivalenz in den Blick zu nehmen. Während sich also ein großer Teil der wissenschaftlichen Literatur zu Sport und Nationalismus mit der Rolle des Sports in Prozessen der Nationenbildung beschäftigt, richtet sich viel weniger Aufmerksamkeit auf seine eher destruktive Seite: als bedeutender sozialer Faktor beim Zerfallsprozess eines Staates.

Nationaler Motor

Die Geschichte des Sports im späten sozialistischen Jugoslawien ergibt eine interessante Fallstudie, die sowohl integrierende als auch zersetzende Potenziale, insbesondere des Fußballs, zeigt. In den späten 1980er Jahren und besonders in den frühen 1990er Jahren verdeutlichte der jugoslawische Fußball die strukturelle Krise, in der sich das Land wiederfand. Neben einigen schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen, Hyperinflation und einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, verschärfte die Unfähigkeit der jugoslawischen politischen Eliten, die anfänglich ökonomische Krise zu lösen, soziale Probleme. Diese wurden begleitet von einem Aufschwung nationalistischer Politik und Forderungen nach stärkerer Autonomie in einigen Republiken der sozialistischen Föderation. Die zunehmende Politisierung des Alltags „von oben“ spiegelte sich im Bereich des Sports durch eine Politisierung der Zuschauer „von unten“.

Die soziale Arena

Zu dieser Zeit verkam der jugoslawische Fußball zu einem umstrittenen Raum, in dem Anhänger offene Loyalitäten zu bestimmten jugoslawischen Nationalitäten zeigten und Gewalt gegen andere ethnische Gruppen propagierten; ein Tabu innerhalb der sozialistischen Föderation, in der die Ideologie der „Bruderschaft und Einheit“ immer noch eine zentrale Säule des politischen Selbstverständnisses darstellte. Das „Stadion“ verwandelte sich in eine soziale Arena, in der politisch aufgeladene Slogans und andere Arten nationalistischer Requisiten zum dominierenden Anblick bei Fußballspielen in der Föderation wurden. Die Anonymität des Stadions erschwerte die strafrechtliche Verfolgung illegaler Nationalflaggen, politischer Botschaften, Lieder oder Banner, womit die Stadien de facto einen rechtsfreien Raum politischer Radikalisierung darstellten.

Im gegenseitigen Wettstreit und in der Verschärfung des radikalisierten politischen Diskurses versinnbildlichte die sich wiederholende symbolische und tatsächliche Gewalt die in dieser Zeit zunehmend fragile Lage der jugoslawischen Föderation.

Trotz allem blieb dieses Phänomen vor allem innerhalb einer marginalisierten sozialen Gruppe sichtbar: den Fußballfans. Oder, um die Terminologie des Soziologen Srdjan Vrcan zu nutzen, den jugoslawischen „Fußballfan Stämmen“. Im gegenseitigen Wettstreit und in der Verschärfung des radikalisierten politischen Diskurses versinnbildlichte die sich wiederholende symbolische und tatsächliche Gewalt die in dieser Zeit zunehmend fragile Lage der jugoslawischen Föderation. Innerhalb sehr kurzer Zeit wurde der Fußball zu einem der wichtigsten Werkzeuge für die Mobilisierung nationalistischer Ideologie und zu einem interessanten gesellschaftlichen Umfeld, während Jugoslawien zerfiel.

Ein bemerkenswerter Vorfall sticht besonders heraus, wenn man über die jugoslawische Sportgeschichte spricht und erregt seit mehr als 25 Jahren ein anhaltendes öffentliches und wissenschaftliches Interesse: die Randale im Maksimir vom 13. Mai 1990. Es war der Tag, an dem die „ewigen Rivalen“ in der jugoslawischen Fußball-Liga Roter Stern Belgrad und Dinamo Zagreb im Zagreber Stadion Maksimir zusammenstießen.

Statt sportliche Rivalitäten zur Schau zu stellen, artete das Spiel in Chaos aus und musste wegen gewalttätiger Zusammenstöße zwischen den zwei gegnerischen Fan-Blöcken ausgesetzt werden. Sogar heute wird dieser Vorfall im post-jugoslawischen Raum allgemein als der symbolische Tag bezeichnet, an dem die Auflösung des sozialistischen Jugoslawiens ihren Anfang nahm, oder als „der Tag, an dem der Krieg begann“.

Die weltweite Faszination für die Randale im Maksimir, die sich in zahllosen wissenschaftlichen und anderen Veröffentlichungen manifestiert, die für gewöhnlich zu den Jahrestagen produziert werden, lässt sich durch eine Zahl von CNN zusammenfassen. 2011 schlug das Presseorgan vor, dieses Spiel wegen seines gewaltigen Ausmaßes und seiner historischen Bedeutung als eines von fünf Fußballspielen zu listen, das „die Welt verändert hat“.

Sogar heute wird dieser Vorfall im post-jugoslawischen Raum allgemein als der symbolische Tag bezeichnet, an dem die Auflösung des sozialistischen Jugoslawiens ihren Anfang nahm, oder als „der Tag, an dem der Krieg begann“.

Das Timing des Spiels war in der Tat historisch. Es fand nur zwei Wochen nach der ersten demokratischen Wahl in der immer noch sozialistischen Republik Kroatien statt, in der die für Unabhängigkeit eintretenden nationalistischen Kräfte um Franjo Tudjman und seine „Kroatische Demokratische Union (HDZ)“ die Wahlen gewannen. Die politische Landschaft Jugoslawiens veränderte sich rapide, was durch globale Entwicklungen und die fortwährende politische Krise im Inneren noch beschleunigt wurde. Für Unabhängigkeit eintretende und nationalistische politische Kräfte bekamen in der ganzen Föderation immer mehr Auftrieb und institutionalisierten ihre politische Macht.

Das mit Spannung erwartete Spiel eskalierte und es kam zu wilden Stadion- und Straßenkämpfen, bei denen die Unterstützer – die Delije von Roter Stern Belgrad und die Bösen Blauen Jungs von Dinamo Zagreb – gewaltsam zusammenstießen. Interessanterweise wurden die Delije angeführt vom künftigen serbischen Kriegsverbrecher und paramilitärischen Anführer Željko Ražnatović, genannt „Arkan“.

Obwohl es im Laufe des Nachmittags mehrere kleinere Vorfälle auf Zagrebs Straßen gegeben hatte, wurde es den gegnerischen „Fan-Stämmen“ erlaubt, das Stadion zu betreten, das laut der Darstellung jugoslawischer Kommentatoren in den Medien eher wie eine Gladiatorenarena aussah als wie ein Fußballstadion. Sobald die Tribünen betreten worden waren und die Gruppen ihre Position eingenommen hatten, begannen sie, höchst politische und ethnisch-religiös beleidigende Banner und Flaggen auszutauschen und Sprechchöre anzustimmen. Kurz darauf begannen die Delije, Teile des Stadions zu zerstören; ein ziemlich übliches Vorgehen unter „Fan-Stämmen“ des Fußballs, die versuchen, gegnerische Fans zu „demütigen“, indem sie ihren Identifikationsraum auf frevelhafteste Weise zerstören. Ihre Aktion zog unmittelbare, aber kleinere körperliche Auseinandersetzungen mit Unterstützern von Dinamo in den südlich gelegenen Tribünen des Stadions nach sich.

Die Konfrontation eskalierte jedoch kurz darauf, als andere Böse Blaue Jungs sich dazu entschlossen, sich den anderen Anhängern anzuschließen. Es folgte eine Stunde Chaos, in der die Bösen Blauen Jungs die Zäune durchbrachen und heftig mit den Delije wie auch mit Polizeikräften auf dem Spielfeld kämpften. Die zahlenmäßig völlig unterlegene und schlecht organisierte föderale Polizei konnte nicht verhindern, was zu den schlimmsten Randalen in der jugoslawischen Sportgeschichte werden sollte – durch das Fernsehen live übertragen in der gesamten Föderation.

