So wie es nicht eine einzige Ursache gibt, die zu einem Konflikt oder zu einem Krieg führt, sondern eine Vielzahl möglicher Ursachen, die nicht greifbar und nicht wahrnehmbar sind, so kann es auch nicht das eine Paradigma oder die eine Antwort auf die Frage geben, wie Versöhnung möglich gemacht werden kann. Aber auch wenn wir nicht wirklich wissen, wessen Interessen zu einem bestimmten Krieg oder einem Akt der Zerstörung geführt haben, so ist doch klar, dass es der politische Wille ist, der jedem erfolgreichen Versöhnungsversuch zugrunde liegt.
Es liegt häufig im Interesse erfolgloser Politik und der dafür verantwortlichen Politiker, Völker und Nationen zu spalten. Denn der einfachste Weg, das Scheitern eines Staates zu vertuschen oder zu rechtfertigen, ist, mit dem Finger auf einen Feind zu zeigen. In einem solchen Kontext nutzen die instabilen und wirtschaftlich erfolglosen Regierungen auf dem Balkan die Medien, um unaufhörlich Hass zwischen den ehemaligen Kriegsparteien zu schüren, und das in einem Konflikt, der vor mehr als zwei Jahrzehnten offiziell endete.
Auch wenn wir nicht wirklich wissen, wessen Interessen zu einem bestimmten Krieg oder einem Akt der Zerstörung geführt haben, so ist doch klar, dass es der politische Wille ist, der jedem erfolgreichen Versöhnungsversuch zugrunde liegt.
Erinnern wir uns an den Stand der Beziehungen zwischen den Alliierten des Zweiten Weltkriegs und Deutschland im Jahr 1965, zwanzig Jahre nach Kriegsende. Neben wirtschaftlichen Gründen gab es für Europa und die USA einen mächtigen Impuls zur Aussöhnung mit Deutschland: die wachsenden Feindseligkeiten mit der Sowjetunion und dem Ostblock. Es wird deutlich, wie wenig in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde, um die Beziehungen zwischen Serbien und Kroatien, Serbien und der Föderation Bosnien und Herzegowina sowie zwischen Serbien und dem Kosovo zu verbessern.
Die winzigen Balkanstaaten haben keinen solchen gemeinsamen Feind, der sie eint. Im Gegenteil: indem sie die Spannungen zwischen den Staaten ständig anheizen, gelingt es ihren jeweiligen politischen Oligarchien, an der Macht zu bleiben. Immer wieder werden dieselben erfolglosen Personen „demokratisch“ wiedergewählt. Das geht seit fast einem Vierteljahrhundert so – vor allem, weil sie immer wieder Hass schüren.
In einem solchen Kontext nutzen die instabilen und wirtschaftlich erfolglosen Regierungen auf dem Balkan die Medien, um unaufhörlich Hass zwischen den ehemaligen Kriegsparteien zu schüren, und das in einen Konflikt, der vor mehr als zwei Jahrzehnten offiziell endete.
Das kyrillische Alphabet als größtes Problem der kroatischen Gesellschaft, die Unabhängigkeit des Kosovo als Hauptproblem Serbiens (während praktisch nichts unternommen wird, um die tatsächlichen Probleme der Kosovo-Serben zu lösen), die Angst der Kosovo-Albaner vor dem geringsten „Zugeständnis“ an die serbische Gemeinschaft und die bekannten Gegensätze zwischen den drei „konstitutiven Völkern“ (Bosnier, Serben, Kroaten) der Föderation Bosnien und Herzegowina – all diese ungelösten Fragen können die Menschen auf dem Balkan auch noch in den nächsten hundert Jahren buchstäblich in den Wahnsinn treiben.
Punkt des absoluten Stillstands
Es genügt, eine oder zwei hetzerische Schlagzeilen über die existenzielle Bedrohung von Angehörigen einer Nation durch Angehörige einer anderen Nation in einer Boulevardzeitung zu platzieren (und das geschieht täglich), damit alte Wunden wieder aufreißen oder gar nicht erst zu heilen beginnen. Und das Verharmlosen oder Leugnen von Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung auf der einen Seite oder das Beharren darauf, dass die Serbische Republik, auch bekannt als Republik Srpska (eine der beiden Entitäten, aus denen Bosnien und Herzegowina besteht) eine Schöpfung des Völkermords ist, auf der anderen Seite, ist ein sicherer Weg zum absoluten Stillstand.
Versöhnung ist also das Ergebnis des politischen Willens. Aber was wäre das Ziel einer solchen Versöhnungspolitik auf dem Balkan? Das ist etwas, was wir weder haben noch kennen. Aber gerade unsere mögliche Definition eines solchen Ziels könnte eine erfolgreiche Versöhnungspolitik prägen. Aber wen interessiert das schon? Solange ein solches Ziel (für wen auch immer es sein mag) nicht offen definiert wird, wird sich nichts ändern.
Es genügt, eine oder zwei hetzerische Schlagzeilen über die existenzielle Bedrohung von Angehörigen einer Nation durch Angehörige einer anderen Nation in einer Boulevardzeitung zu platzieren (und das geschieht täglich), damit alte Wunden wieder aufreißen oder gar nicht erst zu heilen beginnen.
Vor einigen Jahren, im Jahr 2016, schrieb und inszenierte Enver Petrovci, der in der jugoslawischen Zeit ein bekannter albanischer Schauspieler war, ein Stück mit dem Titel „Der verdammte Balkan“, das in Zusammenarbeit mit dem serbischen Ghettotheater koproduziert wurde. In dem Stück treten alle albanischen und serbischen Schauspieler in beiden Sprachen auf. Das Stück wurde sowohl im Nationaltheater in Pristina als auch in der serbischen Gemeinde Gračanica in Kosovo aufgeführt.
