Bei den Massenmedien findet der Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern statt. Zeitungen werden zu Profitmaschinen, was zur Folge hat, dass der öffentliche Raum schrumpft und der Raum für Kultur verschwindet; es gibt kein Geld mehr für Kultur, es sei denn, sie erklärt sich zur Propaganda bereit – nicht mehr politischer Art, Werbung heißt das jetzt. Bislang hat es den Anschein, dass uns das neue politische und wirtschaftliche System Freiheit auf kulturellem Gebiet beschert hat. Doch was können wir mit dieser Freiheit anfangen – ohne Geld? Wir können uns Hoffnung auf Hilfe machen. Ja, wir brauchen Hilfe aus dem Ausland. Ein Trost ist, dass Kultur billig ist! Jedenfalls vergleichsweise.
Gewiss, wenn Kultur dem Markt ausgeliefert wird, ist ihr Schicksal Marginalisierung – aber Kultur ist zu wichtig, um nur dem Markt überlassen zu bleiben. Die Bedeutung von Kunst und Kultur liegt darin, dass sie Kapital erzeugen – „symbolisches Kapital“, das in der Lage ist, soziale Integration zu bewirken und Werte zu verbreiten. Unter Kultur verstehe ich Menschen, die heute kulturelle Artefakte hervorbringen: Performances, Videos, Bücher, Ausstellungen, Filme, Musik, Theater.
Das Paradoxe von Kunst und Kultur liegt (gemessen am investierten Geld) darin, dass sie hervorragende Exportartikel sind und für eine beachtliche Präsenz des Landes oder der Region in der größeren Gemeinschaft sorgen. Sie garantieren auch einen gewissen Ausgleich, weil selbst ein kleines Land einen größeren Beitrag leisten kann: Als die Zagreber Philharmonie unlängst ein Konzert in Wien gab, sagte der ehemalige österreichische Kunststaatssekretär Franz Morak: „Das war der größte Erfolg der kroatischen Außenpolitik in den letzten zehn Jahren.“
Kultur und Künste sind der kostengünstigste und schnellste Weg nach Europa.
Wenn wir ein Land durch seine Kultur und Kunst darstellen und wahrnehmen, erhalten wir ein anderes und differenzierteres Bild von ihm und sehen jenes Image infrage gestellt, das die Länder der Region gewöhnlich auf einen einzigen gemeinsamen Nenner reduzieren. Kultur kann ein Land in den Blickpunkt rücken, ihm Anerkennung verschaffen und es als attraktiven, offenen, interessanten und kulturell vielfältigen Raum wahrnehmbar machen.
Der größte Vorteil aber ist, dass durch eine solche Darstellung von Kultur und Künsten jeder gewinnen könnte. Das Land könnte gewinnen, weil kleine Länder um ihre nationale Identität fürchten. Wenn Kunst und Kultur diese Identität auf der größeren Bühne präsentieren, bekämpfen sie die Furcht, in der EU verloren zu gehen, und die Angst vor der Globalisierung.
Kunst und Kultur sind, wenn sie so wollen, praktische politische Werkzeuge, um positive Effekte auf außen- und innenpolitischer Ebene zu erzielen. Sie sind der kostengünstigste und schnellste Weg nach Europa, ihre Wirkung ist unmittelbar, weil die Menschen sich und ihre Werke hier individuell darstellen. Da sie mit ihren Projekten und nicht mit Reden an der europäischen Kultur teilnehmen, ist ihre Wirkung real. Als Schriftstellerin bleibt mir gar nichts anderes übrig, als an der Überzeugung festzuhalten, dass kulturelle Projekte wie dieses hier möglicherweise die einzigen Instrumente der Veränderung und daher auch die einzigen förderungswürdigen Maßnahmen sind.
Die Frage, welche Bedeutung es hat, Kultur in dieser Weise zu präsentieren, hat auch mit der Zukunft zu tun. Ich denke, wir auf dem Balkan müssen uns noch eine weitere wichtige Frage stellen: Was für einen Beitrag könnten wir für die EU leisten, unser aller künftige Heimat? Wenn man uns eine solche Frage stellt, bleiben wir gewöhnlich einen Augenblick stumm, etwas verlegen, weil wir sie uns nicht selbst gestellt haben! Doch dann sind wir rasch (Improvisation ist eine unserer größten Stärken!) mit einer „geistreichen“ Antwort zur Hand: das Überleben!
Kunst und Kultur sind, wenn sie so wollen, praktische politische Werkzeuge, um positive Effekte auf außen- und innenpolitischer Ebene zu erzielen.
Wir werden euch lehren, wie man trotz widrigster Umstände überlebt! Ohne uns klarzumachen, dass solche Kenntnisse für euch ziemlich unwichtig sein könnten. Das dürfen wir uns nicht eingestehen. Unser Dasein unter dem Kommunismus bestand nur aus Überleben, da würde uns die Erkenntnis, dass dieses Wissen heute niemand mehr braucht, das Gefühl der Überflüssigkeit geben. Unser Leben käme uns irgendwie vergeudet vor. Trotzdem scheint mir klar zu sein, dass unser Beitrag in zwei Dingen bestehen könnte: Erstens in der kulturellen und künstlerischen Produktion und zweitens in jungen, gebildeten Menschen voller Geist, Intelligenz und Neugier.
Ohne wirtschaftliche und politische EU kann es wahrscheinlich auch keine kulturelle EU geben. Doch das Gegenteil ist genauso wahr: Ohne Kultur wird es mit Wirtschaft und Politik allein nicht klappen, jedenfalls nicht auf lange Sicht. Die EU braucht ein Bindemittel, und das kann nur aus einer anderen Sphäre kommen, einer Sphäre, zu der jedes Land, egal, wie klein und politisch umstritten, einen Beitrag leisten kann.
Auch wenn es vielleicht nicht sehr offenkundig ist – es zeigt sich aber in mehr als einer Hinsicht – die Menschen streben nach mehr als Geld. Zumindest in Europa. Kommen wir also zum Schluss: Falls der Balkan wirklich nach Europa zurückkehrt, muss er als Name, als Substantiv, und nicht als Verb zurückkehren.
Aus dem Englischen von Hainer Kober