Pantheon nationaler Helden

Sogar innerhalb dieser außergewöhnlichen Umstände gab es einen Moment, der herausstach. Als noch immer das Chaos regierte, stürmte einmal der 19-jährige Kapitän von Dinamo Zagreb, Zvonimir Boban, aufs Spielfeld, um einem Anhänger von Dinamo zu helfen, der gerade von Polizeikräften geschlagen wurde. Durch den Einsatz eines inzwischen mythischen Kung-Fu-Tritts gegen einen jugoslawischen Polizeibeamten erfasste Boban, der später als Fußballer des AC Milan Weltruhm erlangte, deutlich die Gegensätze der jugoslawischen Krise. Die Stärke seines Tritts, wie mythisiert er auch im zeitgenössischen Kontext sein mag, war dessen symbolische Botschaft. Boban brachte nicht einen einzelnen Polizeibeamten zu Fall, sondern einen Repräsentanten, der symbolisch für den jugoslawischen Staat stand. Seine Aktion sicherte ihm einen Platz im kroatischen Pantheon der Nationalhelden.

Die Randale im Maksimir, wenngleich symbolisch bedeutsam, sollten verstanden werden als ein Symptom der anhaltenden politischen Krise im sozialistischen Jugoslawien, die sich am stärksten im Aufstieg des serbischen und kroatischen Nationalismus manifestierte. Die Randale waren eher ein sozialer Mechanismus, der öffentlich und gewaltsam soziale Spannungen ausdrückte, sowie die öffentliche Frustration mit einem politischen System, das die Schwere der Krise, in der es sich befand, immer noch nicht wahrhaben wollte. Ohne die symbolische Bedeutung der Randale im Maksimir zu schmälern, müssen sie doch in eine Reihe mit anderen Vorfällen im Fußball einbezogen werden, die sich in nächster Nähe ereigneten, um die zu dieser Zeit mobilisierende Kraft des Fußballs für die nationalistische Ideologie voll und ganz zu verstehen.

Man kann festhalten, dass der jugoslawische „Krieg“ bzw. die „Kriege“ sicher nicht im Maksimir am 13. Mai 1990 begannen. Der Vorfall setzte vielmehr einen Prozess in Gang, in dem Fußball allmählich ein soziales Umfeld darstellte, in dem physische und symbolische Gewalt zu einer allgemeinen und nahezu legitimen Form für die „Lösung“ eines Konflikts wurden. Fußballspiele begannen die Schwäche des jugoslawischen Staats widerzuspiegeln, die symbolische Verwandlung von Zuschauern in Soldaten, die Mobilisierung nationaler Agenden und letztlich die Auflösung des Landes.

Der Vorfall setzte vielmehr einen Prozess in Gang, in dem Fußball allmählich ein soziales Umfeld darstellte, in dem physische und symbolische Gewalt zu einer allgemeinen und nahezu legitimen Form für die „Lösung“ eines Konflikts wurden.

Weniger als einen Monat nach den Randalen im Maksimir sollte die jugoslawische Fußballnationalmannschaft in demselben Stadion ein Freundschaftsspiel gegen die Niederlande spielen. Es war das letzte Vorbereitungsspiel für die jugoslawischen Top-Fußballer vor der Fifa Weltmeisterschaft in Italien 1990.

Die Mannschaft bestand vor allem aus Spielern, die die Fifa-U20-Weltmeisterschaft in Chile drei Jahre zuvor gewonnen hatten, und sie wollte unbedingt auch einen deutlichen Eindruck als ältere Mannschaft hinterlassen. Die Mannschaft selbst wurde vom „letzten Jugoslawen“ Ivica Osim angeführt, der immer noch als Mastermind der erfolgreichen „goldenen Generation“ des jugoslawischen Fußballs gilt.