Dank des guten Willens des Einzelnen
Und so kam es erst 2016 zu einer gemeinsamen albanisch-serbischen Theateraufführung, die vor allem dem guten Willen einiger weniger Personen zu verdanken war, erzählte Petrovci. Außer ihm und Zoran Ristić vom Ghettotheater und den Schauspielern, die immer bereit waren, mitzuarbeiten, hatten sich auch die Leiter zweier Theater in Pristina und Gračanica beteiligt und die Aufführung des Stücks in ihren Häusern möglich gemacht. In beiden Gemeinden wurden sie vom Publikum mit großem Applaus belohnt.
Aber es ist nicht gut, wenn Staaten einzig auf das Engagement Einzelner angewiesen sind. Das mag im Einzelfall funktionieren, aber insgesamt kann ein solches System nicht produktiv sein.
Versöhnung erfordert enorme materielle Ressourcen. Dazu gehört die Ausbildung einer großen Zahl von Aktivisten, die dann in ihren verschiedenen Fachgebieten an diesem Prozess arbeiten müssen. Versöhnung muss auch die Bildung durchdringen, und zwar mit gemeinsamen Programmen. Die Beteiligten an diesen Maßnahmen müssen zumindest insoweit übereinstimmen, dass sie auch uneins sein dürfen, ohne dies jedoch als Grund oder Rechtfertigung für die Fortsetzung des frustrierenden und sozial zerstörerischen Lebens in Hass und Feindseligkeit zu benutzen.
Versöhnung erfordert enorme materielle Ressourcen. Dazu gehört die Ausbildung einer großen Zahl von Aktivisten, die dann in ihren verschiedenen Fachgebieten an diesem Prozess arbeiten müssen.
Dazu gehört die Versöhnung durch vorschulische Einrichtungen, d.h. Kindergärten mit auf Kleinkinder zugeschnittenen Maßnahmen, multiethnische Schulen und Workshops an Hochschulen. Dazu gehört aber vor allem eine transparente Wirtschaft und Organisation. Wir wissen aber alle, dass die Wirtschaft auf dem Balkan ein Nährboden für alle möglichen Grauzonen, für verschiedene kriminelle Strukturen und schmutziges Geld ist. Und dass zu häufig die Strategie der Politik in der Region darin besteht, der Gesellschaft die privaten Interessen der Politiker und Magnaten als öffentliche Interessen zu präsentieren.
Versöhnung als Medienprojekt
Versöhnung muss auch ein Medienprojekt sein, das durch regelmäßige Zeitungskolumnen und intelligent gestaltete Sendungen in den elektronischen Medien umgesetzt wird. Das Verhalten der Politiker muss dazu beitragen und frei von Hass und Hetze sein.
Die Justiz? Wie können wir faire Gerichtsverfahren für Kriegsverbrechen auf unserem eigenen Territorium organisieren? Wie können wir die Glorifizierung der Täter stoppen, die mythische Ausmaße angenommen hat? Oder die Symbole sanktionieren, die die Verbrechen und den Hass verherrlichen, wie all die Abzeichen und T-Shirts mit den Gesichtern der Täter?
„Es kann doch nicht sein, dass Ante Gotovina1 in erster Instanz zu 24 Jahren Haft verurteilt und dann in der Berufung freigesprochen wurde. Auch Ramush Haradinaj2 wurde freigelassen und durfte seine Verteidigung als freier Mann organisieren. Er nutzte seine Freiheit, um einige wichtige Zeugen zu beseitigen, teilweise physisch, und wurde schließlich auch freigesprochen“, sagte Popov.
Und das Problem dieses geringen Gewichts [der Nachfolgestaaten Jugoslawiens] ist, dass es leicht von der Waage der Weltpolitik fällt, wo nur die Rechnungen der großen Player beglichen werden.
Auf der anderen Seite wurde der Freispruch Vojislav Šešeljs3 im Jahr 2016 von keinem serbischen Offiziellen begrüßt. Es gab bei seiner Rückkehr aus Den Haag keinen Heldenempfang, wie es in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo bei der Rückkehr von Kriegsverbrechern der Fall war. Ich will damit nicht sagen, dass Serbien anderen Staaten in Sachen Versöhnung voraus ist, sondern nur, dass sein offensichtlicher Mangel an Prahlerei über die Rückkehrer aus Den Haag eine Folge all der Kriege ist, die es verloren hat.
Das Haager Tribunal war notwendig, daran gibt es keinen Zweifel. Ohne das Tribunal wäre die Lage noch viel schlimmer. Aber die kombinierte Bedeutung aller Staaten, die aus den Trümmern Jugoslawiens entstanden sind – die Summe ihrer jeweiligen Gewichte – ist so viel geringer als das Gewicht und die Bedeutung des ehemaligen Jugoslawiens. Die Summe ihrer Gewichte ist nicht einmal annähernd so groß. Und das Problem dieses geringen Gewichts ist, dass es leicht von der Waage der Weltpolitik fällt, wo nur die Rechnungen der großen Player beglichen werden.
[3] Vojislav Šešelj, serbischer Politiker, wurde vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Nach zwölf Jahren Untersuchungshaft durfte Šešelj im November 2014 vorübergehend nach Serbien zurückkehren. Im März 2016 wurde er vom IStGHJ in erster Instanz in allen Anklagepunkten freigesprochen. 2018 wurde das Urteil teilweise aufgehoben und das Gericht befand Šešelj wegen seiner Rolle bei der Anstiftung zur Deportation von Kroaten aus Hrtkovc der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig.