ifa: Was macht den Populismus oder Autoritarismus heute so erfolgreich in der politischen Landschaft?
Shoshan: Populismus kann viele Formen annehmen, angefangen von Ressentiments gegen die Eliten oder Behauptungen über die wahre und einzigartige Essenz des Volkes bis hin zu Schuldzuweisungen und Feindseligkeit gegenüber kulturellen, religiösen, ethnischen oder sexuellen Minderheiten. Ebenso kann Populismus als strategisches Etikett eingesetzt werden, um Bewegungen und Akteure zu delegitimieren, die den Status quo infrage stellen. Zum Aufstieg autoritär-populistischer Diskurse tragen eine ganze Reihe von Faktoren bei, von denen ich drei erwähnen möchte.
Erstens haben wir mit der vermeintlich beispiellosen Demokratisierung nach dem Zerfall des Ostblocks erlebt, wie es gleichzeitig für demokratische Regime schwierig wurde, ihre früheren Modi der Selbstlegitimation aufrechtzuerhalten. Etablierte Wege demokratischer Staaten, die Vorherrschaft politischer Eliten über die Bevölkerung ideologisch zu rechtfertigen, wurden zunehmend obsolet – und zwar aus denselben Gründen, wie bereits genannt. Die Sehnsucht nach der verlorenen Zukunft eines kollektiven Wohlergehens, die man heute beobachten kann, bereitet den Nährboden für bestimmte Formen autoritärer Politik.
Entscheidender als objektive Messungen von Benachteiligung sind subjektive Erfahrungen und Wahrnehmungen, die aus enttäuschten persönlichen und kollektiven Zukunftserwartungen entstehen.
Zweitens beeinflusst die jüngste Wiederbelebung des Rassebegriffs und seine wieder legitim gewordene Verwendung als pseudowissenschaftliche biologische – und nicht soziale – Kategorie auch politische Mehrheitsideologien. Biologische Vorstellungen von Rassen sind als tabuisierte und unterdrückte, aber stets latent vorhandene Ideen in populären Darstellungen von Fortschritten in der Genomforschung machtvoll zurückgekehrt und werden heute zu verschiedensten politischen Zwecken eingesetzt, beispielsweise als Argument für die angeblich unterschiedlichen Intelligenzniveaus ethnischer Gruppen.
Zuletzt haben neue technologische Entwicklungen, wie die Digitalisierung, hergebrachte Formen der Autorisierung öffentlicher Diskurse, wie zum Beispiel offiziell bestätigtes Fachwissen oder institutionell vermittelte Interpretationsrahmen, ins Wanken gebracht, sodass diese ihre Wirkmacht in politischen Debatten verlieren. Dieser Prozess brachte bislang unterdrückte Stimmen zu Gehör, was tiefgreifend dezentralisierende, demokratisierende und emanzipatorische Effekte mit sich gebracht hat. Zugleich trug er jedoch dazu bei, rechtspopulistische Diskurse zu legitimieren.
Die Sehnsucht nach der verlorenen Zukunft eines kollektiven Wohlergehens, die man heute beobachten kann, bereitet den Nährboden für bestimmte Formen autoritärer Politik.
ifa: Sie haben im Feld dessen geforscht, was Sie "Management of Hate" nennen. Was kann politische Ethnographie zum Verständnis des Rechtsextremismus beitragen?
Shoshan: Die Ethnographie setzt voraus, dass wir ein vertrautes Verhältnis zu den Menschen aufbauen, die wir erforschen. Was wir aus nächster Nähe miterleben, unterscheidet sich stark von Eindrücken, die aus der Ferne gewonnen werden, und wir können komplexe Prozesse sehr viel genauer beobachten. Anstatt von vorgefertigten Kategorien auszugehen, ermöglicht, ja erfordert die Ethnographie einen ergebnisoffenen Ansatz, der empfänglicher ist für die Heterogenität der sozialen Welt. Darüber hinaus können uns die Nähe und das Vertrauen, das wir zu unseren Gesprächspartnern aufbauen, Zugang zu Daten verschaffen, die sie andernfalls wohl kaum teilen würden, insbesondere wenn es um verbotene oder stark tabuisierte Themen geht.
Als ich meine Untersuchung begann, konnte ich so gut wie keine ethnographischen Forschungen zu Rechtsextremismus finden, einem Feld, das größtenteils aus sicherer Distanz untersucht wird, mithilfe statistischer Erhebungen, strukturierter Interviews in arrangierten Settings oder der Analyse politischer Rhetorik, Propaganda und Literatur. Meine Beobachtungen und die Unterhaltungen mit meinen jungen Gesprächspartnern brachten mich zum Beispiel dazu, die Kategorie Extremismus an sich infrage zu stellen. Diese vermochte die Vielzahl ambivalenter und veränderlicher Positionen, die mir begegneten, nicht zu fassen. So wurde ich mit der dynamischen Natur politischer Identifikation konfrontiert, welche der akademischen Forschung oft als unveränderlich gelten.
ifa: Warum laufen staatliche Präventivmaßnahmen wie Anti-Rassismus-Botschaften und eine Politik der harten Hand gegen Neonazis oft ins Leere bzw. bewirken das Gegenteil?