Manifestierung politischer Brüche

Das politische Klima war aufgrund der Vorfälle einige Wochen zuvor immer noch angespannt und das Spiel wurde von vielen Kommentatoren in den Medien als Indikator gesehen, ob die Randale ein echter und vom Volk ausgehender Ausdruck des kroatischen Nationalismus und der Opposition gegenüber Jugoslawien gewesen waren oder einfach ein einmaliges Ereignis, das aus dem Ruder gelaufen war. Kurze Zeit, nachdem die beiden Mannschaften das Spielfeld betreten hatten, wurde klar, dass das Stadion Maksimir wieder im Zentrum einer jugoslawienweiten Debatte stehen würde über das Verhalten von Fans als Manifestierung politischer Brüche im Land.

Das etwa halbvolle Stadion begrüßte die jugoslawische Mannschaft mit höhnischem Gejohle, übertönte die jugoslawische Nationalhymne und attackierte verbal die Spieler und den Cheftrainer Osim. Die Zuschauer buhten nicht nur die jugoslawische Hymne „Hej Slaveni“ aus, sondern intonierten die „inoffizielle“ (inzwischen offizielle) kroatische Hymne „Lijepa naša“. Dies war eine klare Botschaft der 20.000 anwesenden Zuschauer, dass sie die jugoslawischen Staatssymbole nicht mehr als die ihren akzeptierten, insbesondere, wenn sie über kroatischen Symbolen standen. Das Spiel selbst war zweitrangig, Jugoslawien verlor gegen die Niederlande mit 0:2. Viele Kommentatoren waren perplex, weil die meisten Spiele der jugoslawischen Nationalmannschaften bis dahin größtenteils von chauvinistischen Vorfällen verschont geblieben waren. Die Nationalmannschaft wurde allgemein als starke (pop)kulturelle integrative Kraft wahrgenommen. In diesem Sommer spielte die jugoslawische Fußballnationalmannschaft eine inspirierte Weltmeisterschaft in Italien, um dann nach Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Argentinien zu verlieren. Es sollte das letzte große Fußballturnier für eine geeinte jugoslawische Mannschaft werden.

Bis August 1990 hatte sich die jugoslawische Staatskrise mit der stichelnden Rhetorik der vorhergehenden Monate und der Unfähigkeit, die „konstitutionelle Krise“ zu lösen, auf alarmierende Weise verschärft, was zur sogenannten „Baumstammrevolution“ führte. Die serbische Minderheit im kroatischen Hinterland der Krajina rebellierte gegen die neu gewählte kroatische Regierung, indem sie die Region um die Stadt Knin abriegelte und das Land an den Rand eines Kriegs brachte. Diese Krise war stark antizipiert worden im schwer politisierten Feld der jugoslawischen „Fan-Stämme“ des Fußballs.

Fans zünden Flagge an

Am 26. September 1990 eskalierte ein anderes Spiel in der jugoslawischen Fußballliga und sorgte für eine jugoslawienweite Debatte über Fußball, Hooliganismus und Nationalismus. Weniger als 100 Kilometer von Knin, dem Epizentrum des Aufstands, entfernt, zeigte das Spiel zwischen Hajduk Split und Partizan Belgrad im Stadion Poljud von Split wieder einmal die wackelige Lage der Föderation. Während des Spiels entschied eine große Gruppe der organisierten Abteilung der Fans von Hajduk Split, die Torcida, ihrer Opposition zu Jugoslawien offen Ausdruck zu verleihen. Ihr anfänglicher Platzsturm wurde zu einem weitreichenden politischen Statement, nachdem ein sogar noch symbolischerer Akt gefolgt war.

Die Anhänger visierten den höchsten Punkt des Stadions an, wo mehrere Flaggen hochgezogen waren. Sie nahmen die jugoslawische Flagge herunter, zündeten sie an und zogen die brennende Flagge wieder die Stange hoch. All dies geschah unter anhaltenden Sprechchören von den Tribünen „Kroatien – ein unabhängiger Staat“ und „Verbrennt die Flagge“. Der außergewöhnliche Aspekt ihrer Aktionen bestand, wie der Soziologe Dražen Lalić bemerkte, in der Tatsache, dass sich die Aggression nicht auf einen direkten Rivalen richtete, da keine Anhänger von Partizan im Stadion anwesend waren. Die Torcida richtete ihren Ärger auf eines der bedeutendsten nationalen Symbole Jugoslawiens, die Flagge. Das symbolische Verbrennen der Flagge symbolisierte eindrücklich die Erosion und den schieren Mangel staatlicher Legitimität.

Diese Phase höchst politisierter Fußballspiele in der jugoslawischen Föderation endete einen Monat später am 17. Oktober. Es war der Tag, an dem eine Auswahl kroatischer Spieler unter dem Label des „kroatischen Nationalteams“ ein internationales Freundschaftsspiel gegen die Fußnationalmannschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Zagreb spielte. Um dies zu ermöglichen, nutzte der kroatische Fußballverband, der immer noch Teil des jugoslawischen war, geschickt ein rechtliches Schlupfloch in den Statuten, das „nationalen Selektionen“ erlaubte, auch internationale Freundschaftsspiele zu spielen. Dass das Spiel tatsächlich stattgefunden hat, kann als bedeutender diplomatischer Erfolg gewertet werden, da die ganze Angelegenheit eingebettet war in eine Reihe nationalistischer Feiern, die in diesen Tagen stattfanden.

Das symbolische Verbrennen der Flagge symbolisierte eindrücklich die Erosion und den schieren Mangel staatlicher Legitimität.

Nur einen Tag zuvor hatte die Stadt die Re-Installation der Ban-Josip-Jelačić-Skulptur gefeiert, ein Symbol des kroatischen Widerstands gegen das Osmanische Reich, das während der kommunistischen Herrschaft vom zentralen Platz Zagrebs entfernt worden war. Das Spiel sollte als integraler Teil dieser Feiern betrachtet werden.

Nationale Bildsprache und Symbole wurden sorgfältig entworfen mit den kroatischen Schachbrett-Mustern und dem Ban-Jelačić-Monument neben der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika und der Freiheitsstatue. Die neu gewählte kroatische Führung nutzte das Spiel absichtlich, um den Vereinigten Staaten von Amerika und der internationalen Gemeinschaft zu signalisieren, dass sie „bereit war, auf eigenen Füßen zu stehen“ als unabhängiger Nationalstaat.

Bis heute ist der öffentliche Diskurs in der Region wie auch außerhalb sehr unkritisch in der Übernahme des mythischen Konstrukts der Randale im Maksimir als Initiator des jugoslawischen Zusammenbruchs. Die Randale, die oftmals willkürlich als Beispiel genutzt werden für einen „Auftakt zu einem Krieg“, sollten vielleicht nicht herausgegriffen werden, will man das ganze Ausmaß verstehen, in dem der Fußball eine Rolle beim Zerfall des Landes spielte.

Dafür muss man sich nur Sportereignisse anschauen, die nur einige Monate zuvor stattgefunden hatten. Zum Beispiel die Tatsache, dass Dinamo Zagreb fast ein Jahr, nachdem „der Krieg begonnen hatte“, am 18. Mai 1991 im Stadion Maksimir gegen Roter Stern Belgrad spielte, nur diesmal ohne jeglichen Vorfall. Außerdem wäre die Geschichte des großen kroatischen Nationalhelden Zvonimir Boban ziemlich schwach, wenn man hinzufügt, dass er nach dem Ende seiner Sperre vom jugoslawischen Fußball weiterhin bei mehreren Gelegenheiten für Jugoslawien spielte; das letzte Mal in Belgrad gegen die Färöer Inseln am 16. Mai 1991, als der politische Konflikt in Jugoslawien bereits zu einem Krieg geworden war.

Von Zuschauern zu Soldaten

Heute jedoch, 25 Jahre später, erinnert man sich an die Randale im Maksimir im post-jugoslawischen Raum auf unterschiedliche Weise. Untersuchungen des Anthropologen Ivan Djordjevic haben gezeigt, dass sich die Medien und die öffentlichen Narrative zu den Randalen in Serbien vor allem durch „Schweigen“ auszeichnen. Außerdem gibt es keine Mythologisierung der Randale durch die Delije. Dies ist gut verständlich, denn sie waren letztlich die symbolischen Verlierer der Randale, insbesondere, wenn man diese versteht als „den Tag, an dem der Krieg begann“. Zudem wird der serbische öffentliche Diskurs immer noch stark bestimmt von einem Mangel an Konsens, wie man mit den Jugoslawien-Kriegen der 1990er Jahre umgeht, und der Frage nach der serbischen Verantwortung. Bei den „Fan-Stämmen“ des Fußballs, die unter den Ersten waren, die sich freiwillig für den paramilitärischen Kampf meldeten und darin agierten, folgt daraus, ein Gefühl des Stolzes dafür konstruieren zu müssen, dass sie ihre Leben in einem Krieg gelassen haben, an dem Serbien „offiziell nie teilgenommen hat.“

Die Vorstellung einer ideologischen Homogenität der kroatischen Gesellschaft wurde also konstruiert, um politische Alternativen und andere Narrative auszuschließen.

Im Gegensatz dazu müssen in Kroatien die Randale im Maksimir als nationaler Mythos betrachtet werden. Die hauptsächliche „mythologisierende“ Funktion besteht darin, das dominierende nationale Narrativ für Kroatiens prägende Jahre zu stützen – nämlich das von der Unausweichlichkeit des Zerfalls Jugoslawiens und der Formierung eines kroatischen Nationalstaats als Conditio sine qua non. Die Politisierung und anschließende ideologische Ausnutzung unter dem Tudjman-Regime produzierte ein mythologisiertes Narrativ, das die Randale als symbolischen Anstoß zum sogenannten Heimatkrieg betrachtet. Diese spezielle Interpretation des Vorfalls hat ihren Grund. Sie erlaubte es dem Tudjman-Regime, die Randale einzubeziehen in sein Narrativ der kroatischen Staatlichkeit und wie diese etabliert wurde. Es führte das Narrativ einer überwältigenden öffentlichen Unterstützung für Franjo Tudjman und seine Kroatische Demokratische Union (HDZ) vom Moment ihres Wahlsiegs an fort. Durch Sozialstudien lässt sich dies nicht stützen.

Das letzte Jahr des sozialistischen Jugoslawiens war eher ein umstrittener politischer Kampf als eine „Manifestierung des Volkswillens“. Die Vorstellung einer ideologischen Homogenität der kroatischen Gesellschaft wurde also konstruiert, um politische Alternativen und andere Narrative auszuschließen. Sie funktioniert als Mechanismus, der Legitimierung sichern sollte.

Wenngleich schwerlich behauptet werden kann, dass Sport und insbesondere Fußball keine bedeutende Rolle in der Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens als soziales Umfeld der nationalistischen Mobilisierung spielte, so müssen die beschriebenen Spiele trotzdem im Kontext der politischen Spaltungen und radikalisierten Spannungen innerhalb der Föderation verstanden werden. Das verbreitete Narrativ vom „Kriegsbeginn im Maksimir“ am 13. Mai 1990, wenngleich nur symbolisch, ist ziemlich problematisch. Die Randale waren weder Beginn noch Anstoß des Konflikts, sondern vielmehr eine nachdrückliche Manifestation des Aufstiegs (oder Niedergangs) des Fußballs zu einem bedeutenden nationalisierenden und homogenisierenden sozialen Umfeld in allen jugoslawischen Republiken, am offensichtlichsten aber in Kroatien und Serbien. Die allmähliche Transformation der Fußball-Zuschauer in Soldaten und die zunehmende physische Gewalt als „legitime“ Form der Konfliktlösung spiegelten zudem unverhohlen Jugoslawiens Schwäche im Umgang mit einer Krise, die letzten Endes zu seiner Auflösung führen sollte.

Über den Autor
Dario Brentin
Sozialwissenschaftler

Dario Brentin ist Sozialwissenschaftler und Nationalismusforscher am Zentrum für Südosteuropastudien (CSEES) der Karls-Franzens-Universität Graz, Österreich. Er beschäftigt sich mit der Verbindung zwischen Politik, Identität und Sport (Fußball) im Balkan.

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